Donnerstag, 24. Dezember 2009

Reaktionen zu AVATAR

(D. Schanz)

Zunächst einmal vorweg: AVATAR ist der verdammt noch mal beste Film des Jahres, wenn nicht sogar des Jahrzehnts. Nee, quatsch, kleiner Scherz. Die allgemeine Hysterie, die momentan um diesen Film gemacht wird, kann ich nur bedingt verstehen und teilen möchte ich sie schon gar nicht. Zugegeben, Camerons Neuester ist in der Tat bahnbrechend – allein insofern, als dass man sich nach diesem tricktechnischen Spektakel nun kaum mehr vorstellen kann, dass Hollywood zukünftig noch dreistellige Millionenbeträge in Produktionen pumpen wird, die auf die hier in bemerkenswerter Selbstverständlichkeit ausgestellte, neuartige 3-D Technik zu verzichten wagen. Ob man es wahrhaben will oder nicht: AVATAR gibt einen fast dreistündigen, mit jeder Menge politisch korrektem Sci-Fi-Eskapismus garnierten Ausblick auf die Zukunft des (Blockbuster-)Kinos. Insofern hätte es wohl keinen trefflicheren Film geben können, um die vergangene Dekade abzuschließen und die nächste einzuläuten, die, da leg ich mich fest, vom 3-D Kino dominiert werden wird. Schon jetzt kann ich mir bildhaft vorstellen, dass kommende Generationen des Mainstream-Publikums dem traditionellen zweidimensionalen Film ähnlich missbilligend begegnen werden, wie es heute gegenüber dem klassischen Schwarzweiß-Film allzu häufig der Fall ist. Dabei ist es vollkommen unerheblich, dass der dreidimensionale Effekt nach spätestens einer halben Stunde gar nicht mehr groß auffällt, geschweige denn weiterhin in Staunen versetzt. Viel wichtiger ist, dass dem Zuschauer jene einstmals für perfekt gehaltene Raumillusion des zweidimensionalen Films plötzlich unzulänglich erscheinen wird. “Freuen“ wir uns also schon mal auf kommende 3-D re-releases digital unterfütterter Jungklassiker des Unterhaltungskinos wie MATRIX, SPIDERMAN, und LORD OF THE RINGS.

Und doch ändert all dies nichts daran, dass AVATAR in spätestens zehn Jahren von der breiten Masse nur noch ein müdes, wenn auch wohlwollendes Lächeln ernten wird. Denn tricktechnische Pionierarbeit in der Filmkunst altert nun mal ebenso rasch wie unvorteilhaft – und außer dieser hat Camerons Film leider nicht allzu viel zu bieten. Zu generisch, zu vorhersehbar, zu klischeehaft gibt sich diese in den Grundzügen nur allzu bekannte, fantastische Mär einer allen Widrigkeiten trotzenden, transkulturellen Initiationsgeschichte. Seine Formelhaftigkeit indes ist nicht das eigentliche Problem des Films. Vielmehr scheitert Cameron genau da wo in früheren Jahren noch seine großen Stärken lagen: einen ikonischen Moment oder auch nur ein einziges Bild, das auf lange Sicht seinen Weg ins kulturelle Gedächtnis finden könnte, sucht man in AVATAR vergebens.

Abgesehen vom durchaus beeindruckenden Aufzeigen der Möglichkeiten, die im dreidimensional gedrehten Film stecken, ist die visuelle Ästhetik des Films nämlich geradezu erschreckend banal. Das hat natürlich vielfältige Gründe. Der meines Erachtens nach zwingendste ist jedoch: AVATAR sieht aus wie ein Video-Spiel. Das bezieht sich nun nicht so sehr – wie man nach dem ersten offiziellen Trailer zum Film hätte befürchten können – auf die Texturen, also auf die im Computer generierte Oberfläche der Welt, die Cameron hier erschaffen hat, beziehungsweise der Figuren, die diese bevölkern. Im Gegenteil sogar – wirken die Na’vi doch überraschend lebendig und vor allem ihr Zusammenspiel mit der überwiegend digitalen Umgebung, durch die sie sich bewegen, geradezu natürlich. Viel mehr ist es die Logik, die seiner visuellen Ästhetik zugrunde liegt, die Camerons Film mit einschlägigen Vertretern des interaktiven Mediums, wie etwa den jüngsten „GTA“-Spielen, gemeinsam hat: Hier wie dort ist die digital kreierte Welt in all ihrem fetischistischen Detailreichtum wesentlich wichtiger als der Ausschnitt, durch den die virtuelle Kamera das Geschehen präsentiert. Die Kamera als einstige (ästhetisch) regulierende und sinnschaffende Primärinstanz des filmischen Paradigmas ist bei AVATAR zum Wasserträger degradiert, der eifrig damit beschäftigt ist, die multimillionenschwere Rechenarbeit des visual effects-Teams möglichst dynamisch abzubilden. Nicht mehr und nicht weniger wird von der Kamera gefordert. Das hat zur Folge, dass sie zumeist plan- und orientierungslos, mitunter fast ehrfürchtig staunend, so scheint es, durch diese durch und durch künstliche Welt taumelt – nicht unähnlich der virtuellen Kamera in „GTA“, die dem Anti-Helden Niko aus unterschiedlichen, scheinbar willkürlich generierten Winkeln und Abständen durch die Straßen von „Liberty City“ folgt. Eine wohldurchdachte mise en scène sieht anders aus.

Fast unaufhörlich ist Camerons Kamera in Bewegung und kommt nur selten zur Ruhe, die doch eigentlich – das scheint der ehemalige, und bei der kommenden Oscarverleihung vermutlich wiedergekrönte, „King of the World“ vor lauter Stolz auf sein aktuellstes Fabelreich vergessen zu haben – so unendlich wichtig ist für ein pointiertes Erzählen. Und wenn er der Kamera dann doch mal einen Moment des Innehaltens gönnt, wird dieser meist jäh unterbrochen durch die durchweg plumpe Montage, die den Zuschauer schon viel zu früh wieder in die nächste Szene schleudert. Emotionale Anteilnahme mit den Figuren, geschweige denn Bilder, die sich in das Unterbewusstsein des Zuschauers brennen, entstehen so natürlich nicht. Ohnehin, die Montage: ein Albtraum für Verfechter des klassischen Continuity-Editings, schneidet sie rigoros alles zusammen was sich nur irgendwie schnell genug bewegt. Funktionieren tut das, keine Frage, denn ständige Bewegung ist – das wissen auch Camerons Kollegen wie Michael Bay und Konsorten nur zu gut – der kleinste gemeinsame Nenner beim Zusammensetzen zweier Einstellungen. Wenn jedoch ästhetische Entscheidungen nur noch allein den Gesetzmäßigkeiten einer oberflächlichen Dynamik verpflichtet sind, dann macht sich schnell Beliebigkeit und letztlich Langeweile breit. Das mag vielleicht ausreichen, das Kino als Hort der Massenunterhaltung zu revolutionieren, den Film als Kunstform jedoch bringt AVATAR keinen Schritt weiter.

Zum Abschluss noch paar Worte zu Story und Plot von AVATAR. Andere Kritiker haben bereits zurecht auf das wiederaufgewärmte DER MIT DEM WOLF TANZT-Prinzip der Erzählung hingewiesen: naturverbundene Alternativzivilisation wird von (neo-)kolonialistischer Macht, die ersterer in Sachen technologischer Fortschritt und arrogante Gewissenlosigkeit um Lichtjahre voraus ist, in ihrem Dasein bedroht und erhält unverhoffte Hilfe eines der feindlichen Spezies angehörigen Individuums. So weit, so altbekannt. Was dann allerdings doch überrascht, ist, dass AVATAR sich keineswegs mit der imaginären Wiedergutmachung der genozidalen Nationalgeschichte der USA zufrieden gibt, sondern, in Anbetracht des aktuellen geopolitischen Kontextes, auch eine klare Position hinsichtlich der nur allzu gegenwärtigen neo-imperialistischen US-„Aktivitäten“ in Afghanistan bezieht. Die klassische gut/böse-Dichotomie wird dann auch höchst eindeutig besetzt mit friedlich im Einklang mit der Natur und dem eigenen Glauben lebenden Exoten auf der einen Seite und militärisch gestützten, nach wertvollen Rohstoffen geifernden amerikanischen Interessensgruppen ohne Sinn und Verständnis für alternative Lebensformen auf der anderen. AVATAR versucht, wie jede gutgemeinte Science-Fiction, eine möglichst scharfsinnige Aussage über Zukunft, Vergangenheit und vor allem Gegenwart zugleich zu treffen. Natürlich kann und will auch diese Erzählung nicht auf den Typus ’weißer Amerikaner’ als Identifikationsfigur verzichten, jedoch stellt sie sich hier ganz klar mit ihm auf die Seite der Eingeborenen – und lässt ihn gegen Ende sogar zum finalen Guerilla-Kampf aufrufen. Zu diesem Zeitpunkt im Film hätte es mich nicht überrascht, den ein oder anderen galligen „Yankee, go home!“-Kampfschrei aus der Ecke der Na’vi zu hören, dicht gefolgt von einem versiert abgefeuerten pandorrischen Pfeil-und-Bogen Geschoss. Dass sich Cameron dann nicht mal am Ende mit einer diplomatischen Lösung des Konflikts zufriedengibt, mag zwar vor allem dem höheren Unterhaltungswert der action-reicheren Variante geschuldet sein, ist aber nichtsdestotrotz eine durchaus wagemutige Entscheidung für den Regisseur, der sich vor etwa fünfzehn Jahren mit TRUE LIES den wohl unverhohlen patriotischsten Hollywood-Actioner der 90er zu Schulden hat kommen lassen. Dieser erfrischend direkte, unverhofft radikale ideologische Standpunkt macht AVATAR nicht unbedingt zu einem besseren, wohl aber zu einem zumindest narrativ interessanteren Film als ich im Vorfeld erwartet hatte.



p.s.: Der bizarre Umstand, dass die Leute auf den billigen Plätzen nach der (wohlgemerkt regulären) Vorführung geklatscht haben(!), hat mich irgendwie unangenehm an ganz ähnliche Reaktionen auf erfolgreiche Landungen bei Pauschalflugreisen erinnert. Das kulturpessimistische Urteil, die Kunstform Film verkomme zusehends zur Kommodität, erhält in diesem Zusammenhang eine ganz neue Qualität.

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