Freitag, 4. Dezember 2009

THE DUST OF TIME - Angelopoulos: out!

(H. Carstensen)

Manchmal ist es das Beste, nichts von der Arbeit eines Regisseurs zu wissen. Auf einem leeren Blatt anzufangen. Ohne Kontext. Ohne Vorwissen. Auf in Theo Angelopoulos´ letzten Film: THE DUST OF TIME, jetzt in den Kinos dieser Film-, Medien und Wirtschafts- Republik.Im ehemaligen Porno-Kino im Bleichen-Viertel, dem kleinen Juwel der nicht vorhandenen Mainzer Kino-Szene: dem PALATIN. Auf einer Leinwand, die den Charme einer Home-Entertainment – Anlage mit der Dunkelheit eines öffentlichen Raumes verbindet, den man mit Freunden teilt, die man noch nicht kennt. Das Setting passt zur Inszenierung wie ein Herren-Magazin ins Altersheim. Nur ohne Sex. Traurig? Ja. Der alte Grieche Angelopoulos situiert seinen jüngsten Film in der Erinnerung, dieser Zeit zwischen dem Jetzt und Hier und der Vergangenheit, die den Moment einholt, einfärbt, deutet und: determiniert? Es gibt kein jetzt ohne Geschichte. Im Fall von THE DUST OF TIME die Geschichte der griechischen Diaspora, so steht es auf dem Waschzettel. Der Film dreht sich um die griechischen Kommunisten Elin und Spyros, die 1952, nach gescheiterten Umsturzbemühungen in der Heimat, im Mutterland des Kommunismus Zuflucht suchen. Und erfahren müssen, dass der große Bruder Stalin mit Misstrauen und Repression regiert. Sie werden getrennt, und Spyros nimmt große Gefahren auf sich, um seine Geliebte wieder zu finden. Griechenland, so das Urteil der Geschichte, war nur ein Bauernopfer auf der politischen Landkarte des Kalten Krieges. Die Kommunisten, die damals den Bürgerkrieg verloren, wurden aus dem Land gejagt, nachdem pro-westliche Kräfte die Macht eroberten. In der Sowjetunion standen sie unter Beobachtung. Die Protagonisten des Films sind für ein falsches Versprechen zu Entwurzelten geworden. Soweit der historische Kontext. Dem Film geht es um die Liebe zwischen Eleni und Spyros, die Grenzen, Ideologien und die Zeit überwindet, um zu sich zu finden, und die letzten Fragen zu beantworten. Retrospektiv. Zunächst bildet sich das erstmal ab in schier unerträglich in die Kamera proklamiertem Pathos. Cut.
Für den Rückblick sorgt die zweite Erzähl-Ebene, auf der griechische Regisseur „A.“ (armer Willem Dafoe, zuletzt in Szene gesetzt von Lars von Trier, siehe hier) versucht, trotz familiärer Widrigkeiten seinen jüngsten Film abzuschließen: ein Melodram über seine Eltern, eben jene Eleni und jenen Spyros, die sich in der anderen Ebene mit der Kehrseite ihrer Überzeugungen herumschlagen müssen. Zwar sind sie Dissidenten und kommunistischer Bruder und Schwester, doch mit Heimat hat die Existenz in der Lager-ähnlichen Stadt in Sibirien, in die Eleni verschickt wurde, und aus der Spyros sie befreien will, nichts zu tun. Ich verließ das Kino nach ungefähr einer Stunde, und kann so auch keine Spoiler verbrechen.
Die Verquickung von Familiengeflecht, und gegenwärtigem Kampf des Regisseurs „A.“, seine Erzählung zu beenden, der Zerrissenheit und den Zweifeln in Dafoes´ Figur über die Echos der anderen Erzählung aus der Vergangenheit, die, so will es der Film, auf seine Gegenwart reflektiert, ließen mich kalt. Niemals war es die fehlende Legitimität der Kontemplation darüber, wie sich die Vergangenheit in die Gegenwart einschreibt, die mich abgeturnt hat. Und schon gar nicht der verführerische Gestus der Kamera-Arbeit, die in stetiger, ruhiger Bewegung und langsamen Fahrten Schnitte obsolet zu machen schien, und alles tat, um den Zuschauer in das Gezeigte hinein zu ziehen. Tatsächlich war letzteres eine herausragende ästhetische Qualität des Films. Auch die detailreich texturierten Bilder in braun, mattem grün, grau und Schnee-weiss, vor Patina strotzend, und eine sozialistische Tristesse par exzelence evozierend, mit verfallenen Gemeinde-Baracken und abmontierten Stalin-Büsten (der just stirbt in der erzählten Zeit), stimmig in Farbkonzept und wundervoll in der Mis-en-Scene, sind nicht dafür verantwortlich, dass ich mit dem Film nicht warm wurde. Sie lösen ein, was der Titel suggeriert. Was stimmt also nicht, wenn der goldene Schnitt in die Kamera strahlt, sich an perfekt ausgeleuchteter, schrottreifer real-sozialismus-Lager-Strassenbahn reibt, und mittels Wochenschau-Filmstreifen in die diegetische Gegenwart Dafoes´ Material-sichtender Regisseurs-Figur herüber transzendiert, als ihm -und: draufgepratzt dem Zuschauer- bewusst wird, wie sehr er selbst ein Produkt dieser ideologischen und emotionalen Verwerfungen des umkämpften 20. Jahrhunderts ist – durch seine Eltern, die gemäß des psychologischen Grundsatzes jeder Familien-Aufstellung, man kann nicht – „nicht-kommunizieren“ ihren Sprössling geprägt haben – was turnt so ab?

Die Figuren, die letzte Wahrheiten in die Kamera proklamieren, als gelte es, noch vor dem jüngsten Gericht die Seele zu reinigen. Sie lassen dem Zuschauer keine Chance, keine Interpretationsmöglichkeit, keinen Zweifel: „Ich wollte Dich nie verletzen. Du wusstest immer, dass ich die Frau eines anderen Mannes bin. Du hast gewusst, dass es früher oder später so kommt.“ Das sagt Eleni, als sie sich von ihrem „Hitler“-Shagg Bruno Ganz alias dem deutschen Juden Jacob trennt, mit dem sie sich während ihres Lager-Aufenthaltes, getrennt von Spyros, aus absolut legitimer Überlebensnotwendigkeit das Lager geteilt hat. Voller Ernst, ins Off blickend. Bruno neben sich. Der seinerseits ins Off blickt, als stünde dort die Mama, die ihm die kleidsame Pudelmütze so süß ins Gesicht gerückt hat (wohl eher eine geschmackvolle, erfolgreich arbeitende Kostümbildnerin). Und seinerseits Angelopoulos´sche Dialoge zitiert, die schon auf dem Papier tot waren. Denn kein lebender Mensch spricht so... Once again: keine moralischen Urteile an dieser Stelle. Kein Dissenz mit der emotionalen Verfasstheit der Figuren per se. Keine Bitterkeit über die Eindeutigkeit und Teleologie der Erzählung, soweit ich sie gesehen habe. Kein Hass auf das Kunstkino als solches. Ein alter Mann macht auf hohem filmischen Niveau Frieden mit seinem inneren Drehbuch. Einverstanden. Nur konnte ich mir den Streifen nicht zu Ende ansehen, denn: Wozu braucht Angelopoulos mich dazu?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen