Donnerstag, 29. Oktober 2009

Notizen zu RABID (1977)

(H. Carstensen)

Cronenbergs zweiter Langfilm jenseits der 80 Minuten–Grenze (STEREO: 65 min., CRIMES OF THE FUTURE: 70 min), ist ein Hybrid, der mit Vampir- und Zombie-Motiven spielt. Nach einem Motorrad-Crash wird die verletzte Rose in einer Schönheits-Farm einer experimentellen Hauttransplantation unterzogen. Super: völlig unplausibel erwacht sie aus dem Koma als blutdurstige Femme Fatale, ausgestattet mit einem phallischen Penetrations-Stachel unter der Achselhöhle (No kidding. Aber irgendwie muss der Kahn ja in See stechen).


Rose wird verkörpert von der Pornofilm-Ikone Marylin Chambers, die mit BEHIND THE GREEN DOOR 1972 ihr Sexfilm-Debüt gab und in den 1970er Jahren neben Linda Lovelace (DEEP THROAT) einer der Stars der Industrie war. In bester Exploitation-Manier wird Rose´ attraktiver Körper immer kurz vor ihren Angriffen nackt gezeigt, die Bedrohung sexuell aufgeladen. Ironischerweise bringt sie eines ihrer männlichen Opfer in einem Pornokino zur Strecke. Ihr Blutsauge-Stachel ist ambivalent konnotiert: der phallische Stachel fährt aus einer vaginalen Höhle im Oberarm hervor. Ihre Opfer verwandeln sich in kürzester Zeit in Zombies, die ihrerseits mit Schaum vor´m Mund Mitmenschen durch klassisches Zubeißen anstecken- daher der Titel. Die Nachrichten-Sequenzen zur Ausbreitung dieser „Seuche“ bilden eine deutliche Parallele zu George Romeros 1968 erschienenen NIGHT OF THE LIVING DEAD. Elliot Stein, Kritiker der VILLAGE VOICE, schrieb 2003, mit Romeros Erstling habe eine Austausch-Entwicklung eingesetzt. Der Vampir wurde im Horror-Genre durch den Zombie als zentraler Gegenstand der Geschichten ersetzt. In dieser Beziehung erweist sich Cronenberg mit RABID als Fan des Hybriden und Chronist dieses Übergangs.

Das Erzähltempo ist für heutige Sehgewohnheiten langsam, aber ein übersichtlicher Plot bewahrt den Film vor zu harten Längen. Der ökonomisch-solide Montage-Stil ist nicht eben experimentell, sorgt aber für Genre-typische Schock-Momente. Lustiger Aussetzer: Rose´ Angriff auf eine Mit-Patientin im Whirlpool der Klinik kommt rüber wie ein unentschlossener Editing-Cocktail aus einem Teil lesbische Verführungs-Szene á la EMANUELLE und sechs Teilen JAWS: nach halbherzig-doppeldeutigen Blicken, von denen die Szene mehr vertragen könnte, um die Stimmung aufzuladen, folgt abrupt auch schon der buchstäbliche Ransprung, der einen kurzen Kampf und das abschließende Blut-Bad einleitet. Bei so unvermitteltem und holprigem emotionalen Transfer stellt sich weder Rose´ suggestive Anziehungskraft, noch der dann beabsichtigte Gewalt-Schock ein. Es gibt ein paar dieser Momente im Film, in denen nicht auszumachen ist, wie ernst er sich nimmt. Oder ob das weniger eine Frage der Haltung denn der handwerklichen Fähigkeiten und des Budgets ist.

Die Motiv-Verquickung von Vampir- und Zombie-Filmen ist das Alleinstellungs—Merkmal von RABID. Die sexuell aufgeladene Bedrohung durch Rose (Penetrations-Stachel statt Biss) steht den von ihr kreierten Zombies gegenüber: hier intime Gefahr mit Gesicht und Identität, dort anonyme Massenbedrohung, Seuche, Epidemie. Das Vampir-Motiv verkörpert die Romantik des 18.ten und 19.ten Jahrhunderts, während sich in den Zombies die Angst der Massengesellschaft der Moderne materialisiert. Beides in einem Film zu vereinen, spricht retrospektiv vielleicht für Cronenbergs Gespür für den Zeitgeist, und zeugt von seinem Interesse an Mutationen. Hier: die Mutation der Angst. Wobei eigentlich nicht die Angst selbst mutiert, sondern die Art, wie sie sich artikuliert. Dafür hat Cronenberg ein Auge.

Generell fällt das frühe Vorhandensein einiger Cronenberg-Themen auf, die der Kanadier später vertieft. Anführen ließen sich hier die oben genannte Mutation, was implizit auch die Auseinandersetzung mit Technologie hindeutet, die in späteren Filmen stattfindet. In RABID wäre die neue Behandlungs-Technik mit „neutralisiertem Gewebe“ das Beispiel. Der Körperhorror, die physische Penetration des Körpers durch das Fremde, und dessen Eindringen in ihn, gehört dazu. Und eine ironisch-kritische Perspektive auf die nordamerikanische Gesellschaft. Rose infiziert sich in einer Beauty-Klinik, und in einer der lustigeren Sequenzen ist der misslungene Anmach-Versuch eines drittklassigen Pick-up-Artists´ der Auslöser dafür, dass Santa Claus von einem Cop auf Zombie-Jagd aus seinem Sessel geknallt wird.

Nach RABID könnte man meinen, die Inhalte seien viel stärker Motor des kreativen Schaffens Cronenbergs, als sein Interesse am Visuellen. Zu letzterem fällt lediglich auf, dass den Film eine gewisse Ökonomie und Effizienz kennzeichnet. Eher schnörkellos als Verspielt stehen die Ekel-Bilder des Körper-Horrors am stärksten hervor und bleiben im Gedächtnis.
[...] vollständigen Artikel anzeigen

Montag, 26. Oktober 2009

Der Interkulturelle Western

(T.Hwa)

Vom 20. bis 23.11.2009 findet in Mainz ein Symposium zu dem Thema "Der Western -Interkulturelle Perspektiven" statt...


...und schon bei dem detailversessenen Otto Preminger (RIVER OF NO RETURN, 1954) war der Westen interkulturell.

[...] vollständigen Artikel anzeigen

Dienstag, 20. Oktober 2009

Aus den DVD-Räumen Seouls (II)

(T.Hwa)

Nach Wrestlern, Gangstern und Köchen nun Teil zwei der kurzen Zusammenfassung zum koreanischen Genre-Kino

Lee Sang-Ki’s OPEN CITY (2008) hat nicht etwa mit Roberto Rossellinis Rom zu tun, sondern ist wie A BITTERSWEET LIFE ein Beispiel für die koreanische Spielart des harten Cop- und Gangsterfilms. Mischt der Film zunächst die eleganten Tricks von Taschendieben, die auch in Bressons PICKPOCKET oder Johnnie Tos SPARROW in Szene gesetzt werden, mit dem für das Genre unverzichtbaren Einsatz von Messern, Tritten und Baseballschlägern, so verlagert sich überraschenderweise der Schwerpunkt im Laufe des Films immer mehr hin zu einer melodramatischen Dreieckskonstellation. Ein Cop steht zwischen seiner Mutter, einer durch das Gefängnis geläuterten Taschendiebin und der verführerischen „bösen“ (potentiellen) Schwiegertochter, welche die Mutter zu einem fatalen letzten Coup anstiftet und zugleich selbst unter dem frühen Verlust der eigenen Mutter leidet. Mit der Überhöhung der Mutterrolle geht eine exploitative sexuelle Faszination für das „gefallene Mädchen“ einher, die den männlichen Protagonisten verführt und (man möchte sagen „dafür“) von einem rivalisierenden Gangster beinahe vergewaltigt wird. Die Konzentration auf das Mutter-Sohn Verhältnis scheint im Gegensatz zu dem auch im westlicheren Kino verbreiteteren Vater-Sohn Topos für einen höheren Grad an Emotionalisierung prädestiniert. Dass der Film am Ende hoch emotional und dramatisch die Mutter durch einen Akt der Selbstopferung rehabilitiert und die Verführerin bestraft entspricht der konservativen, patriarchalen Moralvorstellung, die sich in diesem Film unter der glatten, glänzenden Oberfläche der Faszination für das Verbrechen verbirgt.

THE SCAM (2009, R: Lee Ho-jae) aktualisiert die story von WALL STREET für die aktuelle Wirtschaftskrise. Ein junger Kleinanleger, der vom schnellen Reichtum träumt, profitiert beim zocken über Instantnudeln von einem Teilaspekt einer groß angelegten Aktienmanipulation und wird daraufhin von der Bande rekrutiert. Als er immer tiefer in die Manipulationen der Bande verstrickt wird und die Wohnung seiner Mutter verspielt steht er vor einem ähnlichen moralischen Dilemma wie Charlie Sheen in Oliver Stones Parabel auf den Turbokapitalismus der 80er. Konnotierte dieser Film die Skrupellosigkeit der Banker durch die aus dem Vietnamkrieg entlehnte Rhetorik der Figur Michael Douglas’ („Search and Destroy,“ etc.), so bedient sich der koreanische Film bei Elementen der schon erwähnten Gangsterfilme. So mutet der Gegenspieler des Helden wie eine karikaturistisch zugespitzte Version eines Filmgangsters an. Zunehmend frustriert von den Komplikationen seines neuen, profitableren Erwerbszweigs besinnt sich der Patriarch einer Gangsterbande immer mehr auf seine alten Methoden. Thematisiert der Film die Moralität und den freien Willen korrumpierende Wirkung von Geld vor allem etwa in einer Szene, in der eine junge Hostess durch die Aussicht auf ein hohes Trinkgeld dazu gebracht wird, einen Eiskübel voller Spirituosen auszutrinken, so affirmiert der Film am Ende doch eine grundsätzlich materialistische Prämisse indem er seinen Protagonisten mit einem Job in der Finanzbranche und neuem Auto ausgestattet in die Welt entlässt. Alle moralischen Bedenken scheinen letztlich nicht die Faszination gegenüber den Möglichkeiten der sich seit den 80ern herausbildenden Wohlstandsgesellschaft aufwiegen zu können.

Ebenfalls in dem white-collar Milieu einer hoch entwickelten ökonomischen Ordnung spielt die romantische Komödie SEDUCING MR. PERFECT (2006, R: Kim Sang-Woo). Wäre der Film (oder das Subgenre) zu Selbstironisierung in der Lage, könnte der Film den Untertitel „Liebe in Zeiten der Büroarbeit“ erhalten. Eine brave Büroangestellte trifft auf ihren neuen Chef, den in jeder Hinsicht unnahbaren Mr. Perfect aus dem englischen Titel. Im Laufe der Handlung muss sie sich selbst treu bleiben während sich herausstellt, dass ihr Chef weniger zynisch und glatt ist als dies seine Frisur, seine Hemden und sein Snobismus zu Anfang vermuten lassen. Die Figur des männlichen love interests wird wenig überzeugend von dem halb-koreanischen, halb-britischen Schauspieler Daniel Henney gegeben. Da dieser zwar nach asiatischem Verständnis sehr gut aussieht, jedoch wohl extrem schlechtes koreanisch spricht, lässt der Film ihn zwar koreanisch verstehen, aber in amerikanischem Englisch antworten, was auf die starke koreanische Obsession mit „Americana“ und vor allem den sozialen Stellenwert amerikanischer Bildungsstätten hinweist. Dementsprechend äußert sich die Wandlung der Figur weniger über die schauspielerische Interaktion zwischen den Partnern oder über die Dialoge, als größten Teils durch gelöste Manschetten und Lockerung der Frisur. Offenbart der Film gegen Ende als eine Hauptmotivation des perfekten Mr. Henney, durch eine Übernahme den Namen der Firma wiederherzustellen, in der sein Vater sein ganzes Leben lang treu in der Maschinenhalle stand, so zeigt sich darin der Wunsch nach einem kuscheligen Kapitalismus, in dem nicht nur Platz für Romanzen, sondern auch für die Emotionalität und hierarchische Ordnung der Familie ist.

Ein älterer Mann betritt mit einer Sporttasche eine belebte Fußgängerzone. In einer Gasse legt er abgetragene Sportkleidung an. Er folgt idiosynkratischen Ritualen eines Sportlers: bandagiert seine Hände, trinkt einen Beutel Milch, präpariert sein Gesicht mit Vaseline, legt einen Kopfschutz an. Er kündigt sich den Passanten als ein ehemaliger Silbermedaillengewinner der Asia-Games an und bietet ihnen an, für einige Won ihren Stress und ihre Aggressionen an einem menschlichen Sandsack auszulassen. Sein Angebot richtet sich an alltägliche Sorgen und Bedürfnisse: unter der Wirtschaftslage leidende Geschäftsleute, enttäuschte und betrogene Liebende, aggressive Halbstarke. Er muss nicht lange auf Interessenten warten.
Dies ist der Beginn von CRYING FIST (2005, R: Ryoo Seung-Wan), einer Mischung aus Sportfilm und Soziodram, die in zwei konvergierenden Erzählsträngen die beiden dominanten Handlungsmuster des Sportfilms miteinander verbindet. Auf der einen Seite steht die Figur des stellenweise an Toshiro Mifune erinnernden Choi Min-Siks, ein alt gewordener Amateurboxer, der alles verloren hat und sich durch ein letztes Comeback die Anerkennung seiner Familie und seiner selbst zurückgewinnen will. Auf der anderen ein junger Mann, der in der Jugendstrafanstalt boxen lernt und für den der Sport eine Möglichkeit der Läuterung darstellt. Wie in vielen anderen Filmen auch dient der Topos Familie hier als Grundthema, das die beiden Handlungsstränge miteinander verbindet. In der Thematisierung von existentiellen Sorgen von Verlierern der modernen koreanischen Gesellschaft zeigt der Film Ansätze zu einem sozialem Realismus, die in einem interessanten Gegensatz zu den überhöhten, idealisierten Konflikten anderer Sportfilme steht. Die Boxsequenzen selbst sind andererseits durch eindrucksvolle Kamerafahrten eingefangen, die, anders als etwa in RAGING BULL, dessen Qualitäten in anderen Bereichen liegen, dem Sport tatsächlich gerecht werden. In seiner dramaturgischen Anlage nutzt der Film geschickt die Tatsache, dass der Sportfilm wohl eines der am meisten von Konventionen geprägten Genres ist, in dem z.B. der Zwang zu einem Spiel mit Erwartungen und dramaturgischen Standards weitestgehend ausgesetzt zu sein scheint. Beide Erzählstränge entsprechen konventionellen Mustern, der Zuschauer ist jedoch gezwungen Empathie und Identifikationspotential zwischen den beiden Protagonisten aufzuteilen. Treffen am Ende die beiden Underdogs im Ring aufeinander, so ist klar dass es ein bedingungsloses Happy End nur für einen der beiden geben kann.

Nach dieser kurzen Vorstellung der Filme nun noch einmal zu zwei der eingangs genannten Tendenzen:
Gewalt spielt als Motiv unter verschiedenen Aspekten eine Rolle. Dient sie gerade in den Cop- und Gangsterfilmen eher konventionell als Ausdruck von Macht, Überlegenheit und Unterwerfung, so stellt sie gleichzeitig auch eine Möglichkeit authentischen, kathartischen emotionalen Ausdrucks dar. Die gewaltigen Emotionen im Inneren der (meist männlichen) Protagonisten lassen sich nur bedingt durch Tränen allein entäußern. Gewalt als eine essentialistische Kommunikation innerer Zustände ist aufs engste verknüpft mit einer masochistischen Tendenz, die sich auf die intensive Rezeption christlichen Glaubens zurückführen lassen könnte. Besonders in CRYING FIST, A BITTERSWEET LIFE, OPEN CITY und THE FOUL KING steht vor allem das heroische Leiden im Mittelpunkt. Die Mutter aus dem Taschendieb-drama unterstreicht ihren Entschluss nie wieder kriminell zu werden damit, dass sie statt der Taschen ihrer Opfer ihren eigenen Mund mit einer Rasierklinge aufschneidet. Ein Schuldner zeigt in CRYING FIST seine Entschlossenheit zu seiner Schuld zu stehen dadurch, dass er die abgeclipsten Fingernägel eines Gangsterbosses schluckt.
Zuletzt identifizieren einige Werke Gewalt und Aggressivität auch als primäre Grundhaltung der modernen koreanischen Gesellschaft. Ob die unkonventionelle Geschäftsidee des alternden Boxers aus CRYING FIST (ein sarkastische Karikatur der modernen Dienstleistungsgesellschaft), der körperlich übergriffige Vorgesetzte aus THE FOUL KING, oder die Gangster-turned-Investmentbanker aus THE SCAM, die Motive betonen die unmittelbare Nähe zwischen einer radikalen Wettbewerbsgesellschaft und einer sozialdarwinistischen Ordnung des Stärkeren. Lässt der Regisseur des im Vorfeld der WM 2002 entstandenen FOUL KING eine Straßenschlägerei vor einem Wandfresko stattfinden, dass einen koreanischen Fußballspieler über einem leblos wirkenden Gegenspieler stehend zeigt und mit dem martialischen Slogan „Korea Fighting!“ überschrieben ist, so spielt er auf einen Zusammenhang zwischen der Obsession mit Gewalt und einem kollektiven Kompensationsbedürfnis angesichts der leidvollen Geschichte der koreanischen Halbinsel an.

Das Pathetisch-Melodramatische von Konflikten ergibt sich häufig aus der Betonung des Elements der Pflicht und weniger aus dem klassischen Konflikt zwischen äußeren Zwängen und innerer Neigung. Gerade in den Beziehungen zwischen den Generationen werden Konflikte häufig aus der Verletzung wechselseitiger sozialer Obligationen entwickelt. In OPEN CITY ist dies die Vernachlässigung der Mutterrolle, in FOUL KING und CRYING FIST das Versagen als Sohn beziehungsweise als Vater, das (über physisches Erleiden) kompensiert werden muss. In A BITTERSWEET LIFE ist es die exzessive Bestrafung des jüngeren Protégés durch den Älteren, welche das hierarchische Gefüge destabilisiert und die Anarchie des Rachefeldzuges in Gang bringt; und nicht nur die jungen Köche aus LE GRAND CHEF erben sowohl Konflikte als auch Verpflichtungen von ihren Großvätern. Besonders übersteigert erscheint die pathoslastige Darstellung von familiären Beziehungen in der an sich leichten Koch-komödie. Erscheint dort anfangs die Idee, das Verfahren für die Herstellung der perfekten Grillkohle bei einem verurteilten Mörder im Gefängnis suchen zu müssen, als ein origineller, absurd-komischer Einfall, so widmet der Film dem Nebenplot eine lange Rückblende, die in einem völlig anderen Ton von dem Schicksal des von der Mutter aus finanziellen Gründen verlassenen Sohnes handelt, für den von der Mutter zubereitete Süßkartoffeln zur höchsten Genuss werden und der schließlich im Affekt einen Mord begeht.
Ist die Destabilisierung familiärer Strukturen ein Auslöser dramatischer Konflikte, so enden die meisten Konflikte auch in einer Re-Etablierung der (symbolischen) Familiengemeinschaft, etwa in Form einer Aussöhnung zwischen den Generationen, oder wie in PRIVATE EYE in einer neuen Behelfs-familie. Auch hier kann noch einmal die Sonderstellung von FOUL KING betont werden, der durch seine offenen Enden Konflikte nicht explizit auflöst und der seinem Protagonisten echten Fortschritt und Erfolg verweigert.
Dennoch, betrachtet man die Kontraste in den internationalen Verleihtiteln A BITTERSWEET LIFE und CRYING FIST als Beschreibung der Heterogenität von grausam-gewalttätigen und pathetisch-emotionalen Elementen, so neigen viele koreanische Filme dazu, am Ende das Saccharine über das Bittere zu stellen, oder zumindest das Süße im Schmerzhaften zu betonen.
[...] vollständigen Artikel anzeigen

Sonntag, 18. Oktober 2009

Aus den DVD-Räumen Seouls (I)

(T.Hwa)

Eine meines Wissens nach spezifisch koreanische Form der Rezeption von Filmen stellen die so genannten DVD-Räume dar, Videotheken mit angeschlossenen privaten Heimkino-Räumen, die mit einem Sofa, Beamer oder Flachbildschirm und Surroundanlage ausgestattet sind. In einem Land in dem es üblich ist, dass junge Leute bis zu ihrem ersten Job im Elternhaus wohnen, soll dieses semi-private Leihwohnzimmer vor allem bei jungen Paaren beliebt sein. Jedenfalls findet man in manchen Räumen auch eine Box Taschentücher. Für den Fall dass der Film zu traurig ist, oder so.
Aus diesem soziokulturell geprägten Umfeld heraus folgt der erste Teil einer kurzen zusammenfassenden Beschreibung und Kritik der gesehenen Filme, die sich mit Tendenzen und Motiven im sozialen und kulturellen Kontext auseinandersetzen will.


Ein großer Teil des aktuelleren koreanischen Kinos ist von drei zunächst gegenläufig erscheinenden Tendenzen bestimmt. Zum einen einer teilweise bis ins Sadistische gehenden Faszination für exzessive, zum Teil willkürliche, körperliche wie psychische Gewalt, zum anderen einem Hang zu exzessiver Emotionalität, Pathos und Melodrama. Zuletzt lässt sich noch eine Neigung zu einem dunklen, zum Teil bis ins Groteske makabren Humor beobachten, der häufig in einem morbiden Verhältnis zu der gezeigten Gewalt steht.

In keinem anderen Film ist die teilweise unbequeme Verbindung von Gewalt und absurdem Humor deutlicher und reflektierter als in Kim Ji-Woons intelligenter, tragischer Slapstickkomödie THE FOUL KING (2000). Der aus Park Chan-Wooks SYMPATHY FOR MR. VENGENCE oder auch aus Kims THE GOOD, THE BAD, THE WEIRD bekannte Song Kang-Ho verkörpert darin einen kleinen Büroangestellten im Sinne Kafkas, der sich morgens an anderen rücksichtslosen Fahrgästen vorbei in eine überfüllte U-Bahn kämpfen muss um dann am Arbeitsplatz wegen seiner mangelnden Vertragsabschlüsse beschimpft zu werden. Auf dem Heimweg wird er von Jugendlichen Schlägern verprügelt, zuhause den Erwartungen seines Vaters mehr als nicht gerecht. Selbst in seinen Träumen wird er verprügelt. Als Möglichkeit des Widerstands gegen seinen sozialdarwinistisch gesinnten Chef, der regelmäßig seine Überlegenheit durch einen (unmetaphorischen) headlock beweist erscheint dem Underdog eine Karriere als professioneller Wrestler. Aus dem milden, nerdigen, sozial unsicheren Angestellten wird also der koboldhaft kichernde Foul King, ein Bösewicht des Wrestling, der seine Gegner auch mal mit einer Gabel traktiert. Die satirische Absicht der Komödie, die (im besten Sinne) niedrigsten slapstick (vertauschte Trickgabel), Situationskomik und absurde Momente kombiniert, richtet sich gegen die latente Aggressivität der koreanischen Gesellschaft, der die sich zwischen Inszenierung und Realität bewegende Fetischisierung von Gewalt im Wrestling entgegengestellt wird. Dabei stellt das Wrestling erfreulicherweise – und entgegen den Konventionen des Sportfilms – nicht die Lösung der professionellen, romantischen oder familiären Probleme des Protagonsiten dar. Es bietet dem ewigen Prügelknaben lediglich eine Möglichkeit seine latente Agressivität zeitweise in konkrete Umwandeln zu können. Verliert am Ende die Kamera den Protagonisten in einem dicht bevölkerten Stadtpanorama aus den Augen, so wird betont dass die Hinwendung zum Pro-Wrestling nicht so bizarr sein könnte, wie die Idee auf den ersten Blick wirkt.

Zunächst simpler, jedoch untergründig fast ebenso ambivalent behandelt ein anderer Film Kims das Thema Gewalt. Der Protagonist aus A BITTERSWEET LIFE (2005) ist der Protégé eines Gangsterbosses, dem er uneingeschränkte, quasi-familiäre Loyalität entgegenbringt. Dies verhindert jedoch nicht dass er zu einem der prototypischen leidenden männlichen Helden des koreanischen Kinos wird. Sich der Unterstützung seines Patriarchen sicher, zieht er sich den Unmut konkurrierender „Familien“ zu. Als er den Auftrag bekommt, die junge Freundin des Bosses zu beobachten, deren Seitensprung aber aus denkbar minimalistisch angedeuteten Zuneigung heraus aber nicht sofort verrät, wird er fallengelassen und zunächst von der fremden, dann der eigenen Bande gefoltert sowie (zweimal) lebendig begraben. Wie die „doppelte“ Hinrichtung andeutet verwendet der Film viel sadistische Energie auf die Etablierung der Ungerechtigkeit, die den Anlass zu dem jakobinischen Rachefeldzug des jungen Mannes gibt. Stirbt der Held an dessen Ende nach einem physischen Martyrium, so springt ein flash-back wieder in eine Situation zu Anfang des Films zurück. In der eleganten Umgebung eines Luxushotels steht der Protagonist, wieder ganz der smoothe, in einen schwarzen Anzug gekleidete Gangster, vor seiner Reflexion in einer Glasfassade. Nachdem er narzisstisch sein Outfit überprüft hat, beginnt er mit immer größer werdender Freude ein Schattenboxen vor dem Spiegel. Erinnert diese Szene an das Ende von RAGING BULL, so dürfte sie nicht nur deshalb eine Erklärung für die Nominierung des Films für das Festival in Cannes sein. Auch wenn der Regisseur in einem Interview wohl erwähnt hat, dass die Szene lediglich dazu diene, den tragischen Fall der Figur zu betonen, so erhält der Film durch sie auch eine reflexive Qualität. Ebenso wie der Gangsterboss auf die erste Gelegenheit wartet um gegenüber seinem sonst stets tadellosen Untergebenen seinen völligen Machtanspruch zu demonstrieren, so lässt sich die Rückblende als ein Hinweis auf die Sehnsucht des Protagonisten nach einem Vorwand verstehen, gewaltsam aus allen Ordnungen auszubrechen. Der Leidensweg der Figur repräsentiert damit neben dem konventionellen doppelten Akt der Rache und Buße auch einen Ausdruck der sadistisch-masochistischen Freude an Gewalt als Form männlicher Hybris. Indem der Film so die selbstzweckhafte Zwangsläufigkeit der tragischen Entwicklung betont hinterfragt er alle konventionalisierten Konzeptionen von Ehre und Hierarchie, um die es zunächst vordergründig geht.

Das murder mystery PARADISE MURDERED (1986, R: Kim Han-Min) spielt auf einer abgelegenen Insel vor der Küste und arbeitet geschickt mit den Konventionen und Erwartungen, die mit der Prämisse des Gegensatzes von Stadt und Land verbunden sind. Erinnert die absurde Darstellung von Provinzialität (inklusive der stock-characters eines pikaresken Dorfdepps und städtischer Entwicklungshilfe in Gestalt eines Arztes und einer Lehrerin) zunächst an MEMORIES OF MURDER, so nutzt der Film später die sonst unhinterfragten Implikationen des settings aus. Der zentrale, durchaus gelungene plot twist des Films entwickelt sich aus der Frage, was einen jungen, talentierten Doktor aus der Hauptstadt auf eine so isolierte Fischerinsel verschlägt und warum die dort lebenden Hinterwäldler so verdammt exzentrisch sind.

Wohl von Stephen Chows „moleitau“ (in etwa „Nonsense“) Komödie GOD OF COOKERY inspiriert handelt LE GRAND CHEF (2007, R: Jeon Yun-Su) von einem Kochwettbwerb in dem es um mehr als nur Sterne geht. Nachdem die entscheidende Verkostung in einem Duell um den Posten des Meisters einer prestige- wie traditionsreichen Kochschule in einer Vergiftung durch Kugelfisch endet, zieht sich der talentierte Koch Sung-Chan auf das Land zurück, wo er davon lebt Lebensmittel an alte Damen zu verkaufen, die ebenso sehr an ihm wie an seinen organischen Auberginen interessiert sind. Er kehrt aus diesem Exil zurück um an dem Wettbewerb um das Messer, mit dem sich der letzte Hofkoch einst die Hand abtrennte um nicht für die japanischen Besatzer kochen zu müssen, teilzunehmen und seine sowie auch die Ehre seines Großvaters wiederherzustellen. Dabei muss er nicht nur mehrere Gerichte mit jeweils verschiedenen Zutaten kreieren (was an die japanische Kochsendung THE IRON CHEF erinnert), sondern auch sein Trauma sowie den unsympathischen Konkurrenten überwinden, der einst sein Fischgericht sabotierte. Wo Stephen Chow das in ganz Asien besonders wichtige Thema Essen mit anarchischem kantonesischen Humor behandelte – etwa mit Fleischbällchen die so knackig sind, dass man mit ihnen Pingpong spielen kann – ist der Witz hier zum Teil auch ein Ergebnis (gewollt und ungewollt) maßlos pathetischer Übertreibung. Geht es in dem alles entscheidenden Duell am Ende um die Suppe, die einem König Tränen der Rührung entlockte, so soll etwa die Schärfe die Vitalität, das Fleisch des geduldigen Rindes das geduldige Beharren und die demokratische Gesinnung (?!) des koreanischen Volkes verkörpern. In der pathetischen Überhöhung des alltäglichen Themas liegen Komik und Ernst nah beieinander.

PRIVATE EYE beginnt als eine leichte Komödie im Stile eines sunshine-Neo-Noirs. Die titelgebende Figur spioniert in einem Korea Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts untreuen Ehefrauen hinterher um genug Geld für ein Ticket nach Kalifornien zusammen zu bekommen. Die Handlung kommt in Gang als ein junger Medizinstudent, der eine gefundene Leiche zu Studienzwecken benutzt hat, wegen der Prominenz des Opfers in Panik gerät. Die beiden müssen den Fall aufklären bevor der Verdacht der inkompetenten und korrupten Polizei auf den recht naiven jungen Mann fallen kann. Mit Polanskis CHINATOWN teilt der Film neben der sonnigen Lichtstimmung auch eine Wendung hin zu dunklen sexuellen Geheimnissen, die mit dem Look und unbescherten Ton des Anfangs brechen. Sehr viel überraschender als die Entwicklung des recht berechenbaren plots– wieso trägt der Bruder einer der Figuren wohl eine Maske? – erscheint die unvermittelte Härte, mit der die Verbrecher und deren Hintermänner in der japanischen Kolonialverwaltung gerichtet werden.
[...] vollständigen Artikel anzeigen

Samstag, 10. Oktober 2009

Notizen zu STRAW DOGS (1971)

(H. Carstensen)

Stimmt. Unter anderem demonstriert Sam Peckinpahs erstes Feature außerhalb des Western-Genres „die Mechanismen der Gewalt“, wie auf dem DVD-Cover steht. Präziser jedoch seziert der Film die männliche Psyche und allgemeiner: die menschliche Natur.

Die Inszenierung ist sorgfältig und überlegt wie ihr Protagonist, Mathematiker David Sumner (Dustin Hoffmann), den es mit seiner attraktiven Frau Amy in die Englische Provinz verschlägt, um ungestört an seinen Formeln zu arbeiten. Wie sich schnell heraus stellt: ein ungastlicher Ort voller xenophober Hinterwäldler, die wenig übrig haben für Brillenträger, Beatniks, Miniröcke und Nippel unterm Pulli (dieses das Ensemble der Zeichen der Moderne in der Exposition, die das junge Paar zu Dissidenten im durch vormoderne Strukturen beherrschten Dorf machen; ach ja: Behinderte aka Schwache sind hier auch nicht erwünscht).

Früh und zügig etabliert Peckinpah die Spielfiguren und –Steine auf dem Brett, hängt Tschechows Pistolen in Form einer Bärenfalle an der Wand auf, und man weiß: sie wird losgehen. Bleibt genügend Zeit, aus dem harmonischen ein zankendes Paar, aus dem intakten ein gekränktes männliches Ego und –vorläufiger Höhepunkt der langsam, stetig und unaufhaltsam voran schreitenden Eskalation- aus der lebenslustigen Amy das verstörte Opfer einer (zweifachen) Vergewaltigung zu machen. Am folgenden dörflichen „Gesellschaftsabend“ quälen Amy angesichts ihrer Peiniger, die dämlich saufend im selben Saal sitzen, üble Flashbacks der Tat. In genialer Kollisions-Montage bettet Peckinpah die Scham- und Gewalt-Blitze in dadurch schmerzhaft-harmlose Bild-Strecken spielender Kinder, oder grotesk wirkende, extreme Untersichten des Dorf-Pfarrers, der banale Zaubertricks vorführt. Peckinpah kontrastiert Amy´s Schmerz mit der Ahnungslosigkeit ihrer Umgebung, eingeschlossen die ihres Ehemannes David, erhöht so die Wirkung seiner Bilder. Die surrealistischen Ornamente, mit denen der Western-Routinier die Gang der Gewalttäter im Film konnotiert, weisen zarte inszenatorische Parallelen zu den Pop-Art gesättigten Halbstarken Droogs aus A CLOCKWORK ORANGE auf, der ebenfalls aus dem Jahr 1971 stammt. Beide Filme behandeln als zentrale Elemente sexualisierte Gewalt, gewalttätige Angriffe auf das und im unantastbaren Heim, und kommen jeder auf seine Art zu dem Schluss: gewalttätiges Verhalten ist unheilbar, seine Mechanismen scheinen zu tief in die menschliche Natur eingeschrieben. Während der Kubrick-Film (der Vorlage entsprechend) auf die ebenso ins Menschliche eingeschriebene Notwendigkeit des wählen-müssens abhebt, entwirft Peckinpah ein dem Western entlehntes ALAMO-Belagerungs-Szenario. Er zielt darauf ab, dem Bücherwurm David keine Wahl zu lassen: „This is where I live. This is me. I will not allow violence against this house.“ In die Ecke gedrängt hängt er den dünnen Mantel der Zivilisation an den Nagel und setzt schon mal Wasser auf, um den Angreifern später damit die Gesichter zu verbrühen.

„Bloody Sam“ lässt eher wenig Blut fließen. STRAW DOGS geht nicht exploitativ mit seinem Thema um. Aber Peckinpah inszeniert den dritten Akt als eine kathartische Selbstermächtigung des zuvor mehrmals gedemütigten und entmännlichten Intellektuellen David. David, so der Film, stellt sich seiner Angst und nimmt den Kampf auf Leben und Tod an. Geek-Empowerment, avant le lettre. Widersprüchlich bleibt die Kluft zwischen psychologisch genauer Zeichnung einer Eskalation in den ersten zwei Akten (Extern: Ausgrenzung, Spott, Drohung, Demütigung, Vergewaltigung; Pärchen- intern: Verunsicherung, Verletzung, Verrat), in die der Film viel Zeit investiert, und dem seltsam sorglosen Umgang im Finale mit den immerhin fünf Toten („Jesus…I killed them all.“). Schwachpunkt, oder lakonischer Umgang mit dem zum Ausbruch gekommenen Archaischen in uns allen…? A nice Question to dwell upon…

2011 soll ein Remake in die Kinos kommen, dass gerade gefilmt wird. Dustin Hoffmanns Part übernimmt James Marsden alias Cyclops aus X-MEN. Die neue Figur ist Hollywood-Drehbuchautor, und nicht mehr Mathe-Stipendiat. Die Handlung wurde in den Süden der USA verlegt. Bleibt abzuwarten, ob dem Klassiker eine neue, radikalere Lesart abgewonnen werden kann. Oder ob es schon jetzt ein heißer Kandidat für den schwachsinnigsten Film der neuen Dekade ist. Mmmh -what a nice Question to dwell upon…
[...] vollständigen Artikel anzeigen