Mittwoch, 26. Mai 2010

NA MOO EOBS NEUN SAN / TREELESS MOUNTAIN (2008)

(T.Hwa)

TREELESS MOUNTAIN der koreanischen Regisseurin Kim So Yong erzählt die Geschichte eines zweier Schwestern, die von der allein erziehenden Mutter verlassen werden und sich unter der nachlässigen Aufsicht ihrer Tante zurechtfinden müssen. Erinnert die Handlung damit an Kore-edas NOBODY KNOWS, so findet der Film einen völlig anderen, reduzierten ästhetischen Zugang zu dem Thema, in dessen Zentrum ruhig beobachtete, bemerkenswerte Schauspielleistungen der jungen Darsteller stehen.

Kim entwickelt die Story aus vertrauten Prämissen vieler asiatischer Filme, die häusliche Dramen zum Inhalt haben. So ist die Abwesenheit des Vaters (wie auch männlicher Erwachsener überhaupt), der die Familie vor Einsetzen der Handlung verlassen hat, eine Voraussetzung, die weder thematisiert noch dramatisiert wird. Ist die Mutter gezwungen ihre Kinder auf dem Land bei der Schwester ihres Mannes unterzubringen, um an einem anderen Ort Geld für die Familie zu verdienen, so steigert dies noch die Abwesenheit der väterlichen Autoritätsfigur.

Familien, die durch ökonomische Notwendigkeit auseinander gerissen werden, sind ein wichtiger Topos des koreanischen Films, dessen soziologischer Hintergrund wohl in der Erfahrung extremer Armut während und nach dem Koreakrieg zu suchen ist. Die bereits emotional besetzte, tragische Situation erhält dabei durch die Rolle des konfuzianischen Denkens in der stark konservativ ausgerichteten koreanischen Gesellschaft noch eine zusätzliche Dimension. Dieses betont eine unverletzliche, enge Bindung von Kindern und Älteren, deren Verhältnis von wechselseitiger Pflichterfüllung gekennzeichnet sein soll, und das die Basis für die Gesellschaft darstellt.
TREELESS MOUNTAIN findet ein prägnantes Motiv für die Verbindung von ökonomischen und inter-generationalen Abhängigkeiten, die den Kern der Handlung ausmacht. Die beiden Kinder erhalten von der Mutter ein Sparschwein. Wann immer sie der Tante gehorchen, so die Anleitung der Mutter, erhalten sie eine kleine Münze. Sobald ihr Schwein voll ist, wird sie wieder zu ihnen zurück kommen. Die Naivität einer kindlichen Fabel wird so mit harter, materialistischer Realität kombiniert. Die Schwestern, die jüngere meist in ein Prinzessinnenkleid gekleidet, erlernen bald eine ganz eigene Wertschöpfungslogik: gegrillte Grasshüpfer lassen sich an Kinder, die anders als sie noch zur Schule gehen, verkaufen. Tauscht man die Münzen gegen viele kleinere, so lässt sich auf magische Weise die Rückkehr der Mutter beschleunigen.

Dass man sich als Zuschauer kaum der durch subtile Mittel suggerierten Wirkung des Moments entziehen kann, als das Schwein voll ist und die Mädchen vergebens auf einem Schutthügel, dem baumlosen Berges ihrer Vorstellung, an der Bushaltestelle auf ihre Mutter warten, liegt vor allem an der geduldigen, beobachtenden Kamera. Diese moduliert durch den Einsatz von Teleobjektiven, subtil in längeren Einstellungen die Nähe und Distanz zu den Figuren. Häufig ist sie dabei nah an den Gesichtern der Kinder, während der Hintergrund in den unscharfen Bereich zurück tritt, während sie sich andererseits auch bewusst ist, dass sie in manchen Momenten den Figuren auch gestatten muss sich abzuwenden. Das Spiel der jungen Darsteller wirkt sehr naturalistisch, als hätte die Kamera aus der größeren Entfernung, die längere Brennweiten ermöglichen, ohne genauere Regieanweisungen und ohne durch ihre physische Präsenz zu beeinflussen einfach ihr natürliches Verhalten registriert.
Dieses reduzierte, beobachtende Verhältnis der Kamera zu den Figuren findet sich auch in der Erzählhaltung der episodischen Dramaturgie wieder. Auch die Tante, selbst allein lebend und Alkoholikern, ist von den Kindern überfordert und reicht sie an die Großeltern weiter. In einer beeindruckend aufgelösten Szene sieht man sie im Hintergrund mit dem Großvater streiten, der, eine weitere „abwesende“ patriarchale Figur, sich weigert die Verantwortung für seine Enkel zu übernehmen, während im Vordergrund hinter einer Ecke die Kinder (die jüngere rührend unberührt von dem Geschehen) die Entscheidung über ihren Verbleib abwarten. Noch bevor die potentiell dramatische Handlung im Hintergrund abgeschlossen ist, werden die Kinder von einer ankommenden alten Frau, ihrer Großmutter, wie sich in den folgenden Szenen abzeichnet, eingeladen, sich an einem Feuer zu wärmen. In Kims Film spitzen sich dramatische Situationen Konflikte nie zu dem offenen, häufig zum sentimentalen neigenden, Melodrama zu, dass so kennzeichnend nicht nur für das koreanische Kino ist. An dessen Stelle treten skizzenhafte Andeutung und Ellipsen, eine beiläufige Abfolge des Geschehens. Konsequent endet der Film in einer Offenheit, die sich abschließender Tragik und Hoffnung gleichermaßen verweigert.

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Sonntag, 25. April 2010

Chinas postmoderne Moderne: SHIJIE / THE WORLD (2004)

(T.Hwa)



Jia Zhangkes THE WORLD erzählt von Wanderarbeitern aus der chinesischen Provinz, die in einem Freizeitpark bei Beijing arbeiten, der die touristischen Attraktionen der Welt in einem Maßstab von 1:3 nachbildet und so reisewilligen Besuchern eine Weltreise zu Fuß ermöglicht. Der Film verfolgt den kargen Alltag seiner Figuren in dieser surrealen Umgebung und zeigt so den Kontrast zwischen dem Wunsch, in die Welt aufzubrechen und der Gewissheit, dass dieser Aufbruch nie kommen wird. Die Suche der Protagonisten nach der Moderne endet in einem postmodernen Simulacrum des Übergangs, das für die außer Reichweite liegenden Versprechen einstehen muss. Ihre eigene Moderne findet in den verfallenden Unterkünften statt, die noch auf die zurückliegende, industrielle Produktion des sozialistischen Systems verweisen.




Wie einer der Angestellten stolz gegenüber einem Verwandten aus der Provinz betont, stehen in dem chinesischen Manhattan die Türme des World Trade Centers noch: die raubkopierte Simulation übertrifft die Realität, wird aber auch von dieser überholt. Noch während Jias Kamera die Widersprüchliche dieses Nebenprodukts der Modernisierung einfängt, wird dieses schon wieder selbst historisch. Die Melancholie dieser schon überholt scheinenden Ersatz-Welt wird auch dadurch betont, dass auch der Welt-Park aus dem selben Beton wie die Industrieruinen ist - und damit ein bauliches und nicht etwa ein mediales Surrogat darstellt. So steht dieses lokale post-moderne Artefakt aus „low-tech“-Mitteln der Moderne für den paradoxen Zustands der chinesischen Gesellschaft zwischen einer noch nicht abgeschlossenen Moderne und einer simultanen Post-moderne, die nach Jias Filmen vor allem die Sehnsüchte des Subjekts prägt.

Für diese stehen, im Gegensatz zu den nachgebauten Attraktionen, die folkloristischen Tanzaufführungen und vor allem die bewusst naiv gehaltenen digitalen Zeichentrickfantasien, die der Film motivisch mit dem Gebrauch von Mobiltelefonen, als ökonomisch zugänglichstem Produkt moderner Technologie, in Verbindung bringt. Angesichts sozialer Verhältnisse, die eine potemkinsche Welt am Rande Beijings hervorbringen, erlaubt nur der Gebrauch elektronischer Konsumgüter digitale Träume von unbegrenzter Freiheit.



Schließlich sind es auch die (digitalen) Bilder der Besucher des Parks, welche der low-tech Simulation den Übergang zur medialen Post-moderne ermöglichen: die mit perspektivischer Verzerrung spielenden Schnappschüsse des schiefen Turms von Pisa unterscheiden in ihrem illusionären Charakter kaum zwischen Original und Surrogat.

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Donnerstag, 15. April 2010

DARE MO SHIRANAI / NOBODY KNOWS (2004)

(T.Hwa)

Eine allein erziehende Mutter zieht mit ihren Kindern in eine neue Wohnung. Die Stimmung ist fröhlich, die noch leeren Räume sind vom Sonnenlicht des Herbstnachmittags durchflutet. Aber beim gemeinsamen Abendessen erinnert die Mutter daran, dass die Kinder das Haus nicht verlassen sollen. An den folgenden Morgen verabschieden die Kinder ihre Mutter morgens, denn sie leben in einem ständigen Wochenende: keines von ihnen besucht eine Schule. Spät nachts erzählt die angetrunkene Heimkommende den Jüngeren von ihren Vätern.
Dann werden die Kinder für einige Wochen allein gelassen während sie in einer anderen Stadt Arbeit sucht, dem zwölfjährigen Sohn obliegt es als Ältestem, die Rechnungen zu zahlen und im Supermarkt Lebensmittel einzukaufen. Bei der Rückkehr gibt es Geschenke und liebevolle Gesten, doch schon bald kündigt sich die nächste Abwesenheit an - mit dem Versprechen, zu Weihnachten wieder zuhause zu sein.


Kore-eda Hirokazus Film, mit Darstellern im Alter von sieben bis vierzehn „in sequence“ über den Zeitraum eines Jahres gedreht, erzählt seine zunehmend schockierende Geschichte auf eine sehr leise, zum Teil fast indirekte Art.
Der japanische Regisseur verwendet viel Zeit darauf, die große Zärtlichkeit der Familienmitglieder im Umgang miteinander zu zeigen, auch als sich der weitere Handlungsverlauf schon abzeichnet. Immer wieder sieht man Nahaufnahmen von Berührungen, von Händen und Füßen, die auch die Verletzlichkeit der Kinder unterstreichen.
Die Figur der Mutter erscheint selbst kindlich, noch betont durch ihre auf jugendliches „kawaii“ abzielende Art zu Sprechen, die im Laufe des Films im Kontrast zu ihrem fortgeschrittenen Alter immer mehr verstörend wirkt. Überfordert vom Leben, sehnt sie sich nach einer sorgenfreien Beziehung mit einem Mann, der für sie sorgt; und wird in diesem Wunsch von dem Film ernst genommen. Da es ein leichtes wäre, die Figur als ein bloßes Stereotyp darzustellen, ist es Kore-eda gar nicht hoch genug anzurechnen, dass er die Figur nicht auf diese Art „aufgibt.“ Auch dem ältesten Sohn, an der Schwelle zur Pubertät und durch die Umstände gezwungen schnell erwachsen zu werden, gesteht der Film auch Momente zu, in denen die Anliegen seines Alters über die überantwortete Verantwortungen überwiegen; und damit eine menschliche Fehlbarkeit, die an die humanistische Seite Ozus oder Kurosawas erinnert.
Gerade weil der Film seine jungen Protagonisten durch ihre kindliche Unbefangenheit und schiere Freude auch am einfachsten Leben die extreme Situation so lange meistern lässt, verstärkt sich noch das beklemmende Gefühl des Zuschauers angesichts des langsamen Verfalls der Lebensumstände in der immer kleiner werden zu scheinenden Wohnung. Verlassen im späteren Verlauf des Films alle Geschwister gemeinsam ihr zuhause, um ausgelassen durch die Nachbarschaft zu laufen und einfach Kinder zu sein, so entsteht aus dieser einfachen, wenig symbolischen Handlung ein starkes, im besten Sinne rührender Moment.

NOBODY KNOWS ist, wahrscheinlich zeitlich begrenzt, auf der Online-Arthouse-Platform theauteurs.com kostenlos und legal als Stream zu sehen. Nicht nur aus diesem Grund möchte ich den Film uneingeschränkt empfehlen.
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Sonntag, 28. Februar 2010

Kalte Tage in Berlin: ein kurzer Rückblick auf die Berlinale

(T.Hwa)

Wie bei meinem ersten Besuch bleibt nach der Berlinale neben der Erinnerung an das extrem kalte Februarwetter das Gefühl, die Filme, die man nicht gesehen hat, müssten die besten gewesen sein. Hier einige Eindrücke zu den Filmen, die ich sehen konnte.


SUBMARINO (2010; R: Thomas Vinterberg) ist ein einfacher, auch berechenbarer Film, der seine Wirkung aus seiner Einfachheit heraus entfaltet. Vinterberg präsentiert sein Drama um zwei Brüder die versuchen, die Fehler in ihrer Kindheit zu vermeiden und doch immer wieder das Falsche tun, mit der zu erwartenden skandinavischen Unterkühlung und in Dogma-beeinflussten Bildern, die von Blau- und Grautönen dominiert werden. Bemerkenswert ist, dass der Film immer wieder auch riskiert, das Verhalten seiner Protagonisten nicht vorschnell zu erklären oder zu motivieren. Durch diese Offenheit, wie auch durch das Unterspielen der Schauspieler und ein latentes Understatement in den Dialogen, vermeidet der Film größtenteils jedes Pathos, das in der Thematik angelegt ist. Funktionieren einzelne Momente immer wieder durch ihre geradlinige Unmittelbarkeit – ein Zehnjähriger wird von seiner alkoholisierten Mutter geschlagen ohne dass er darüber noch irgendeine mimische Reaktion zeigen würde – so leidet der Film an einer etwas uneleganten Dramaturgie, welche die Geschichte der beiden Brüder in zwei Episoden teilt, die durch komplementäre Wiederholungen lose miteinander verbundenen sind. Diese ohne letzte Konsequenz angedeutete, an MYSTERY TRAIN erinnernde, Erzählstruktur gerät angesichts des Muts zur Einfachheit, den dieser Film an den Tag legt, zum unnötig komplizierten, prätentiösen Selbstzweck.

KANIKÔSEN (2009; R: Tanaka Hiroyuki) verlegt die Parabel einer sozialistisch-revolutionären Erweckung Ausgebeuteter von einem Panzer- auf einenretro-futuristischen japanischen Fischereikreuzer. Beginnt der Film mit einigen interessanten visuellen Gags und morbidem Humor (Massenselbstmord und Wiedergeburt in reiche Familien als working-class Utopie), so lässt die bedrückende low-budget Ästhetik, die ungewöhnlicherweise auch auf den Einfallsreichtum der Inszenierung übergreift, die 109 Minuten gegen Ende etwas lang werden. Bemerkenswert ist vor allem die (bewusst?) extreme Naivität, mit welcher der unter dem Pseudonym SABU bekannte japanische Regisseur die Romanvorlage aus den Zwanzigern verfilmt: Traumsequenzen sind übertrieben parallel zum Dialog, auf einem russischen Frachter tanzen und trinken die organisierten Arbeiter mit den Vorarbeitern, die blutgetränkte Fahne der neugegründeten Gewerkschaft flattert im Wind. Stärker noch als durch das zeitlose Setting verwandelt der Film seine Handlung so in ein Märchen und subvertiert damit die Botschaft der Vorlage in einem Übergang von Moderne zu Postmoderne. Dementsprechend gab es bei dem nachfolgenden Q+A in Anwesenheit des Regisseurs auch nichts Interessanteres zu erfahren, als dass seine Botschaft mit diesem Film an jüngere Generationen laute, jeder müsse versuchen sein Bestes zu geben.

A WOMAN, A GUN AND A NOODLE SHOP (2009; R: Zhang Yimou) beginnt mit einer dreiläufigen Pistole, die eine unglücklich verheiratete junge Frau von einem lächerlich kostümiert-aussehenden persischen Händler kauft. Da sie in der kleine Nudelküche mitten in der west-chinesischen Wüstenlandschaft von drei Männern umgeben ist, lässt sich erwarten, dass diese am Ende der Komödie ein gewaltsames Ende gefunden haben werden. Manche von ihnen mehr als einmal.
Zhang nennt als Vorbild für seine leichte Farce BLOOD SIMPLE (1984) der Coen-Brüder, ein Vergleich der angesichts des überzogenen Schauspiels, des zum Teil niedrigsten Slapstickhumors, sowie der unausgegorenen Dramaturgie, unter der der Mittelteil des Films leidet, recht fehl am Platze wirkt. Nichts desto trotz präsentiert der Film, sofern er es schafft die Bananenschalen-Komik hinter sich zu lassen, auch einige gelungene absurd-böse Szenen, sowie ein furioses Ende, das dann doch schon an schwächere Coens heranreicht.

Der deutsch–türkische Beitrag DIE FREMDE (2010; R: Feo Aladag) ist ein Soziodram, das sich dem kontroversen Thema „Ehrenmord“ konsequent aus der Perspektive einer leidenden jungen Mutter nähert. Der Film versucht diese komplexen Thematik darzustellen ohne zu sehr in simplifizierende Stereotype zurückzufallen. Zum Teil gelingt dies, zum Teil scheitert der Film an den Implikationen der gewählten Erzählperspektive.
Diese zielt ganz auf eine Identifikation mit einer weiblichen Protagonistin ab. Die von Sibel Kekilli gespielte weibliche Hauptfigur wird von der ersten Minute an Opfer physischer wie psychischer Gewalt. Auch scheut sich der Film nicht davor, den kleinen Sohn zur Steigerung der emotionalen Wirkung zu instrumentalisieren („Warum kann ich nicht zu Papa?“), wobei das Ende des Films dabei bis zum Äußersten geht. Es ist dieser Hang zu Suggestivität und starker Emotionalisierung des Zuschauers, der letztlich entgegen des Anspruchs der Regisseurin eine Einfachheit in der Zeichnung der Figuren überwiegen lässt. Nach den ausführlichen Kommentierungen der Gruppe Frauen im besten Alter neben mir zu urteilen neigt der Film so eher dazu, bestehende populistische Ressentiments zu bestätigen als durch seine zum Teil subtile Darstellung des Konflikts zwischen Familienbande und dem Druck der Erwartungen des sozialen Umfeldes zum Nachdenken anzuregen.

Setzt DIE FREMDE konsequent auf eine emotionale Einbeziehung des Zuschauers durch die Identifikation mit der Hauptfigur, so verweigert das Heimkehrerdrama CATERPILLAR (2010; R: Wakamatsu Koji) diese Anteilnahme mit einer erstaunlichen Beharrlichkeit.
Eine Ehefrau pflegt ihren aus dem zweiten sino-japanischen Krieg mit extremen physischen Verwundungen zurückgekehrten Mann, dessen Existenz auf das stumme Leben einer Raupe – Essen, Schlafen in unendlicher Wiederholung – zurückgeworfen ist. Damit erscheint sie zunächst als eine weitere stumm leidende, aufopferungsvolle weibliche Figur des asiatischen Kinos, zumal der sprachunfähige Torso, den sie pflegt, bald wie vor seiner Abreise regelmäßig Sex mit ihr fordert. Bald jedoch kehrt sich das Machtverhältnis um. In einer starken Szene fordert sie ihren an Armen und Beinen amputierten Mann auf sie zu schlagen, wie er es vor seiner Verwundung regelmäßig tat. Der Täter, verfolgt von flashbacks der Vergewaltigungen, die er in China verübte, wird immer mehr zum Opfer seiner Frau, für die die soziale Anerkennung für ihre Verdienste gegenüber dem „lebenden Gott des Krieges“ zunehmend zu einer Stütze ihrer Identität wird. Der Film hinterfragt damit das idealisierte Bild der opferbereiten, mütterlichen Frau und setzt diesem eine Darstellung der weiblichen Mentalität entgegen, die den militanten japanischen Imperialismus auch an der Heimatfront stützte. Durch diese multiple Umkehrung von Täter- und Opferrolle (der Film endet mit einer verwirrenden Coda, die über Dokumentaraufnahmen auch an die japanischen Opfer der Atombombenabwürfe erinnert) verweigert CATERPILLAR die klare Identifikation mit einer Figur, die zum Sympathieträger des Zuschauers werden könnte. Deutlich wird dies auch durch das erleichterte Lachen des Publikums bei Auftritten des stereotypen Dorftrottels; einer Erleichterung über die Eindeutigkeit des angebotenen comic-reliefs.
Doch nicht nur durch die Verweigerung von empathischer Nähe zu seinen Figuren, sondern in beinahe jeder Hinsicht ist Wakamatsus Werk ein zutiefst unangenehmer Film. Die visuelle Ebene ist von einer bedrückenden, digital wirkenden Bildästhetik geprägt, die selbst eigentlich idyllische Landschaftsaufnahmen hässlich werden lässt. Zum Teil extrem redundante Wiederholungen, auch der schockierenden Sexszenen, tragen dazu bei, den Film zu einer anstrengenden, wenn auch nicht uninteressanten Seherfahrung werden zu lassen.
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Montag, 1. Februar 2010

TRANSFORMERS 2 – Ein Selbstversuch

(T.Hwa)

Ein Einwand Holgers zu AVATAR war: „B-L-O-C-K-B-U-S-T-E-R...3-0-0-M-I-L-L-I-O-N-E-N---D-O-L-L-A-R.“ Vielleicht hat er recht, aber welche Erwartungshaltung hat man gegenüber dieser Art von Filmen?

Also: TRANFORMERS 2 - REVENGE OF THE FALLEN, Michael Bay, ca. 200 000 000 $ Budget, > 400 000 000 Box Office, davon 1,30€ von mir, 144 Minuten Live-Action Spielzeugroboter. Lautstärke 3 rauf.


Voice-over, Steinzeitmenschen werden von Robotern zerstampft – Militär – Autos, nein Roboter - 5. Minute, erste Explosion – Lautstärke 2 runter – ein böser Audi? – ein guter Truck – nein, Roboter – Megan Fox, Minirock – und/auf Motorrad – lebende Küchengeräte, im Ernst – Panty-shot – Fernbeziehung Sub-subplot – College-Humor, Bro – mehr Roboter – Bibliothek - Bang – orchestrale Musik – guter Truck tot? – versteckte Energiequelle – Rache (wofür?) – Suche (wonach?) – John Turturros jüdische minstrel show – Roboter im Grab aus Indiana Jones – und: „the matrix“ (?) – BANG – „I don’t know what’s going on, but we got to move.“ – mehr Militär – BOOM – Held tot? – „I love you“ – Vision – Held lebt wieder – guter Truck lebt wieder – Sonnen zerstörende Maschine unter den Pyramiden – BOOOOOM – Sonne gerettet – Top Ten Musik – zurück am College – „A Michael Bay Film.“

Alle Erwartungen erfüllt. (Nur Spaß, Holger..)
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Montag, 25. Januar 2010

„Ich habe nichts getan“ – A SERIOUS MAN

(T.Hwa)

Ethan und Joel Coens Film A SERIOUS MAN (2009) ist eine schwarze Komödie, die eine immense Grausamkeit gegenüber ihrem Protagonisten wie auch gegenüber dem Zuschauer entfaltet. Eine kurze Kritik.

Larry Gopnik (Michael Stuhlbarg) ist ein Physikdozent an einem kleinen Vorstadtscollege, der auf eine Festanstellung hofft und die Bar Mitzwah seines Sohnes erwartet. Über eine Spanne von etwa zwei Wochen wird er zunehmend mit der Aussicht konfrontiert, sein gesamtes bescheidenes Glück zu verlieren. Seine Frau will sich scheiden lassen, ihr neuer Partner sein bester Freund werden, der Nachbar auf dem fremden Grundstück bauen. Und die Einstellungskommission erhält anonyme Denunzierungen. Eine Szene zeigt Gopnik beim justieren der Antenne auf dem Dach so, als erhoffe er sich aus dem strahlend blauen Himmel mehr als ein Fernsehsignal. Doch eine Erklärung für sein Leiden wird dem modernen Hiob in seiner trostlosen vorstädtischen Wüste nicht gegeben werden.

Die Coens übersetzen so die Paradoxien der jüdischen Kultur in das bedrückend häuslich-vorstädtische Setting einer jüdischen Gemeinde in Minnesota, ca. 1967: tausende überlieferte Rituale und Erzählungen, aber die hebräischen Formeln aus der jüdischen Schule können letztlich ebenso wenig von den existenziellen Zweifeln befreien wie die physikalischen Formeln, die Gopnik lehrt. Dabei sezieren sie die autobiographisch geprägte Umgebung durch bitterbös genaue Beobachtung, die in einer Situationskomik der kleinen Details resultiert. Voraussetzung für diese ist eine präzise getimte, beeindruckend ökonomische Montage. Jede Einstellung hat ihren Platz, zum Teil entsteht Komik bereits durch den Umschnitt in eine ungewöhnliche Perspektive. Auch Stuhlbarg, dessen extrem weich wirkendes Gesicht sowohl zu einem stoischen Unterspielen eines Buster Keaton wie zu übertriebenen, verzerrten Grimassen der Verzweifelung in der Lage ist, trägt mit seinem Spiel viele komische Szenen.

Konsequent dehnt der Film die Grausamkeit, mit der er seinem Protagonisten jegliche Sinnstiftung verweigert, auch auf den Zuschauer aus. Immer wieder werden Erwartungen unterlaufen, bricht der Film ab um danach erneut anzusetzen. Scheint sich nach dem Initiationsritus des Sohnes in die jüdische Glaubensgemeinschaft auch vieles zu erleichtern und das Leben in erträgliche Bahnen zurückzukehren – noch sind die 105 Minuten nicht vorbei..
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Donnerstag, 21. Januar 2010

Charlie BRONSON (2009): Gewalt-Celebrity

(H.Carstensen)

BRONSON (2009) ist eigentlich weniger eine Story als vielmehr eine Reihe von abwechselnd gewalttätigen und komischen Vignetten, zusammengehalten durch den Stilwillen des amerikanisch-dänischen Regisseurs Nicholas Winding-Refn, ironisch-kühlen Kompositionen des Kameramanns Larry Smith, und die Performance von Tom Hardy, der das Kunststück fertig bringt, den Zuschauer für den titelgebenden Charles Bronson einzunehmen, der nach eigenem Bekenntnis nichts anderes macht, als sich mangels Talent zum Singen oder Schauspielern eben zum Ruhm zu prügeln. Dies tut der unter seinem bürgerlichen Namen startende Michael Petersson, seines Zeichens Großbritanniens gewalttätigster Gefängnisinsasse, und bis heute hinter (echten) Gittern, durchaus innbrünstig, gradlinig und konsequent, dass es einem beinahe schon Respekt abverlangt. Sicher nicht zuletzt, weil das innere emotionale Chaos dieses merkwürdig aus der Zeit gefallenen, glatzköpfig-schnauzbärtigen Vaudeville-Bareknuckle-Jahrmarkts-Boxers in sehr kontrollierten / stilisierten Bildern eingefangen wird. Stehende Aufnahmen oder Tracking-Shots, viele strenge, symmetrische Bildkompositionen, nie Handkamera, die betont künstlichen Music-Hall-Sequenzen, in denen ein expressiv geschminkter Bronson direkt die Kamera bzw. ein (imaginäres) Theater – Publikum adressiert: BRONSON´s visueller Stil in Stichworten.

Kameramann Larry Smith arbeitete bereits mit Stanley Kubrick zusammen (als DOP bei EYES WIDE SHUT und Oberbeleuchter bei BARRY LYDON und THE SHINING), und kaum eine Kritik des Films kommt ohne den Hinweis auf die Kubrick-Parallele aus. Natürlich erinnert der Einsatz klassischer Musik zur Ästhetisierung zeitlupenverlangsamter brachial-Gewalt an A CLOCKWORK ORANGE, Lichtsetzung und ausgewaschene Farben der Irrenhaus-Sequenzen an THE SHINING (-aber noch mehr an Milos Formans ONE FLEW OVER THE CUCKOO'S NEST) – und zweifellos sind dies schmeichelhafte Vergleiche. Während visuelle Parallelen zu ziehen gerechtfertigt ist, spielt Winding-Refn inhaltlich jedoch in einer anderen, in einer Post-Kubrick-Liga. BRONSON verhandelt nicht das universale Thema menschlicher Gewalt, die dubiose Logik eines inhärent gewalttätigen Strafvollzugs-Systems, oder die Gradwanderung zwischen staatlichem Gewaltmonopol und Tyrannei - ein Balance-Akt, der, wenn das Individuum das System herausfordert, in CLOCKWORK oder ONE FLEW… auf entlarvende Weise abstürzt. Das Setting in BRONSON, der bis auf kurze Intermezzi hinter Gittern spielt, hätte mehr als genug Möglichkeit dazu geboten, gängige Tropen des Knast- u. Psychatriefilms zu vertiefen. Und tatsächlich: Standards wie die Isolation im „Loch“, brutale Schließer, der bigott-menschenfeindliche Gefängnisdirektor etc. sind auch Bestandteil des Films. Aber mehr als Folie, und unter ironisch umgekehrten Vorzeichen. Entgegen der Genre-Konvention will Michael Petersson im Gefängnis bleiben. Er hat keinen anderen Plan, berühmt zu werden. Und erst sämtliche Knäste, Sicherheitsverwahrungen und geschlossene Abteilungen Englands machen aus ihm, was er immer sein wollte: Großbritanniens berühmtesten Knasti, einen Gewalt-Celebrity.

Bei Winding-Refn liegt das Kampfgebiet nicht im Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft, er verlegt den Kriegsschauplatz in das Individuum selbst. So werden die artifiziellen Sequenzen auf der Theaterbühne zu Innenansichten Bronsons, der sein imaginäres Publikum adressiert, und uns seine Sicht der Sache mitteilt: reuelos, unsentimental, und pointiert („I´ve always fancied myself somewhat as a Comedian!“) – Szenen, in denen Tom Hardy besonders glänzt, wenn sein schizophrenes Spiel die Essenz der Figur zwischen Bedrohung und cartoonhafter Gutmütigkeit anlegt (grandios z.B. die Szene, in der Bronson kurzzeitig aus dem Knast kommt, wieder in seinem Elternhaus einkehrt, und dabei an einem Baby-Foto von sich vorbeiläuft, dass Tom Hardy einen trocken inszenierten, gut gespielten Kommentar entlockt…). Es rumort in dem Mann. Gewalt scheint seine einzige eigene Ausdrucksform zu sein. Das britische Strafvollzugs-System bildet die natürliche Umwelt dafür. Regie und Schauspiel umschiffen die Klippe, die Gewaltverhältnisse dabei grundsätzlich zu verharmlosen. Petersson aka Bronson ist eben kein gewöhnlicher Gefangener: „Don´t get me wrong. For most people prison is tough. A monotonous nightmare. 24 hours a day. 7 days a week. 365 days a year of pure, unadultareted, living, breathing hell… But for me, prison was finally a place where I could sharpen my tools, hone my skills… It was an opportunity. And a place where soon every native was gonna know my name.“ Die ironisch-enthusiastische Einstellung Bronsons gegenüber seinem Habitat erlöst den Schauplatz vom Realismus-Anspruch und macht die Bühne frei für Winding-Refns filmische Analogie von Kunst und Gewalt. Diese wird durch einen Anstalts-Kunstlehrer auf den Punkt gebracht, der in das Leben des Häftlings tritt, und ihn zum Zeichnen inspiriert (was Winding-Refn dazu anregt, an René Magritte angelehnte Bildkompositionen einzubauen). BRONSON erzählt die Geschichte einer Menschwerdung, und wie dieser Mensch im Kampf mit sich selbst zum Künstler wird, der seine gewalttätigen Impulse produktiver umsetzt, als nur die Faust aufs Auge zu drücken. Für seine These von Gewalt als Akt der Kunst, und Kunst als Akt der Gewalt findet BRONSON verführerisch gute Bilder.

Winding-Refn bleibt sich treu. In der noch in Dänemark gedrehten PUSHER – Trilogie stand schon mal brutalste Gewalt im Mittelpunkt. Damals noch verortet im Drogenmilieu kleiner und mittlerer Kopenhagen-Mobster. Mit FEAR X machte er 2003 den Sprung in die USA. Dort fabrizierte er eine sehr stylische, aber inhaltlich konfuse Bauchlandung, die in ihren besten Momenten zwar aussah wie ein Lynch-Film, und einen Wimpernschlag lang nur über die Oberfläche (billardfilzgrün und sattes Alarm-Rot durchfluten einen anonymen Hotelflur, den die Kamera in langsamer, suggestiver Fahrt bis zu einer Tür herunter gleitet) an dessen Sog erinnerte – die die erwartungsvoll gehaltene Pause dann aber nicht in diesen untergründig-lynchesken Sog verwandeln konnte, weil der Story solche Untiefen schlicht abgingen - trotz John Turturros gutem Spiel. Gut also, dass BRONSON konsequent auf Psychologisierung verzichtet. Der Film ist eine ästhetisch inszenierte, augenzwinkernde Gewalt-Orgie, die mit kleinen Mitteln großen kinematischen Mehrwert aus der gezeigten Brutalität zieht, ohne die Konstruktion mit ideologischem Ballast zu behängen. Genau wie Charlie Bronson hat Winding-Refns homonymer schlanker Film die Muskeln an der richtigen Stelle, und dürfte sein bisher bestes Werk sein. Postmodernes Popcorn-Kino inklusive 80er-Soundtrack, allerdings nicht ohne kleine Widerhaken, wie das Ende von BRONSON auf besondere Weise veranschaulicht: bei aller Ästhetisierung gibt es auch in Bronsons Welt Konsequenzen, die einem ganz allein gehören, wenn der Vorhang fällt. Die Ironie endet kurz vor der Abblende, und bewahrt den realen Menschen Michael Petersson alias Charlie Bronson davor, in seinem eigenen Film zur Fußnote stilvoller Ästhetik zu verkommen. Chapeau.
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Donnerstag, 7. Januar 2010

Das Imaginarium Terry Gilliams

(T.Hwa)

Die Bilder in Terry Gilliams THE IMAGINARIUM OF DR. PARNASSUS (2009) sind so barock wie der Titel des Films es verspricht. Eine kurze Kritik zu einem Film, der wohl als „der letzte Film mit Heath Ledger“ bekannt werden wird.

Die Handlung folgt einer heruntergekommenen wandernden Kuriositätenschau, deren Betreiber einen faustischen Handel mit dem teuflischen Mr. Nick eingegangen ist, den Tom Waits mit dünnem Clark Gable Bärtchen und Bowler spielt. Zur Unsterblichkeit verdammt zieht Dr. Parnassus als selbst-erschaffener Gegenspieler des Teufels umher um Seelen durch einen Aufenthalt im Imaginarium, einem Raum jenseits des Spiegels, der die Phantasien des Eintretenden wahr werden lässt, zu konvertieren; immer in Furcht vor der nächsten Wette. Während die Truppe versucht, die neueste Wette mit dem Teufel zu gewinnen, rettet sie den an einem Strang von einer Themsebrücke baumelnden Tony, der Teil der Gruppe wird.

Die Idee des titelgebenden Imaginariums ist wenig mehr als ein unverhohlener Vorwand für Gilliam, seinen visuellen Fantasmen freien Lauf zu lassen. Dementsprechend ist der Film eine exzessive, eklektische Mischung von Ideen und Stilelementen, von denen ein Bruchteil der Welt von James Camerons AVATAR gut getan hätte. Ein Heißluftballon trägt die Züge des von Christopher Plummer gespielten Dr. Parnassus. Johnny Depp muss eine ältere Dame durch die Entscheidung zwischen dem One-Nite-Motel und einer kitschigen venezianischen Gondel begleiten. Russische Gangster flüchten sich unter den Rock eines russischen Mütterchens – direkt in die Arme Mr. Nicks. Es sind diese originellen, zum Teil bizarr-surrealen visuellen Einfälle, die den Film tragen. Nur selten rutschen auch hier die Fantasiesequenzen in zu glatte Nintendohafte CGI-Welten.

Die Dramaturgie ist, wie bei einem Film Gilliams vielleicht zu erwarten, so wirr und überladen wie die Bildebene und liegt ziemlich in Trümmern. Dies kann auch mit dem unerwarteten und publizistisch ausführlich verwerteten Tod Heath Ledgers zusammen hängen, durch den die Produktion verzögert wurde, der Film aber einen nicht unbeträchtlichen Publicityschub erhalten dürfte. Während der Tod des Hauptdarstellers während der Dreharbeiten wohl das Ende der meisten Projekte bedeutet hätte, lässt Gilliam das Aussehen des Protagonisten bei jedem Eintritt in die fantastische Welt des Imaginariums wechseln.
Das Ergebnis dieses Akts der Improvisation lassen sich in etwa so zusammen fassen: Johnny Depp liefert seinen Jack Sparrow/ Sweeney Todd, Colin Ferrell ist gut wenn er beim Showdown grimmig die Zähne fletschen kann, Jude Law zeigt einmal mehr, dass er keine Ahnung hat, was er vor der Kamera eigentlich machen soll. Ledgers Spiel ist schwer zu beurteilen. Gibt er die an Judas angelehnte Figur zu Anfang mit der naiven, clownesken Art aus BROTHER GRIMM (2005), so wird der Entwicklungsbogen der Figur durch die Wechsel der Besetzung unterbrochen und zunehmend schwerer nachzuvollziehen. Die Collage der idiosynkratischen Stilismen der einspringenden Schauspielkollegen kann diesen Mangel an Kohärenz nur unvollständig kompensieren.

Sicherlich ist IMAGINARIUM nicht der stärkste Film Gilliams. Besitzt er in Momenten Anklänge von TIME BANDITS (1981) und BRAZIL (1985), so haftet dem Insistieren auf einem visuellen l’art pour l’art vielleicht schon ein Hauch von Alterswerk an.
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Montag, 28. Dezember 2009

Avatar: Drei-D-die-Dritte

(H. Carstensen)

Licht & Lärm bietet bereits treffende Beobachtungen zum Jüngsten James Cameron. Zusammengefasst gehen die so: Ist AVATAR 3D ein faszinierendes Erlebnis? Ja. Reicht das? Nein. Sehe ich genauso so – also: fast.

Der Film ist in erster Linie die Sinne überwältigende Unterhaltung. Und ein wesentlicher Teil des Vergnügens entsteht aus der Erfahrung des 3-D Effekts: sich von ihm überraschen zu lassen und mit ihm vertraut zu werden. Bereits in den Real-Szenen ist der Raum-Effekt eine spannende, sinnliche Erweiterung des bisherigen Kino-Erlebnisses, z.B. wenn die Kamera durch Reihen von Soldaten fährt, oder man glaubt, die Scheibe eines Helikopters, hinter der der Schauspieler agiert, förmlich greifen zu können. Und er färbt ab. Die hybriden Na´vi - halb computergeneriert, halb durch Schauspieler im Motion-Capture-Verfahren lebendig gemacht – profitieren von der Plastizität der Real-Szenen, und gewinnen an Glaubhaftigkeit dadurch, dass sie, wie die„echten“ Darsteller auch, räumlich wahrnehmbar sind. Allerdings gewöhnt man sich an den Effekt, der auf ständige Bewegung angewiesen ist. Gerade ruhigere Passagen wirken unspektakulär – deshalb kommen vermutlich auch nicht so viele vor.

Obwohl oder gerade weil die Story schnell erzählt, und Gut und Böse klar aufgeteilt sind, hat der Film es bei mir (nicht immer, aber…) über weite Strecken geschafft, für die Figuren emotional einzunehmen. Auch hier arbeitet der 3D-Effekt für den Film, erleichtert es, in Pandoras Welt einzutauchen und Teil zu werden. In Zeiten von Erd-Erwärmung, Präkariat und transzendentaler Heimatlosigkeit ist der Na´vi-Cocktail aus New-Age-Spiritualität, „edler Wilden-Exotik“, starker Gemeinschaft und ökologischer Kritik ein berechnend gewähltes Sinnstiftungs-Angebot, die Diegese eine aus kleinsten gemeinsamen Nennern zusammen geschraubte Projektionsfläche für ein globales Publikum – wer sonst könnte die Kosten wieder rein holen -, welche aktuelle politische Auseinandersetzungen mit populären Wünschen verwebt. Nicht sehr tiefgründig, aber immerhin geschickt. Solange man kein Kunstkino erwartet und Spaß an spektakulärem Blockbuster-Kino hat: gut. Wer mir hier eine unkritische Haltung vorwerfen möchte, sei nochmal drauf hingewiesen: B-L-O-C-K-B-U-S-T-E-R...3-0-0-M-I-L-L-I-O-N-E-N---D-O-L-L-A-R. Wie subversiv solls denn werden?

In seiner Kombination von Produktions-, Animations-, und Projektionstechnik ist wohl noch nichts Vergleichbares über die Leinwand geflimmert. Cameron darf sich rühmen, Pionier zu sein. Beim Ausprobieren einer neuen Technik steht diese dann häufig auch im Vordergrund, die Geschichte fällt eher simpel aus (wie hier treffend beschrieben wurde). Parallelen zu TRON (1982) fallen einem ein: in den frühen 80er Jahren des letzten Jahrhunderts stellten die klobigen Rechteck-Flächen und Raster-Ebenen aus dem Computer den State of the Art da, den heute jede Handheld-Konsole an Komplexität übertrifft. Die Geschichte war eine simple, jugendfreie Queste, die ziemlich offensichtlich auch unabhängig von der Cyberspace-Umgebung, bspw. im Mittelalter funktioniert hätte. Sie bot keine kausale Verbindung zu ihrem Schauplatz. Ersetze den heiligen Gral durch eine Daten-Disk, und los geht die Reise. Es gab keine dialektische Verbindung zwischen Form und Inhalt. Im direkten Vergleich muss man Cameron zu Gute halten, dass sein Probe-Vehikel da inspirierter ist. Die Geschichte über den gelähmten Soldaten, der auf einer fernen Welt im synthetischen Körper ein Zweitleben erhält, greift Phänomene des Cyberspace mit Mitteln des Cyberspace auf. Unter der, für die Cowboy-und-Indianer-Action angenehmen, Prämisse, dass vorgenannter Raum ein realer ist, in dem man trefflich rumballern kann mit konventionellen Waffen. Cameron ist in Sachen Komplexität schon ein paar Schritte weiter gegangen als nur Pflichtprogramm. Ob die 300-Millionen Dollar Investition die Grenzen des Möglichen damit ausgeschöpft hat, ist eine andere Frage, die in der Wunsch-Zukunft besser mit Nein beantwortet werden wird – eine Hoffnung, für die die Aussichten allerdings nicht sehr rosig sind.

Blockbuster sind seit Jahren die Haupt-Einkommensquellen in Hollywood. Im Zeitalter des Downloads und Streams generiert 3-D-Kino ein Produkt, das für die nächsten paar Jahre nicht in den eigenen vier Wänden reproduzierbar sein wird. Nach digitaler Revolution und Krise der Musikindustrie war es die Eventisierung von Live-Musik, die Musikern heute ermöglicht von ihrer Kunst zu (über) leben. Ähnlich holen 3-D-Blockbuster ab sofort Menschen ins Kino, die 12, 50 € bezahlen, damit die Industrie am Leben erhalten und, wie es konventionelle Blockbuster bis jetzt taten, kleinere Filme „mit durchschleifen“. AVATAR ist in meinen Augen aber noch kein Zeichen für den Tod des herkömmlichen Kinos. Schwer vorstellbar, dass sich die Kino-Landschaft insgesamt, in ihrer Breite und Vielfalt, in den nächsten 5 Jahren radikal ändert. Das ist schon allein eine Preisfrage. Und auch der Kulturpessimismus des Rezensenten geht nicht soweit, als dass eine Technik, die sich, solange das Gegenteil noch nicht bewiesen ist, bislang erstmal nur für ein Genre wirklich eignet, das Interesse an allen anderen Genres auslöschen wird. Das Gros der Filme wird noch eine ganze Weile mit 2D, und der über hundert Jahre alten Suspension of Disbelief auskommen müssen. Zumindest, bis Produktion und Projektion billiger sind, und der erste Orson Welles des Digitalen 3-D Zeitalters sich aufschwingt, die inhaltlichen Möglichkeiten der 3-D-Technik voll und ganz an die Gegenwart anzuschließen. Für AVATAR gilt bis dahin: hätte schlimmer kommen können, hätte kürzer sein können, und hätte es THE MATRIX vorher noch nicht gegeben, und dieser hätte seine Premiere in 3-D gefeiert, hätte mich das wahrscheinlich um einiges mehr beeindruckt.
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