Donnerstag, 30. Juli 2009

Gegen-Beobachtungen und Ergänzungen zu THE GOOD, THE BAD, THE WEIRD (2008)

(T. Hwa)

Die Überschrift des Blogs verspricht Kontroversen, die sich bis jetzt noch nicht ergeben haben. Wenn ich im folgenden auf den letzten Post zu THE GOOD, THE BAD, THE WEIRD eingehe, so hoffe ich damit wenn schon nicht zu den „Wortgefechten,“ so doch zumindest zum „Dialog“ beitragen zu können.

Zunächst einmal wenig kontroverse Zustimmung: D. Schanz beobachtet ganz richtig, dass das koreanische Kino in seinen Themen und Subtexten eine starke Selbstbezogenheit zeigt, während etwa das neue chinesische Blockbuster-Kino paradoxerweise neben seinen ideologischen bis revisionistischen Implikationen auch eine (zumindest ökonomisch) stark pan-asiatische Ausrichtung besitzt.

Wie auch D. Schanz feststellt, basiert der Western ähnlich wie der Science-Fiction Film auf dem Postulat eines symbolisch aufgeladenen Raumes. Während dieser Raum in Science Fiction primär zeitlich („die Zukunft“) und räumlich bestimmt ist („die Weiten des Alls“), tritt im Western neben die in die Bezeichnung des Genre eingegangene räumliche Definition auch eine soziale Dimension. In der noch im Entstehen begriffenen Gesellschaft der Grenzterritorien erscheinen soziale Grenzen noch durchlässig, die Fähigkeit mit dem Colt egalisiert die Individuen angesichts des Fehlens anderer Normen. Der Westen wird damit zu einer sozialen und individualistischen Utopie und wird als solche mit dem Gründungsmythos der USA verbunden.
Verlagert man nun das setting des Genres nach Asien, so ergeben sich einige interessante kulturelle Wechselwirkungen: die Mandschurai wird hier zum mythisierten, imaginierten, grenzen- und gesetzlosen Westen von Asien. Dieser metaphorische Raum ist zum einen von Bedeutung, da die koreanische Halbinsel so flächenmäßig begrenzt ist und, wie D. Schanz in seiner Interpretation des revisionistischen Subtextes beschreibt, Korea historisch stets von dominanten Mächten in seiner Existenz bedroht war. Zum anderen spielt auch die soziale Entgrenzung eine wichtige Rolle, gerade da asiatische Gesellschaften traditionell von stark hierarchisierten sozialen Strukturen geprägt sind.
Ein weiterer interessanter Punkt ist, dass der Schauplatz des Films implizit auf eine Vergangenheit zurück verweist, die vor der politischen Existenz Koreas liegt. Die Einwohner Koreas verfolgen ihre ethnischen Wurzeln zu nomadischen mongolischen Reiterstämmen zurück, deren Reich neben der Mandschurai auch Korea, China und große Teile Russlands umfasste. Vielleicht gerade weil die „imperialen“ Versuche Koreas Anfang des 20. Jahrhunderts etwa den gleichen Erfolg hatten wie die kolonialen Bestrebungen des deutschen Reiches, erlaubt es die (Re-)Imagination von Koreanern als "Reitervolk" nicht nur der japanischen Armee Widerstand zu leisten, sondern auch die geographische Isolation der Halbinsel zu überwinden und die Weiten der asiatischen Steppe (wieder) zu erschließen.

Noch zwei kurze Bemerkungen zu den geäußerten Kritikpunkten an filmischen Aspekten, die zum Teil wiederum auf das Genre verweisen. Obwohl ich den Film nicht über Gebühr erheben will, erscheint doch gerade das Urteil über den Showdown des Films nicht ganz gerecht. Stehen sich die drei Protagonisten des Titels in einem Dreiecks-shootout gegenüber, so wird sowohl in der Situation als auch in dem übermäßigen Pathos der Inszenierung die Anspielung auf die „chinese stand-offs“ John Woos deutlich. Über die legitimen ideologischen Deutungen des Inhalts darf man nicht vergessen, dass die Referenz für Kim Ji-Woons Film nicht die Western Leones sind. Mehr als alles andere ist der Film auch eine Genre-farce (im wörtlichen Sinne „füllen“ von enleerten Genrestrukturen). Der Schwerpunkt der Aussage liegt nicht auf „Western,“ sondern auf dem qualifizierenden „by Kim Jee-Won“ das die Abweichung von dem Genre signalisiert. Deutlich wird dies vor allem in der von Song Kang-Ho gespielten Figur („The Weird“). Der quixotische Narr, der in alles nur herein geraten ist, gewinnt am Ende und geht seiner Wege, während sowohl Gut als auch Böse (edit: zunächst) tot im Staub liegen bleiben. Wie in seinen Rollen als ebenso verbissener wie minderbemittelter Kommissar in MEMORIES OF MURDER oder als Kioskbesitzer, der in THE HOST zum Monsterjäger aufsteigt (beide Filme unter der Regie von Bong Joon-Ho), ist er auch hier der sympathische Underdog, der sich überraschenderweise gegen alle Widerstände und abseits aller ideologischen Fronten und Ideale durchsetzt. Eher als den Killer als die dunkle Seite des Turbokapitalismus der modernen koreanischen Gesellschaft zu sehen, bietet es sich an, die Figur des „The Weird“ als leicht ironische Karikatur des koreanischen Selbstbildes zu interpretieren.
Auch wenn man den Film als symptomatisch für eine selbstzentrierte Tendenz des koreanischen Kinos begreift, bilden die kritisierten "dramaturgisch-strukturellen" Schwächen des Films klar eine Parallele zu der Abwesenheit von kohärenter Dramaturgie bzw. der Dominanz des Episodenhaften in westlichen Blockbustern wie FLUCH DER KARIBIK, usw. Bei allen national orientierten Subtexten auf der inhaltlichen Ebene, formal ist hier eher eine Konvergenz hin zu einem internationalen Modell des Blockbusters auszugehen, das Schauwert und Abwechslung gegenüber geschlossener Dramaturgie prädestiniert.
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Mittwoch, 29. Juli 2009

Beobachtungen zu THE GOOD, THE BAD, THE WEIRD

(D.Schanz)

„WESTERN by KIM JEE-WOON“ – wie ein Ausrufezeichen prangt diese Genreproklamation, zugleich selbstbewusst und selbstironisch, ganz am Ende des Films, nachdem auch die letzten Credits in koreanischer Schrift durchs Bild gerollt sind. Man könnte da als Zuschauer ja etwas übersehen haben…

Spätestens im neuen Jahrtausend scheint der Western, der wie kein anderes Filmgenre als nationalideologisch (mit seinem Ursprungsland Amerika) verknüpft gilt und seine kulturräumliche Eingrenzung sogar im Namen trägt, endlich seiner nationalen Fesseln befreit. Sicher, bereits in den 1960er und 70er Jahren gab es reihenweise internationale, dabei vorwiegend europäische, Produktionen, die sich der Western-Ikonographie bedienten – die Karl May Verfilmungen und vor allem natürlich der Italo-Western um nur die populärsten Vertreter zu nennen. Allerdings war zumindest ein imaginiertes „Amerika“ steter Referenzpunkt jener Filme: die italienischen, französischen, oder deutschen Schauspieler hießen dort, relativ unironisch, Joe oder Winnetou; es ging um Dollars oder das bittere Schicksal der „Indianer“; und ganz gleich ob in den spanischen Gebirgen oder im jugoslawischen Hinterland gedreht wurde – gemeint waren immer die Rocky Mountains und die staubige Wüste Nevadas.

In den letzten Jahren allerdings, sind vereinzelt, aber doch zumindest zahlreich genug um aufzufallen, in verschiedensten Filmnationen auf der ganzen Welt transnationale Auswüchse des Genres entstanden, die ganz bewusst mit den semantischen Elementen des Westerns umgehen und den nationalideologischen Bezug kritisch umdeuten (Beispiel BAMAKO), ihn von Grund auf dekonstruieren (SUKIYAKI WESTERN DJANGO), oder gar im eigen nationalistischen Sinne umfunktionieren – wie eben auch und ganz aktuell im Fall von THE GOOD, THE BAD, THE WEIRD geschehen.

Natürlich gibt es hier Figuren, die mit Cowboyhut auf dem Kopf und Pistole im Halfter auf Pferden durch die Wüste reiten; und sicherlich ist der Film ein vages Remake – der Titel weist darauf hin – von Sergio Leones zweitbestem Western (und scheitert im direkten Vergleich so kläglich, dass es fast schmerzt beispielsweise den grandiosen final shootout des Originals in einer solch fantasielos inszenierten Neuauflage ertragen zu müssen). Aber bei all den (Italo-)Western-Anleihen ist Kims Film vor allem ein aufwändig produziertes Stück Actionkino, das sich nichtsdestotrotz der bekannten Genretopoi bedient, um eine Allegorie auf das koreanische Selbstverständnis zu erzählen.

Der Spielort dieses koreanischen Western ist die Mandschurai der 1930er Jahre, die ein rohstoffreiches und daher geopolitisch interessantes Territorium für sowohl China als auch Russland und Japan war. Das angrenzende Korea, zu jener Zeit durch das japanische Kaiserreich besetzt, diente den Japanern als Zwischenlagerstätte für Rohstoffe, die aus der Mandschurei nach Japan transportiert werden sollten. Soviel zum geschichtlichen Hintergrund.

Erstaunlich ist dabei, dass es in Kims Version des multikulturellen Tummelbeckens der Mandschurei von Koreanern nur so wimmelt, die allerdings mit dem geopolitischen Treiben herzlich wenig am Hut haben und lediglich ihr individuelles Glück suchen. So sind dann, wie kann es anders sein, auch die drei Titelfiguren koreanischer Herkunft. Ein nomadischer Kopfgeldjäger (The Good) wird von einer koreanischen Unabhängigkeitsgruppe angeheuert, um ein scheinbar politisch wertvolles Dokument in deren Besitz zu bringen, hinter welchem auch die Japaner her sind, die zu diesem Zweck den berüchtigtsten (ausgerechnet koreanischen) Killer des Landes (The Bad) schicken. Als das Schriftstück, das sich recht bald als „Schatzkarte“ entpuppt, dann jedoch einem durchgeknallten Kleingauner (The Weird) in die Hände fällt, beginnt die wilde Hatz quer durch die staubige Landschaft der Mandschurei. Das alles ist nur leidlich spannend und mit einigen dramaturgisch-strukturellen Schwächen inszeniert, aber dafür durchaus rasant und mit einigen wirklich komischen Szenen, die fast immer auf das Konto vom Ausnahmeschauspieler Song Kang-Ho (SYMPATHY FOR MR. VENGEANCE) gehen, der den Gauner Yoon Tae-Goo mit ungeahnt komödiantischem Verve verkörpert.

Wirklich bemerkenswert ist THE GOOD, THE BAD, THE WEIRD, der als einer der teuersten koreanischen Produktionen aller Zeiten gilt, eigentlich erst in seinem Subtext: Liest man die drei titelgebenden Outlaw-Figuren, diese unkorrumpierbaren, von feindlichen Mächten einfach nicht unterzukriegenden Stehaufmännchen, als Verkörperung Koreas, ergibt sich ein faszinierendes Selbstbild dieser notorisch gebeutelten Nation. Eine Szene mit höchstem Symbolwert ist die wahnwitzige Verfolgungsjagd gegen Filmende, in der eine Übermacht von verschiedenen Interessensgruppen – unter anderem die japanische Armee(!) – auf Pferden und Geländewagen und bis an die Zähne bewaffnet hinter dem auf seinem charakteristischen Motorrad vorneweg pesenden Yoon Tae-Goo her sind, dieser aber noch jeder Attacke entwischt, während Kopfgeldjäger Park Do-Won quasi im Vorbeireiten einen japanischen Soldaten nach dem anderen über den Haufen schießt. Mit größter Leidenschaft werden in Kims Film nationalistische Fantasien wie diese durchgespielt und ein durch und durch nostalgisch-verklärtes Bild der eigenen Nation entworfen. Korea, das in seiner Geschichte schon aufgrund seiner geographischen Lage beinah ständig Opfer von fremden Besatzungsmächten war, tritt hier in Form der Hauptfiguren des Films als ewiger Underdog im geopolitischen Kräftemessen auf – von allen Seiten bedroht und doch immer wieder sich selbst behauptend. Der so offensichtlich bemühte Bezug zum Western-Genre, mit seinen vielen Prädispositionen, allen voran jener des Outlaws, der allein sich selbst treu bleibt, unterstützt die unterschwellige Agenda des Films, von einem grundindividuellen und (politisch) unabhängigen Volk zu erzählen.

Die anderen Völkergruppen kommen dabei im Vergleich denkbar schlechter weg. So werden die Chinesen höchst eindimensional als zwielichte Verräter, die Mandschu als barbarische Räuberbanden und die Japaner als imperialistische, völlig inhumane Aggressoren dargestellt. Die koreanische Unabhängigkeitsbewegung indes, die erkennbar intellektuell, aber bereits mit jeder Menge machtpolitischem Bestreben daherkommt, ist ein klarer Verweis auf die spätere kommunistische Führung Nordkoreas. Über diese eindimensionalen Klischeezeichnungen kommt im Film kein Vertreter jener Völkergruppen hinaus.

Da ist der Film bezüglich seiner Darstellung der Koreaner eindeutig spannender, weil vielschichtiger. Die Dreifaltigkeit der Titelfiguren, die meiner Lesart nach das koreanische Volk repräsentieren, schließt eben auch den ruchlosen Killer Park Chang-Yi mit ein, der auf seiner Jagd nach dem Status des besten Gunfighters (nicht nur) der Mandschurei buchstäblich über Leichen geht. Park Chang-Yi, der zumindest nationalistisches Ethos beweist, wenn er bereits in der Mitte des Films seinen vaterlandsverratenden Auftraggeber abmurkst, steht hier für die moralischen Defizite, die der Turbokapitalismus des modernen Koreas mit sich bringt. Interne Probleme, werden in Kims als Western maskierter Version des koreanischen Spirits also anerkannt, jedoch auch bevorzugt intern gelöst – wie der finale Shootout zeigt, der allein zwischen den drei Titelfiguren entschieden wird, während die externen Aggressoren, die kurz zuvor noch recht potenter Teil der oben beschriebenen Hetzjagd waren, unerklärlicherweise, aber natürlich dennoch ganz bewusst, durch Abwesenheit glänzen.

Wies T.Hwa noch in seinem letzten Blogbeitrag auf die globale Ausrichtung chinesischer Großproduktionen (in erster Linie mit den selbstorientalistischen, monumentalen neo-Wuxia Filmen) hin, so erweckt THE GOOD, THE BAD, THE WEIRD dagegen erneut den Eindruck, dass die Koreaner, nach ähnlich nationalistisch gearteten, heimischen Blockbustern der letzten zehn Jahre, wie SHIRI, FRIEND, oder TAEGUKGI, am liebsten Filme über und für sich selbst zu machen scheinen. In diesem Hinblick interessant ist einmal mehr die, natürlich nicht allein auf das koreanische Kino zu beschränkende Beobachtung, dass unverhohlen politische Ideologisierung im Film vor allem über solch aufwändig produzierte, nationale Prestigeproduktionen geschieht.
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Samstag, 25. Juli 2009

Spuren einer Post-1997 Identität im Hongkong Kino

(T. Hwa)

Wie bereits an anderer Stelle kurz angedeutet, musste ich während meines Aufenthaltes in Hongkong feststellen, dass die einst extrem produktive lokale Filmindustrie, die in den 30ern nach der Besetzung Shanghais durch japanische Truppen durch den Exodus der dortigen Studios entstanden ist, sich heute in einem Stadium der Auflösung befindet. Auch ohne allzu voreilig zu dem Euphemismus „Neuorientierung“ zu greifen, lassen sich an aktuellen Produktionen aus Hongkong Tendenzen ablesen, die es nötig machen in anderen Kategorien als denen der postkolonialen Theorie zu denken, welche so lange für die Betrachtung des Kinos dieser Region prägend waren. Hier einige Ideen zu einer solchen post-postkolonialen Sicht, die im Rahmen eines Seminars an der City University of Hong Kong entstanden sind. (Ich habe leichte Veränderungen und Ergänzungen vorgenommen und mir erlaubt die Literaturangaben auszulassen.)

Issues of identity have been a strong focus of scholarly writing about Hong Kong Cinema. Deriving its name from the date of the handover set by the 1984 Joint Declaration, the ‘1997 syndrome’ has been variously evoked as the defining and unifying collective experience of Hong Kong film makers, combining post-colonial attempts to define an autonomous identity with an at times almost millennialist feeling of anxiety. Facing the perceived historical deadline, the construction of a post-colonial identity that acknowledges the “composite nature of Hong Kong’s cultural identity” and would serve to normalize the ambivalent relation to the mainland constituted a major social issue. “[A]ddressing the ‘1997 consciousness’ of its spectators” – openly or in their subtexts – the products of the local film industry would thus be part of a collective social and psychological process of self definition. While 1997 as an analytic concept still continues to reverberate, a new approach to conceptualize questions of Hong Kong identity should be proposed to describe the situation twelve years after the handover.
This conceptual approach can not be rooted primarily in the dichotomies (between nation states, ideologies, etc.) implied by the ‘1997 syndrome.’ While it could be argued that some processes associated with the term ‘globalization’ might have to be conceived of in different terms for Hong Kong than in other cultures and societies, the ‘indigenous’ identity of Hong Kong often being described in terms of a syncretism of Eastern and Western influences or of ‘hybridization’, it is not necessary to subscribe to the enthusiastic or horrifying notion of a homogeneous world culture to expect a convergence of mainland Chinese and Hong Kong culture. The growing intensification and mutual influence between Hong Kong and the People’s Republic with all its implications should be the focus of critical attention of a contemporary description of Hong Kong Cinema.
Examples for the way in which the intensified cultural and economic presence of mainland China has influenced the output of Hong Kong’s film industry can serve to illustrate this idea of a ‘post-1997-syndrome.’ The thriller MOU GAAN DOU / INFERNAL AFFAIRS (HK 2002; D: Wai-keung Lau, Siu Fai Mak), while representing a much appreciated success for a film industry that is often depicted as a victim of globalized phenomena such as Asia’s financial crisis and Hollywood’s global hegemony, was marketed with an alternative ending in China. This ending reverses the main premise of the movie, the deeply rooted corruption in the police force, in an unmotivated deus-ex-machina resolution that involves a largely anonymous team of investigators, placating mainland authorities’ uneasiness about the potentially subversive effects of the film’s plot.
Economical and political considerations on the level of production go beyond alternate versions for the mainland market. After the critical and commercial success of WO HU CANG LONG / CROUCHING TIGER HIDDEN DRAGON (2000; Ang Lee), a multinational collaboration that involves production companies and personnel from Taiwan, Hong Kong, the U.S., and mainland China, co-productions with the emerging Chinese film industry that target the much coveted market there seem to represent an attractive new possibility for Hong Kong film makers. Films like TAU MING CHONG / THE WARLORDS (PRC, HK 2007; D: Peter Chan) or SAAM GWOK DZI GIN LUNG SE GAP / THREE KINGDOMS: RESURRECTION OF THE DRAGON (PRC, RK, HK; D: Daniel Lee) emulate the new generic model of the monumental, neo-folkloristic ‘wuxia pian’ [”martial arts/swordplay film”] as exemplified by Zhang Yimou’s films since YING XIONG / HERO (2002), itself another example of a co-production between Chinese and Hong Kong film makers. If Ang Lee’s film can be accused of synthesizing a pan-Chinese visual space equivalent to the ‘Euro-pudding’ of multinational productions in Europe, the underlying paradoxes of Hong Kong’s (re-) appropriation of the contemporary wuxia genre with its revisionary, nationalist tendencies seem worth exploring.
The take of Hollywood reject John Woo on the genre can serve as an interesting example for this process. His 2008 film CHI BI / RED CLIFF (PRC) dramatizes a conflict in the historic “Three Kingdoms period,” a setting that has been popularized through popular novels and folkloristic tales and which features in a number of current historical films. The significance of this period in the collective imagination can be compared to that of the Civil War in the U.S. or the Hundred-Years War in Europe; it provides the often violent, mythic narrative on which nation-states depend on for legitimization. In contrast to this tendency of the setting, the narrative sides with the underdog Southerners (the Cantonese, significantly the later inhabitants of Hong Kong). While the corrupt, Machiavellian general, waging war as a prelude to a coup d’etat, is surrounded by largely anonymous and numerically superior subordinates and troops, the Southerners are portrayed as an alliance of individualistic, heroic characters. The use of both northern-tinged Mandarin and Cantonese dialect on the soundtrack further heightens the differences in mentalities. RED CLIFF is a big budget blockbuster “made in China” to be marketed in mainland China - just like Zhang’s filmic celebrations of nascent nationalism - and superficially conforms to the conventions of “neo-folk-wuxia.” At the same time, the parable of a group of Southern Chinese standing their ground against overwhelming forces from the North (and their film industry?) seems quite apparent. The film thus retains a spirit that is not subversive, but at least defiant in its insistence on local origins and identity.
In a more apparent contrary movement to the convergence of both markets and film aesthetics, Johnnie To’s MAN JEUK / SPARROW (HK 2008) celebrates a local conception of Hong Kong through both their subject matter, the title being a Cantonese slang term for a pickpocket, and the familiar setting of the city’s streets. Pang Ho-Cheung’s sex-comedy A.V. (HK 2005) is set in an even more specific setting - among the students of the universities located around Kowloon Tong [the immediate environment of City U]. This ‘localist’ tendency might be seen as a paradoxical effect of globalization, with To’s film playing to an international audience at the Berlin film festival, but as well as a survival strategy of an industry that reacts to a diminishing market with ‘small’ films that cater to an audience’s pleasure in recognizing locations and elements of their daily life on the big screen.
Contemporary films made in Hong Kong have to be seen in a context of interconnected political, economic, social, and cultural factors, that goes beyond the clear cut dichotomies of East and West, Communism and Capitalism. I have tried to delineate through my examples that the borders between nations (or, as in the case of Hong Kong S.A.R., between territories) can no longer serve as precise analytical demarcations. Today, Hong Kong, which has been attributed with being post-colonial even before attaining independence from the colonial power, is confronted with a China that exhibits traits of post-colonial processes without having ever been a colony. Rather than clinging to the idealized notion of a homogeneous identity implied by the ‘1997-paradigm,’ the focus should lie on the process of retaining and redefining traces of the local both in regard to a growing presence of the mainland, and within an increasingly global context. For Hong Kong cinema, as can be argued for much of today’s festival circuit “world cinema” (a term which epitomizes the underlying paradox I try to address), the local is global.
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Donnerstag, 23. Juli 2009

Notizen zu KILLER OF SHEEP (1977, Charles Burnett) und Neorealismus

(H. Carstensen)
Schwer, das Gefühl zu beschreiben, das nach dem Sehen von Charles Burnetts KILLER OF SHEEP da ist. Was macht die Schönheit des Films aus? Was ist bitter? Ich fange an mit Kontext.

In einem Dokumentarfilm-Seminar vor einem Jahr stieß ich zum ersten Mal auf KILLER OF SHEEP. 12 Monate später sehe ich den Film endlich an, und immer noch waren meine Erwartung irgendwie mit „dokumentarisch“ verknüpft. Die Woche über hatte ich mich mit einer Gruppe Filme um James M. Cain´s Novelle „The Postman always rings twice“ beschäftigt, und wegen OSSESSIONE (1943) kurz das Nötigste über den italienischen Neo-Realismus aufgefrischt. Drittens ist es nicht allzu lang her, dass ich den jüngsten Jim Jarmusch-Film, THE LIMITS OF CONTROL im Kino gesehen hatte. Wie jeder Jarmusch ist der voller langsamer Momente, die durch die Entschleunigung fast vergessen machen, wie sorgsam inszeniert sie sind, und die so eine poetische Qualität erreichen. Damit zu KILLER OF SHEEP.

Konsequent setzen die ersten Sekunden des Films den Ton. Der Vater hält seinem Sohn eine Standpauke. Der hat bei einer Rauferei seinen kleinen Bruder im Stich gelassen: „If anything happens to me or your mother, you ain´t got nobody except your brother.“ Keine Sekunde Kitschromantik, sondern die Dringlichkeit des Vaters, der seinem Kind früh beibringt: unser Leben ist hart. Get used to it.

Hart. Aber nicht ohne Schönheit: die Totale wirkt poetisch, wenn die Gang der Getto-Kinder einen vorbeifahrenden Güterzug im Spiel mit Steinen „angreift“, die Kamera aus dem fahrenden Zug heraus den Angriff der Kinder beobachtet, und die Kids wie ein Vogelschwarm, der jäh seine Richtung geändert hat, auf ihr Ziel zustürzen.

Aus einer anderen Sequenz nimmt Mos Def sein Album-Cover zu The Exstatic: die Kinder springen wie Parcours-Läufer auf den Dächern ihrer Projects herum, über 2 Meter breite Lücken zwischen den mehrstöckigen Häusern, geschossen aus starker Untersicht genau untendrunter: das Bild gleichermaßen unbeschwert wie gefährlich, geht es doch gute 5,6 Meter runter.

Die lose Erzählung um den schwarzen Arbeiterklassen-Familienvater Stan und seine Versuche, mit einem Kumpel ein altes Auto wieder Flott zu machen, wird immer wieder gebrochen von Szenen aus dem Alltag in Stan´s vier Wänden und dem Viertel, in dem sie stehen. Den anfangs kontrastierend wirkenden, aber mit längerem Hinsehen komplementären „Erzählstrang“ bilden die Schlachthof-Sequenzen.

Stan schiebt sich somnambul durch den Film wie Rilkes Panther. Nach einem Arbeitstag im Schlachthof tanzt er mit seiner Frau (Kaycee Moore) im Zimmer. Der Plattenspieler krächzt eine langsame Soul-Nummer, „This Bitter Earth“ von Dinah Washington. Die Silouetten der beiden wiegen sich zur Musik, kommen sich im Gegenlicht des Fensters langsam und zärtlich näher, Stan´s Frau rankt tanzend an ihrem Mann empor, liebkost seinen Körper. Wenn sie Stan so tanzend gleichsam in Besitz zu nehmen scheint, dann nur, um endlich wieder seine Aufmerksamkeit zu spüren. Sie wirkt gleichzeitig sanft und hungrig wie ein Tier, ihr Tanz ein Rütteln an den Gitterstäben des Pantherkäfigs.

Schnitt zu Stan´s Arbeit im Schlachthof: in langen Einstellungen spült Stan mit einem Schlauch das Blut vom Boden weg; ein Arbeiter bringt die Fleischerhaken im Schienensystem an der Decke in Position; Messer am Hüftgurt der Männer vor dem Bauch mit der weißen Gummischürze werden routiniert gewetzt; und ahnungslose Schafe drängen die Boxengänge hinauf, treten ihren Weg zur Schlachtung an; Halbnah, lange ohne Schnitt, schwarz-weiss- als ob alles geradewegs aus einer Direct Cinema Doku stammt, die vorgibt, nichts zu inszenieren und alles nur zu zeigen, wie es gerade passiert. Ironisch legt sich „It´s a Wonderful World“ von Luis Armstrong im Soundtrack über die Szene...

Um einen Motor für den Wagen zu kaufen, muss Stan in einen kleinen Eck-Laden einen Scheck einlösen. Hinter dem Tresen steht eine dicke, unattraktive, aber: weiße Frau, die gegenüber ihrem schwarzen Mann/ Liebhaber/ Angestellten und den Kunden keinen Hehl aus den Verhältnissen macht. Sie löst Schecks ein oder lehnt ab, frei nach Gusto. Offensichtlich gefällt Stan ihr –die Kamera nimmt sich lange Zeit, ihren taxierenden Blick zu zeigen, der im sonst nüchternen Stil des Films so lüstern wirkt, als stamme sie geradewegs aus einem Russ-Meyer-Streifen. Sie nimmt seinen Scheck an, nicht ohne die schwarzen Männer mit ihrem allzu offensichtlichen Taxieren zu demütigen. In wenigen Strichen skizziert die Szene die soziale Hierarchie in diesem Moment in der Zeit im Getto von Watts / Los Angeles/ USA; zeigt, welchen Unwägbarkeiten Stan´s Kampf um ein besseres Leben ausgeliefert ist.

Es fällt leicht, dem Film eine neorealistische Lesart zu geben. Mit der „Tanz-“ und der „Scheck-“ Sequenz als Beispiele für das narrative Schwanken zwischen Humanismus und sozialem Determinismus; den langen Einstellungen, mit dem Auge für alltägliche Dinge; dem Gegenüber der ausweglosen Schwere im Getto von South Central, das nicht wirkt, als stünde es im Jahr 1977 (dem 1977, in dem das weiße Amerika STAR WARS im Kino sieht), sondern gleichzeitig älter und zeitloser rüber kommt, und der Leichtigkeit der zufälligen Momente auf der anderen Seite, der Lebensfreude, z.B. in Gestalt der Kinder, die selbst die Trostlosigkeit durch schiere Lebensenergie noch zum Spielplatz machen--- um sich in der nächsten Sequenz wieder mit Steinen zu bewerfen. Cesare Zavattini, Drehbuchautor von DeSica´s FAHRRADDIEBE (1948) hätte über KILLER OF SHEEP sprechen können, als er beschrieb, was für ihn den Neorealismus ausmacht: die „geduldige Annäherung und Untersuchung des wirklichen Lebens, bei der es darum geht, die Dinge, wie sie sind, fast allein sprechen zu lassen, und sie so bedeutsam wie möglich werden zu lassen.“

Bittersweet. Nüchtern wie Frederick Wiseman´s Direct Cinema,langsam und poetisch wie ein Jarmusch, und bleak wie die Aussichten in „LADRI DI BICICLETTE--- Nur schwärzer. Das ist das Gefühl, das KILLER OF SHEEP beschreibt.
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Mittwoch, 22. Juli 2009

Notizen zu Werner Herzogs LEBENSZEICHEN (1968)

(D. Schanz)

Das Arsenal-Kino in Berlin zeigte vorgestern Abend Werner Herzogs Langfilmdebüt LEBENSZEICHEN, von 1968. Und abgesehen vom miserablen Zustand der Filmkopie, die einen sehr holprigen Start hatte, sich über die Laufzeit des Films dann noch ganz wacker schlug, um dann das letzte Stück mit Ach und Krach gerade noch so ins Ziel zu stolpern (vom offensichtlich falschen Bildformat das regelmäßig halbe Köpfe und ganze Füße vermissen ließ ganz zu schweigen), war ich vom Film begeistert, so wie mich – das merke ich nun immer häufiger – Herzogs Werk (vor allem die frühen, kleineren Filme) immer mehr zu begeistern vermag. Es scheint also an der Zeit, selbst AGUIRRE – DER ZORN GOTTES, diesem ultra-stoischen Kinski-Ungetüm (das heute um 19 Uhr ebenfalls im Arsenal gezeigt wird), eine zweite Chance zu geben, nachdem ich damals, im unschuldigen Alter von etwa vierzehn Jahren, ignorant gegenüber Herzogs leiser Ironie, das Kino frustriert und am allgemeinen Menschenverstand zweifelnd nach einer guten halben Stunde wieder verlassen hatte. Viel mehr als dieser kleine, zu Recht verwirrte Junge, tun mir heute allerdings jene Zuschauer leid, die stocksteif, nicht eine Mine verziehend, im Kino sitzen und für bare Münze nehmen was immer Herr Herzog (in LEBENSZEICHEN sowie in seinen späteren Dokumentarfilmen noch ganz direkt per Off-Kommentar) ihnen auftischt. Kurzum: diejenigen Zuschauer, die Herzogs absurdkomischen, satirisch-allegorischen Ansätze nicht sehen (wollen?), weil sie zu sehr damit beschäftigt sind, die menschliche Tragödie zu suchen.

Die Ironie, die Herzog an den Tag legt(e), ist eine andere als jene überhebliche, teils verächtliche Ironie seines Zeitgenossen Alexander Kluge beispielsweise. Herzog respektiert das Individuum, ist umso faszinierter von ihm je ausgegrenzter und eben individualistischer es auftritt, während seine subtile Attacke einem auf unbedingtem Macht- und Fortschrittsdenken ausgerichteten Gesellschaftsbild gilt. Dabei ist er – schon bei LEBENSZEICHEN – schlau genug, seine Hauptfiguren eben nicht als komplett unabhängig von diesem zu zeichnen. Aus distanzierter, fast anthropologisch anmutender Erzählperspektive beobachtet die Kamera einen kleinen Haufen deutscher Soldaten, die gegen Ende des Zweiten Weltkriegs auf der deutschbesetzten griechischen Insel Kos stationiert werden, und legt zunächst einmal ihren bedingungslosen Opportunismus bloß. Becker ist ein klassischer Nerd, dessen archäologisches Interesse an altgriechischen Inschriften auf antikem Gestein jeden Zweifel an Sinn und Zweck, geschweige denn an ethischer Berechtigung der Besetzung im Keim erstickt. Meinhard dagegen ist ein plumper Kerl, dem die Nazi-Ideologie aus jeder Pore hervorzutreten scheint: Er vernichtet Kakerlaken („Ungeziefer“) aus reinem Ekel, ist dem Fremden gegenüber stets misstrauisch und offenbart einen unversiegbaren Geltungsdrang. Die dritte und zentrale Figur im Bunde ist Stroszek – loyal, tüchtig und pflichtbewusst verfügt er auch über die körperliche Erscheinung, um als Abziehbild des nationalsozialistischen Idealbürgers zu fungieren. Mangels ernstzunehmender militärischer Aufgaben allerdings, fallen Becker, Meinhard und Stroszek – allesamt eher Chiffren als komplexe Charaktere, aber dennoch bei weitem nicht seelenlos – auf sich selbst zurück und wissen mit der relativen Freiheit auf der kleinen Insel nicht viel anzufangen. Am allerwenigsten Stroszek: Obgleich frisch verheiratet mit einer jungen Griechin, begegnet er seinem Gefühl der Nutzlosigkeit und Fremde bald mit (auto)destruktivem Verhalten, bevor er dann schließlich ganz „durchdreht“. Gegen Ende also, wenn er wie ein wild gewordenes Tier auf den Mauern der Festung umherspringt und man sich bei Peter Brogles Performance an die animalischen Darstellungen eines jungen Toshiro Mifune oder eben Klaus Kinskis erinnert fühlt, ist mit Stroszek der prototypische Herzog-Held geboren. In der Konfrontation mit einer regressiven Kraft (hier die Ödnis auf der fremden Insel Kos), gerät das Weltbild der eigentlich „funktionierenden“ Figur so stark aus den Fugen, dass ihm als Ausweg nur noch der Wahnsinn und in letzter Konsequenz der Tod bleibt.

In der Art und Weise wie Herzog seine Geschichte erzählt, sagt uns das allerdings mehr über die Gesellschaft, aus der das betroffene Individuum stammt, als über die Figur selbst. Herzog lässt uns nur selten nah an seine Figuren ran, viel häufiger präsentiert er sie dem Zuschauer in weiten Totalen. Am eindrücklichsten sind da zum Ende hin die starren Panoramaeinstellungen auf die Festung (zum Teil aus der Vogelperspektive), auf welcher Stroszek wie wild herumtollt und dabei nicht bedrohlicher, nicht effektiver wirkt als eine Ameise in einem Miniaturlabyrinth. Wie eine Studie über menschliche Verhaltensweisen soll das wirken. Was natürlich noch verstärkt wird durch den nüchtern gesprochenen, allwissenden Off-Erzähler, der nicht nur biografische Fakten der Figuren dem Zuschauer nahe bringt, sondern auch deren Innenleben immer mal wieder skizziert. Selbstironisch wird hier die angeprangerte Rationalisierung menschlicher Verhaltensweisen zur Form erkoren. Allein aus diesem Grund kann sich Herzog auch die viel zu lang dauernde, in ihrer unterkühlten Ernsthaftigkeit völlig absurd wirkende Szene leisten, in der sich eine Gruppe Offiziere und Psychologen über das weitere Vorgehen im Fall des wildgewordenen Stroszek berät. Der Nationalsozialismus wird hier nicht als unkontrolliert böses, dämonisches Ungeheuer dargestellt, sondern – viel schlimmer, weil vermutlich den Lebensumständen des Zuschauers näher verwandt – als rationales, effizientes, und ganz und gar weltliches Monstrum. Und deshalb ist das Ende, also das Verrücktwerden und die finale (im Film nicht gezeigte) Beseitigung der Hauptfigur Stroszek, auch nicht tragisch. Die Tragödie hat sich bereits früher abgespielt – nämlich in der Erziehung des Menschen als funktionierendes und damit sozial determiniertes Subjekt innerhalb einer stets nach unbedingtem Wissen und Fortschritt dürstenden Gesellschaft.

Der Nationalsozialismus eignet sich für diese Allegorie natürlich hervorragend. Und auch der Handlungsort der griechischen Insel Kos, die so vieles an antiker Kultur und Architektur bereithält, ist nicht zufällig gewählt. Herzog zieht hier eine Linie der europäischen Zivilisationsgeschichte von der Antike bis zum „Dritten Reich“ und sogar darüber hinaus. Das Problem Nationalsozialismus, so verstehe ich seinen Film, ist mitnichten ein isoliertes – es hat seine Ursprünge in den Anfängen der „westlichen“ Zivilisation und es trägt seine faulen Früchte mit in die Gegenwart und die Zukunft, da die Grundzüge unverändert geblieben sind.

Ein wichtiges, fast geniales Element, um diesen Punkt herüberzubringen, ist Herzogs einzigartiger Umgang mit den Zeichen des Nationalsozialismus. Er verrät uns das geschichtliche Szenario und wir erkennen die Wehrmachtsuniformen der Hauptfiguren – wir wissen also das Nötigste, damit die Allegorie funktioniert. Ansonsten allerdings verzichtet Herzog vollkommen auf bewährte Nazi- und Authentizitäts-Fetischismen, die vor allem im aktuellen deutschen Historienfilm Hochkonjunktur zu haben scheinen (es ist wohl an Tarantino und seinen INGLORIOUS BASTERDS diesen armseligen Trend endlich zu durchbrechen). Es gibt keine krampfhaft gebrüllten Militärfloskeln à la „Jawohl Herr Kommandant!“ zu hören; nichts zu sehen von stramm angespannter Körperhaltung und rhythmisch-zackigen Bewegungen; kein einziger Hitlergruß wird vollführt und das obligatorische „Heil Hitler!“ bleibt glücklicherweise ebenfalls aus. Der Holocaust ist allein auf der allegorischen Ebene präsent (durch Meinhards notorische Kakerlakenvernichtung beispielsweise), ebenso wie die bigotte Haltung der Deutschen zu ihm (Meinhards Mitleid mit den gefangenen Fliegen, die das Spielzeug eines Zigeuners zum Laufen bringen). An konkreten Handlungen und Eigenschaften gibt es also nicht vieles, was die Hauptfiguren des Films vom Zuschauer unterscheidet, d.h. was sie für den Zuschauer zu bequem weit entfernten Nazi-Others machen könnte. Mit dem Verzicht auf stereotype Nazi(-Film)-Rhetorik erinnert Herzog wieder daran, dass es der Mensch ist, der die Uniform ausfüllt und nicht unbedingt andersherum, und schlägt so eine Brücke zwischen dem Damals und dem Heute. LEBENSZEICHEN erhält dadurch eine universelle Kraft, die den meisten Filmen, die sich in perfidem Nachbildungseifer mit dem deutschen Nationalsozialismus befassen und ihn damit der Vergangenheit übergeben, leider abgeht.
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Sonntag, 19. Juli 2009

DAAI SI GIN / BREAKING NEWS (2004) und die Gefahren des reel-to-reel plottings

(T. Hwa)

BREAKING NEWS von Johnnie To (oder auch Johnny To, Asiaten nehmen es mit ihren erfundenen westlichen Namen oft nicht so genau) ist ein für den Hongkonger Regisseur etwas untypischerer Cops-and-Robbers-Film, der sich an einer milden Mediensatire versucht. Der Film beginnt mit einer aufwändigen, etwa sechseinhalb Minuten andauernden Plansequenz, die zum größten Teil einen shoot-out zwischen Polizei und schwer bewaffneten Kriminellen zeigt. Beginnt die Sequenz mit relativ langsamen Kranfahrten, so erhöht sich die Geschwindigkeit und Dynamik der Kamerafahrten parallel zu der Eskalation des Geschehens vor der Kamera. Obwohl sich die Kamera zum Teil ein wenig orientierungslos zu bewegen scheint, was sich als Anspielung auf die Ästhetik der im Film allgegenwärtigen Medien verstehen lässt, bleibt vor allem der Eindruck extremer visueller Dynamik, gegen den der Rest des Films leicht enttäuschend wirkt.

Die Dramaturgie des Films entspricht erstaunlich genau dem Modell des „reel-to-reel-plottings,“ das David Bordwell in seinem Buch Planet Hong Kong: Popular Cinema and the Art of Entertainment beschreibt. Bei diesem dramaturgischen Verfahren orientiert sich die Gesamtdramaturgie an Segmenten von 10-15 Minuten, die mit der physischen Kapazität einer Filmspule korrelieren. Ein Merkmal dieser in den Siebzigern entstandenen Form ist ein fulminanter Einstieg, der das Publikums von der ersten Sekunde an den Films binden soll. Auch wenn die Ursprünge dieses Verfahrens eng mit den physischen Zwängen analoger Produktionsbedingungen verbunden sind, und bei heutigen Eintrittspreisen die wenigsten Zuschauer das dringende Bedürfnis haben dürften, bei mangelndem Interesse den Kinosaal nach 10 Minuten zu verlassen, so lässt sich doch ein bleibender Einfluss auf die Arbeitsweise der Kinematographie der einstigen britischen Kronkolonie feststellen. So ist die durch Montage elliptisch und extrem gerafft erzählende Anfangssequenz von MOU GAAN DOU / INFERNAL AFFAIRS (2002) nur ein Beispiel für eine generelle Tendenz des Hongkong Kinos, die Exposition oft schnell, attraktionsreich und zum Teil skizzenhaft zu gestalten.

Von dem Standpunkt der Filmkritik aus betrachtet leidet BREAKING NEWS unter einer mangelnden Balance zwischen dem reinen visuellen Schauwert der ersten Sequenz und den restlichen plot points. Viele Szenen wirken, trotz zahlreicher Spezialeffekte, als hätte der in Hongkong oft notorisch dichte Drehplan nur Platz für die ökonomischste Lösung gelassen. Dies trifft insbesondere das wenig innovative Ende zu, das ausgerechnet von zwei Figuren bestritten wird, die nur sparsam charakterisiert werden und an denen dem Zuschauer am wenigsten gelegen sein dürfte. So überwiegt in der Erinnerung der Eindruck der einleitenden Plansequenz, und das vage Gefühl vergebenen Potentials.

Bordwells zentrale Prämisse besagt, dass „popular cinema“ gerade dadurch zur „art of entertainment“ wird, dass Filmemacher durch das Diktat des Publikumsgeschmacks auf der einen und der Restriktion finanzieller Mittel auf der anderen Seite regelrecht zu einem innovativen Umgang mit filmischen Mitteln gezwungen werden. Obwohl To durch seine eigene Produktionsfirma Milkyway Productions sicherlich zu den unabhängigeren auteurs der Trümmer des Hongkong Kinos gehört (ein anderes Thema), wirft BREAKING NEWS die Frage auf, ob nicht in manchen Fällen ein großzügigeres Budget doch mehr kreative Freiräume eröffnen kann als ein minimales.

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Freitag, 17. Juli 2009

Notizen zu Sacha Baron Cohens "Brüno"

(D. Schanz)

In seiner Review zu Woody Allens neuestem Film WHATEVER WORKS, der trotz Rückkehr ins heimatliche New York und Larry David als Woody-Alter Ego bei der amerikanischen Kritik nur verhaltenen Jubel erntete, urteilt J. Hoberman vielleicht etwas zu kategorisch, dass Allens eher milde Version des jüdischen Humors seit jeher die asoziale Bissigkeit seiner Komikerkollegen Philip Roth, Mel Brooks, Lenny Bruce und Borat(sic!) vermissen lässt. Provokativ wie so oft, schmuggelt Hoberman hier also den jungen und vergleichsweise unbewährten Sacha Baron Cohen in diesen erlauchten Kreis jüdischer Humoristen, und wagt es sogar, ihn noch auf seine bisher bekannteste Kunstfigur reduziert in seiner Bedeutung für den jüdischen Humor über den wohl berühmtesten urbanen Schlemiel der Filmgeschichte zu stellen. Vielleicht muss man New Yorker sein, vermutlich auch der jüdischen Kultur näher stehen als ich, um Hobermans leicht gezwungen wirkende Abneigung gegenüber Woody Allens Filme verstehen zu können. Seine kanonerweiternde Wertschätzung Sacha Baron Cohens allerdings ist nicht nur äußerst mutig sondern auch durchaus gerechtfertigt. Die kompromisslerische Harmlosigkeit, die Hoberman Allen vorwirft („he wants to make nice – it’s just his nature“), findet sich bei Baron Cohen nicht mal im Ansatz. Der Mann will provozieren, nicht gefallen, und Grenzen überschreiten wo gar keine mehr zu vermuten waren. Mit BRÜNO, seinem dritten Kinofilm als Hauptdarsteller und co-Autor, bestätigt sich diese Einschätzung oftmals stärker als einem lieb sein kann.

Mehr noch als BORAT ist BRÜNO eine Tour de Force für seine Zuschauer – eine konstante Belastung für die Lachmuskeln, denn der genial-derbe Humor bewahrt auch bei fortgeschrittener Laufzeit seine Effektivität; und ein steter Angriff auf die eigene Schamgrenze, denn Brüno konfrontiert uns mehr als einmal mit Bildern, die man eigentlich nicht sehen will. Hatte Borats minutenlanger Nacktkampf mit seinem „Manager“ für reihenweise sich in ihren Kinositzen windende Zuschauer gesorgt, so fährt Brüno gleich mehrere Szenen dieses Kalibers auf. Wenn dieser etwa, bei einer Séance mit einem Medium, der Seele von „Milli von Milli Vanilli“ einen ausgedehnten Blowjob verpasst, provoziert er förmlich ein peinlich berührtes Wegdrehen von der Leinwand, wohl wissend, dass hinter vorgehaltener Hand dann doch wieder der vorsichtige Blick aufs Geschehen gewagt wird – sei es aus heimlicher Lust am Ekel oder der schieren Verblüffung ob Baron Cohens radikaler Maßlosigkeit. Vielfach ertappt man sich selbst als Voyeur – am direktesten wohl, wenn sich der bemitleidenswerte Präsidentschaftskandidat Ron Paul vor versteckter Kamera einem Verführungsversuch Brünos ausgesetzt sieht – und wird damit an ein Grundprinzip des Kinos und an die eigene Rolle innerhalb dieses Komplexes erinnert. Das genussvoll schmerzhafte Fremdschämen wird mit dieser Erkenntnis plötzlich zu einem Selbstschämen, das bei der nächsten Gelegenheit wieder überlacht werden will.

Brüno will weh tun. Und dies noch mal etwas direkter als sein kasachischer Kollege. Hielt Borat noch, als eine Art primitiver Katalysator, der amerikanischen Gesellschaft den Spiegel vor, so verkörpert Brüno nun höchst selbst ein verzerrtes Spiegelbild unserer hedonistischen Konsumgesellschaft. Es ist eine Karikatur des „westlichen“ Selbstverständnisses, mit dem Brüno beispielsweise einem Anführer der palästinensischen Al-Aqsa Brigade begegnet und ihm Stylingtips für Osama bin Laden verrät, oder wenn er in einer modisch aufgepimpten (sprich: tuntigen) Version der chassidischen Kleidung durch die Straßen Tel-Avivs stakst und den Zorn orthodoxer Juden auf sich zieht. Und es ist ein bitterbös sarkastischer Kommentar auf die Selbstsucht privilegierter Personen der Öffentlichkeit, wenn Brüno sich ein schwarzafrikanisches Baby als modisches Accessoire zulegt („I swapped it for an Ipod“), das er, in Anlehnung an den attraktivitätssteigernden Effekt den man Kleinkindern und Hunden nachsagt, vor einem aufgebrachten Talkshow-Publikum als „dick magnet“ bezeichnet.

Hat der offenkundig antisemitische, mysogyne und xenophobe Borat aufgrund seiner naiv-dümmlichen und zutiefst widersprüchlichen Art noch irgendwie etwas Liebenswürdiges an sich, so verspielt Brüno jegliches Sympathiepotential (nicht nur) beim Zuschauer, da sich der selbstverliebte Egomane seines provokativen Auftretens zu jeder Zeit bewusst scheint. Tatsächlich ist das Berühmtwerden um jeden Preis erklärtes Ziel des talentfreien „Funkyzeit“-Moderators, der ein klares Produkt unserer Reality-TV geprägten Zeit ist, in der schrilles Auftreten allein genügt um „Star“ zu werden. Brüno will nicht gefallen sondern auffallen – auch das ein Seitenhieb auf die Mechanismen und Werteverschiebung in der postmodernen Spaßgesellschaft. Es gehört zu den selbstironisch satirischen Eigenheiten des Films, dass Brüno bei all den gezeigten Rückschlägen bezüglich seines Karriereziels, zumindest mit dem Film den wir auf der Leinwand sehen eben doch noch die ersehnte Aufmerksamkeit erhascht. Anders als bei BORAT stehen hier nämlich nicht mehr die sich in vertrauter Komplizenschaft oder sicherer Überlegenheit wähnenden und folglich in ihrer Bigotterie entblößten Amis im Mittelpunkt – das Rampenlicht gehört vor allem Brüno und er teilt es nur ungern. Seine exzessiv-freakige Performance ist wesentlich präsenter als die Reaktion der Leute auf sie. Es ist die fiktive Figur des Brüno mit der sich der Zuschauer auseinandersetzen soll und nicht so sehr der konservative Durchschnittsami oder ähnliches. Diese Schwerpunktverlagerung entwertet dann auch endlich die eigentlich längst überflüssige Frage, welche Momente und Episoden des Films denn nun „echt“ und welche „lediglich inszeniert“ seien.

Die lustvolle Provokation mit der Brüno seinem Publikum begegnet, drückt sich noch in zwei weiteren Punkten aus, die ich abschließend für erwähnenswert halte. Die erste Beobachtung wird vor allem einem deutschsprachigen Publikum der nicht immer englischen Originalversion des Films auffallen: die vereinzelten Wortfetzen vorgeblich deutscher Sprache, die der „österreichische“ Modefuzzi Brüno immer mal wieder in sein tuntiges, akzentbeladenes Englisch einbaut, sowie das Fantasiedeutsch, über welches er mit seinem „deutschen“ Sidekick Lutz (der von einem schwedischen Schauspieler dargestellt wird) kommuniziert, verhalten sich zur deutschen Sprache in etwa so wie Borats Kauderwelsch zum modernen Kasachisch. Dies führt einerseits zu Lachern ob der teilweise völlig absurden Wortkreationen, andererseits muss dieser bewusst respektlose Umgang mit Sprache auch als Persiflage auf Hollywoods oftmals laxen Umgang mit der Sprache des „Anderen“ gesehen werden. Deutsche Sprache ist was Hollywood als deutsche Sprache ausgibt – und die Zuschauer, sofern sie es nicht besser wissen, fressen das auch.

Die letzte Beobachtung, die ich in diesem Rahmen anstellen möchte, betrifft weniger die Komik Sacha Baron Cohens als vielmehr die Form und Erzählstruktur des Films. BRÜNO unterscheidet sich visuell und erzähltechnisch nicht im Geringsten von BORAT – das heißt er ist mit den ästhetischen Mitteln einschlägiger Reality TV-Shows ausgestattet und verfügt über einen Plot, der so auffällig dünn und formelhaft ist, dass es an inszenatorischem Sarkasmus grenzt. Dramaturgisch ist Brünos Odyssee jedenfalls absolut identisch mit der Mission Borats, als wäre es gar nicht mehr nötig neue Ansätze zu finden eine Geschichte zu erzählen, wenn diese eh in ihre Einzelteile zerpflückt ein Nachleben auf Youtube fristen wird. Diese in ihrer Offensichtlichkeit fast schon dreiste Konstante zwischen den beiden Filmen mag Regisseur Larry Charles zuzuschreiben sein, der bereits mit seiner Tätigkeit für Larry Davids HBO-Serie CURB YOUR ENTHUSIASM das Konzept des extrem vorhersehbaren, rein um die Hauptfigur sich drehenden, furchtlos überkonstruierten Plots zu so etwas wie einer eigenen Kunstform gemacht hat. An Effektivität jedenfalls mangelt es den Kinofilmen genauso wenig wie der Serie.

Über die CYE-Parallele ergibt sich auch der naheliegende Vergleich zwischen Baron Cohen und Larry David, den Hoberman in seiner Aufzählung der Woody Allen-Kontrastfiguren anscheinend vergessen hatte. Größere Arschlöcher als diese in der Anlage so unterschiedlichen, im Geiste jedoch sehr ähnlichen Komiker, sind momentan weder im jüdischen, noch im sonst wie klassifizierten Humor in Film und Fernsehen anzutreffen. Ich bin gespannt, mir in wenigen Wochen mein eigenes Bild über Larry Davids laut Hoberman angeblich so woodyisierten Auftritt in WHATEVER WORKS machen zu können. Fast noch gespannter bin ich allerdings auf den sicher unvermeidbaren Auftritt Sacha Baron Cohens in einem der nächsten Filme Woody Allens.
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Mittwoch, 15. Juli 2009

Apatow-Productions, Popkultur und Massen-Nerdismus. Teil 1: The Setup. „The Foot Fist Way"

(H. Carstensen)

In meinen kommenden Blogs geht es um die popkultur-getränkte Sorte Ironie in Komödien aus dem Hause Apatow-Productions – und Umfeld. Um Männer, die außer Filmen keine Rollenvorbilder haben, um Nerds, die mit ihren Neurosen im Mainstream angekommen sind, und das Fremdschämen im Comedy-Genre. Teil 1 der Mini-Serie….


In den Filmen der Apatow Productions sind die Zeichen, derer sich die Figuren bedienen, bzw. anhand derer sie inszeniert werden, meist getränkt oder beeinflusst durch Film- und Popkultur. Und egal, wie hanebüchen die Story ist: die Figuren wirken oft glaubhafter, fühlen sich mehr im Jetzt an, als manch andere Pappkameraden im aktuellen Komödien-Genre. Behauptung: weil sie, trotz des ganzen grotesken (ironischen) Lärms, den sie veranstalten, mit einem (unironischen und kitschfreien) menschlichen Kern ausgestattet sind. Wie hässlich der auch sein mag. Vielleicht ist gerade das Grelle, die Abwesenheit der Zwischentöne etwas, was den treffsicheren Blick auf zeitgenössische Lebensverhältnisse verrät. Nicht nur Amerikanische.


In den kommenden Blogs geht´s um den Versuch, die Zeichen der globalen Popkultur in den Apatow-Produktionen zu interpretieren, zu checken, warum sich die Filme gleichermaßen grotesk und wahrhaftig / „jetzig“ anfühlen, und –last not least- die spezielle Apatow-Variante von allgemeinen Comedy-Mechanismen zu isolieren. Sexy as hell, hu? Yeah.


Startpunkt Seitengasse: die unabhängig produzierte Komödie The Foot-Fist-Way ist streng genommen keine Apatow-Produktion. Dazu gleich.

Die Anti-Coolness, mit der der Kindskopf Fred Simmons inszeniert wird, ist der Film. Selten war eine Hauptfigur ignoranter gegen über den Konsequenzen seines „American Dream in Action“, als der erfolglose Tae-Kwon-Do-Lehrer. Nach der Eröffnungs-Sequenz ist man sich sicher: dieser Idiot wird auch noch das Beste in seinem Leben kaputt kriegen, gerade weil er seinen Traum lebt: erst lässt Fred sich von drei kleinen Jungs, seinen Schülern, gebetsmühlenartig bestätigen, der „King of the Demo“ zu sein, nur um bei der Demonstration seines Könnens (Betonplatten mit dem Ellbogen durchschlagen) vor den versammelten Erwachsenen zu scheitern. Fred wahrt die Pose so gut er kann. Die in der Szene Versammelten meiden den Augenkontakt. Fremdschämen bei jenen vor dem Bildschirm. Opening-Credits.


Die Inszenierung wechselt zwischen dokumentarischem Duktus mit Handkamera, und Anspielungen auf Fiction-Film-Codes und Videoclips. Je nachdem, welcher Effekt das Scheitern vergrößert. Seinen Magnum P.I. –Ferrari 308 GTS fährt Fred in einer á la Miami-Vice montierten Sequenz durch die nächtliche Kleinstadt – und hält brav an der nächsten roten Ampel, um sich in der Nase zu bohren.


Wenn er in seiner Funktion als Tae-Kwon-Do-Lehrer zu Demonstrations-Zwecken eine Oma gegen den kräftigsten Kursteilnehmer antreten lässt, ist die Kamera im Reality-Modus; hier ist Freds ernster-als-ernste Karate-Kid- Rhetorik das filmische Element, das der Oma zum Verhängnis wird. Entgegen seiner Vorstellung von der Welt hat sie leider keinerlei Auswirkungen auf die filmische Realität (physische Fitness und Kraft/Oma) der Szene: der kräftige Mann Anfang Vierzig bringt die ältere Dame zu Boden. Hart. Mit Nachtreten.


Auch aus dramaturgischer Sicht bleibt der Film seinem antiklimatischen Prinzip treu. Zwar gerät Fred, nach dem seine Frau ihn betrogen hat, in eine Krise, begibt sich auf eine Reise, wird beinahe gebrochen und muss sich am Ende einem finalen Kampf stellen, in dem er sich sogar anständig schlägt- aber all das hat keinerlei Auswirkungen auf die Figur, wie Freds Blick in die Kamera am Ende verrät: immer noch total stumpf. True to Character.


The Foot Fist Way ist ein Low-Budget-Film. Seine beschränkten Produktionsmittel nutzt er clever, und erzeugt eine Art „überdrehtes Understatement“. Fred mag von sich denken, er sei ein großer Meister, und Dialog, Montage und vor allem Musikeinsatz gewähren ihm diese pathetischen Momente. Aber wegen des kleinen Budgets sind auch die großen Augenblicke mit kleinen Mitteln gemacht und zwangsläufig cheesy, meistens mehr eine Anspielung auf den großen Traum. Dieser Effekt illustriert perfekt das Leben des knapp-mehr-als-White-Trash-Helden (lebt nicht im Trailer-Park), der am Ende scheitern muss. Meistens auf dem Parkplatz einer Shopping-mall, vor einer Traube von übergewichtigen Durchschnitts-Amerikanern, am Schluss der Slow-Mo und des Hard-Rock-Musik-Einsatzes. Still und nüchtern. No Traumfabrik here…


Der Humor in Foot Fist Way ist extrem, und zielt nicht auf den Komödien-Mainstream- eigentlich keine Apatow-Produktion. Warum ihn also als Setup für die kommende Analyse von Forgetting Sarah Marshall, Superbad und Co. wählen? Es gibt Parallelen, gemeinsames Fahrwasser, einen beat, der in Foot Fist Way gröber geschlagen wird…-


Erstmal die personellen Parallelen: Hauptdarsteller Danny McBride spielte in Superbad und Pineapple Express, Will Farrell tritt unter anderem als Produzent auf, und Auto und Regisseur Jody Hill hat diesen Sommer Observe & Report in die Kinos gebracht, starring: Apatow-Veteran Seth Rogen, der dort einen ähnlich verblendeten Ignoranten spielt. So viel zum Thema Stallgeruch. Man kennt sich.


Auch der Zugriff auf die Welt und seine Umsetzung in die Komödie ist gekennzeichnet durch den oben erwähnten gemeinsamen beat: selbstironisch und übertrieben bis zum brechen, mit menschlichem Kern, den der abgeneigte Zuschauer unter dem ganzen Tamtam gerne Übersieht, in den Apatow-Filmen sicherlich dezenter als in Foot Fist Way; einen Hang zur Pose, und ihrer Brechung, mit männlichen Figuren in der Krise, und einem durch und durch nerdigen Blick auf die Welt, der Außenseiter in den Mittelpunkt stellt und zeigt: in der zerklüfteten individualisierten Gegenwart, der absolute soziale Standards abhanden gekommen sind, sind wir alle Nerds, die sich regelmäßig in mehr oder minder unangenehmen „awkward social situations“ wieder finden. Mal mehr und mal weniger charmant agierend / inszeniert.


… das gewisse Apatow-Etwas eben, das hier sukzessive vom Dunkel ins Licht gebracht werden soll. Mehr beim nächsten Post.

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Mittwoch, 8. Juli 2009

Ein paar Gedanken zu Akira Kurosawas SHICHININ NO SAMURAI / DIE SIEBEN SAMURAI (1954):

(T. Hwa)

Kurosawas Film über eine Gruppe verarmter Samurai, welche die streng kodifizierten Grenzen der historischen Feudalgesellschaft übertreten um ein Dorf gegen eine Bande Banditen zu verteidigen, wird dem Genre des „chambara“ (Schwertkampffilms) zugeordnet, einer Unterform des „jidai-geki“ (Historienfilms). Bei genauerer Betrachtung lässt sich jedoch feststellen, dass viele Elemente des Films kritische Revisionen des „chambara“ darstellen. Diese kritischen Elemente sind von einem Humanismus gekennzeichnet, der sonst vor allem in Filmen des Regisseurs zu finden ist, die in zeitgenössischen Settings verortet sind.

Neben den sozialkritischen Implikationen der Story ist gerade die Darstellung der Kämpfe dabei von Bedeutung. In anderen Filmen des Genres werden die Schwertkämpfe durch eine rhythmische Choreographierung stilisiert und die Kunstfertigkeit eines Helden dadurch überhöht, dass er sich scheinbar mühelos gegen eine Vielzahl von Feinden durchsetzen kann.

Im Gegensatz dazu wählt Kurosawa einen „realistischen“ Modus der Darstellung, der meist denkbar weit von einer Ästhetisierung entfernt ist. Zeigt eine Sequenz zu Anfang des Films noch ein Duell, das in seiner Glorifizierung des einzelnen, präzise geführten tödlichen Schlags weitestgehend dem medialen Bild von japanischer Schwertkunst entspricht, so sind die späteren Kämpfe von einer chaotischen Fülle von Bewegung charakterisiert, die durch die dynamisierende Montage noch verstärkt wird. Gerade in der letzten Konfrontation mit der Banditenbande versinken Menschen wie Pferde in Regen und Schlamm, rutschen, fallen und schlagen um sich. Die Bewegungen einzelner Figuren lösen sich in dem Aufeinanderprallen verschieden gerichteter Bewegungen auf (es wäre interessant Kurosawas Montage in dieser Sequenz mit dem Konzept der Kollisionsmontage zu vergleichen).

Auch scheut sich der Film nicht davor, die „Bösen“ als Opfer von Gewalt zu zeigen: schon weitgehend wehrlose Banditen flüchten auf allen vieren vor den Speeren der Bauern. In einer Szene müssen die Samurai resignierend zulassen, dass sich ein aufgebrachter Lynchmob an einem Gefangenen für die erlittenen Qualen und Demütigungen rächt. Kurosawa macht so deutlich, dass beide Seiten des Konfliktes menschlich sind: fähig zu Gutem wie zum Schlechten. Samurai wie Banditen kämpfen aus Hunger, die Bauern um ihren Reis zu behalten. Gewalt, legitimiert oder nicht, bleibt immer was sie ist. Es ist dieses Beharren auf menschlichen Grundkonstanten, das sich durch Kurosawas Oeuvre zieht, wenn auch in seinem Spätwerk vielleicht in abgeschwächter Form.

War John Ford für den japanischen Regisseur ein Vorbild wohl vor allem auch was die Inszenierung von Bewegung betrifft (Stagecoach, 1939), so hatten die Samuraifilme Kurosawas einen nachhaltigen Einfluss sowohl auf den amerikanischen wie auch auf den Italowestern (vielleicht bald mehr dazu). Shichinin no samurai kann innerhalb des „chambara“ als das gesehen werden, was die reflexiven Spät- und Italowestern für die scheinbar so homogene amerikanische Mythologie des vielleicht prototypischsten Filmgenres sind.

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