Mittwoch, 26. Mai 2010

NA MOO EOBS NEUN SAN / TREELESS MOUNTAIN (2008)

(T.Hwa)

TREELESS MOUNTAIN der koreanischen Regisseurin Kim So Yong erzählt die Geschichte eines zweier Schwestern, die von der allein erziehenden Mutter verlassen werden und sich unter der nachlässigen Aufsicht ihrer Tante zurechtfinden müssen. Erinnert die Handlung damit an Kore-edas NOBODY KNOWS, so findet der Film einen völlig anderen, reduzierten ästhetischen Zugang zu dem Thema, in dessen Zentrum ruhig beobachtete, bemerkenswerte Schauspielleistungen der jungen Darsteller stehen.

Kim entwickelt die Story aus vertrauten Prämissen vieler asiatischer Filme, die häusliche Dramen zum Inhalt haben. So ist die Abwesenheit des Vaters (wie auch männlicher Erwachsener überhaupt), der die Familie vor Einsetzen der Handlung verlassen hat, eine Voraussetzung, die weder thematisiert noch dramatisiert wird. Ist die Mutter gezwungen ihre Kinder auf dem Land bei der Schwester ihres Mannes unterzubringen, um an einem anderen Ort Geld für die Familie zu verdienen, so steigert dies noch die Abwesenheit der väterlichen Autoritätsfigur.

Familien, die durch ökonomische Notwendigkeit auseinander gerissen werden, sind ein wichtiger Topos des koreanischen Films, dessen soziologischer Hintergrund wohl in der Erfahrung extremer Armut während und nach dem Koreakrieg zu suchen ist. Die bereits emotional besetzte, tragische Situation erhält dabei durch die Rolle des konfuzianischen Denkens in der stark konservativ ausgerichteten koreanischen Gesellschaft noch eine zusätzliche Dimension. Dieses betont eine unverletzliche, enge Bindung von Kindern und Älteren, deren Verhältnis von wechselseitiger Pflichterfüllung gekennzeichnet sein soll, und das die Basis für die Gesellschaft darstellt.
TREELESS MOUNTAIN findet ein prägnantes Motiv für die Verbindung von ökonomischen und inter-generationalen Abhängigkeiten, die den Kern der Handlung ausmacht. Die beiden Kinder erhalten von der Mutter ein Sparschwein. Wann immer sie der Tante gehorchen, so die Anleitung der Mutter, erhalten sie eine kleine Münze. Sobald ihr Schwein voll ist, wird sie wieder zu ihnen zurück kommen. Die Naivität einer kindlichen Fabel wird so mit harter, materialistischer Realität kombiniert. Die Schwestern, die jüngere meist in ein Prinzessinnenkleid gekleidet, erlernen bald eine ganz eigene Wertschöpfungslogik: gegrillte Grasshüpfer lassen sich an Kinder, die anders als sie noch zur Schule gehen, verkaufen. Tauscht man die Münzen gegen viele kleinere, so lässt sich auf magische Weise die Rückkehr der Mutter beschleunigen.

Dass man sich als Zuschauer kaum der durch subtile Mittel suggerierten Wirkung des Moments entziehen kann, als das Schwein voll ist und die Mädchen vergebens auf einem Schutthügel, dem baumlosen Berges ihrer Vorstellung, an der Bushaltestelle auf ihre Mutter warten, liegt vor allem an der geduldigen, beobachtenden Kamera. Diese moduliert durch den Einsatz von Teleobjektiven, subtil in längeren Einstellungen die Nähe und Distanz zu den Figuren. Häufig ist sie dabei nah an den Gesichtern der Kinder, während der Hintergrund in den unscharfen Bereich zurück tritt, während sie sich andererseits auch bewusst ist, dass sie in manchen Momenten den Figuren auch gestatten muss sich abzuwenden. Das Spiel der jungen Darsteller wirkt sehr naturalistisch, als hätte die Kamera aus der größeren Entfernung, die längere Brennweiten ermöglichen, ohne genauere Regieanweisungen und ohne durch ihre physische Präsenz zu beeinflussen einfach ihr natürliches Verhalten registriert.
Dieses reduzierte, beobachtende Verhältnis der Kamera zu den Figuren findet sich auch in der Erzählhaltung der episodischen Dramaturgie wieder. Auch die Tante, selbst allein lebend und Alkoholikern, ist von den Kindern überfordert und reicht sie an die Großeltern weiter. In einer beeindruckend aufgelösten Szene sieht man sie im Hintergrund mit dem Großvater streiten, der, eine weitere „abwesende“ patriarchale Figur, sich weigert die Verantwortung für seine Enkel zu übernehmen, während im Vordergrund hinter einer Ecke die Kinder (die jüngere rührend unberührt von dem Geschehen) die Entscheidung über ihren Verbleib abwarten. Noch bevor die potentiell dramatische Handlung im Hintergrund abgeschlossen ist, werden die Kinder von einer ankommenden alten Frau, ihrer Großmutter, wie sich in den folgenden Szenen abzeichnet, eingeladen, sich an einem Feuer zu wärmen. In Kims Film spitzen sich dramatische Situationen Konflikte nie zu dem offenen, häufig zum sentimentalen neigenden, Melodrama zu, dass so kennzeichnend nicht nur für das koreanische Kino ist. An dessen Stelle treten skizzenhafte Andeutung und Ellipsen, eine beiläufige Abfolge des Geschehens. Konsequent endet der Film in einer Offenheit, die sich abschließender Tragik und Hoffnung gleichermaßen verweigert.

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