Montag, 25. Januar 2010

„Ich habe nichts getan“ – A SERIOUS MAN

(T.Hwa)

Ethan und Joel Coens Film A SERIOUS MAN (2009) ist eine schwarze Komödie, die eine immense Grausamkeit gegenüber ihrem Protagonisten wie auch gegenüber dem Zuschauer entfaltet. Eine kurze Kritik.

Larry Gopnik (Michael Stuhlbarg) ist ein Physikdozent an einem kleinen Vorstadtscollege, der auf eine Festanstellung hofft und die Bar Mitzwah seines Sohnes erwartet. Über eine Spanne von etwa zwei Wochen wird er zunehmend mit der Aussicht konfrontiert, sein gesamtes bescheidenes Glück zu verlieren. Seine Frau will sich scheiden lassen, ihr neuer Partner sein bester Freund werden, der Nachbar auf dem fremden Grundstück bauen. Und die Einstellungskommission erhält anonyme Denunzierungen. Eine Szene zeigt Gopnik beim justieren der Antenne auf dem Dach so, als erhoffe er sich aus dem strahlend blauen Himmel mehr als ein Fernsehsignal. Doch eine Erklärung für sein Leiden wird dem modernen Hiob in seiner trostlosen vorstädtischen Wüste nicht gegeben werden.

Die Coens übersetzen so die Paradoxien der jüdischen Kultur in das bedrückend häuslich-vorstädtische Setting einer jüdischen Gemeinde in Minnesota, ca. 1967: tausende überlieferte Rituale und Erzählungen, aber die hebräischen Formeln aus der jüdischen Schule können letztlich ebenso wenig von den existenziellen Zweifeln befreien wie die physikalischen Formeln, die Gopnik lehrt. Dabei sezieren sie die autobiographisch geprägte Umgebung durch bitterbös genaue Beobachtung, die in einer Situationskomik der kleinen Details resultiert. Voraussetzung für diese ist eine präzise getimte, beeindruckend ökonomische Montage. Jede Einstellung hat ihren Platz, zum Teil entsteht Komik bereits durch den Umschnitt in eine ungewöhnliche Perspektive. Auch Stuhlbarg, dessen extrem weich wirkendes Gesicht sowohl zu einem stoischen Unterspielen eines Buster Keaton wie zu übertriebenen, verzerrten Grimassen der Verzweifelung in der Lage ist, trägt mit seinem Spiel viele komische Szenen.

Konsequent dehnt der Film die Grausamkeit, mit der er seinem Protagonisten jegliche Sinnstiftung verweigert, auch auf den Zuschauer aus. Immer wieder werden Erwartungen unterlaufen, bricht der Film ab um danach erneut anzusetzen. Scheint sich nach dem Initiationsritus des Sohnes in die jüdische Glaubensgemeinschaft auch vieles zu erleichtern und das Leben in erträgliche Bahnen zurückzukehren – noch sind die 105 Minuten nicht vorbei..
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Donnerstag, 21. Januar 2010

Charlie BRONSON (2009): Gewalt-Celebrity

(H.Carstensen)

BRONSON (2009) ist eigentlich weniger eine Story als vielmehr eine Reihe von abwechselnd gewalttätigen und komischen Vignetten, zusammengehalten durch den Stilwillen des amerikanisch-dänischen Regisseurs Nicholas Winding-Refn, ironisch-kühlen Kompositionen des Kameramanns Larry Smith, und die Performance von Tom Hardy, der das Kunststück fertig bringt, den Zuschauer für den titelgebenden Charles Bronson einzunehmen, der nach eigenem Bekenntnis nichts anderes macht, als sich mangels Talent zum Singen oder Schauspielern eben zum Ruhm zu prügeln. Dies tut der unter seinem bürgerlichen Namen startende Michael Petersson, seines Zeichens Großbritanniens gewalttätigster Gefängnisinsasse, und bis heute hinter (echten) Gittern, durchaus innbrünstig, gradlinig und konsequent, dass es einem beinahe schon Respekt abverlangt. Sicher nicht zuletzt, weil das innere emotionale Chaos dieses merkwürdig aus der Zeit gefallenen, glatzköpfig-schnauzbärtigen Vaudeville-Bareknuckle-Jahrmarkts-Boxers in sehr kontrollierten / stilisierten Bildern eingefangen wird. Stehende Aufnahmen oder Tracking-Shots, viele strenge, symmetrische Bildkompositionen, nie Handkamera, die betont künstlichen Music-Hall-Sequenzen, in denen ein expressiv geschminkter Bronson direkt die Kamera bzw. ein (imaginäres) Theater – Publikum adressiert: BRONSON´s visueller Stil in Stichworten.

Kameramann Larry Smith arbeitete bereits mit Stanley Kubrick zusammen (als DOP bei EYES WIDE SHUT und Oberbeleuchter bei BARRY LYDON und THE SHINING), und kaum eine Kritik des Films kommt ohne den Hinweis auf die Kubrick-Parallele aus. Natürlich erinnert der Einsatz klassischer Musik zur Ästhetisierung zeitlupenverlangsamter brachial-Gewalt an A CLOCKWORK ORANGE, Lichtsetzung und ausgewaschene Farben der Irrenhaus-Sequenzen an THE SHINING (-aber noch mehr an Milos Formans ONE FLEW OVER THE CUCKOO'S NEST) – und zweifellos sind dies schmeichelhafte Vergleiche. Während visuelle Parallelen zu ziehen gerechtfertigt ist, spielt Winding-Refn inhaltlich jedoch in einer anderen, in einer Post-Kubrick-Liga. BRONSON verhandelt nicht das universale Thema menschlicher Gewalt, die dubiose Logik eines inhärent gewalttätigen Strafvollzugs-Systems, oder die Gradwanderung zwischen staatlichem Gewaltmonopol und Tyrannei - ein Balance-Akt, der, wenn das Individuum das System herausfordert, in CLOCKWORK oder ONE FLEW… auf entlarvende Weise abstürzt. Das Setting in BRONSON, der bis auf kurze Intermezzi hinter Gittern spielt, hätte mehr als genug Möglichkeit dazu geboten, gängige Tropen des Knast- u. Psychatriefilms zu vertiefen. Und tatsächlich: Standards wie die Isolation im „Loch“, brutale Schließer, der bigott-menschenfeindliche Gefängnisdirektor etc. sind auch Bestandteil des Films. Aber mehr als Folie, und unter ironisch umgekehrten Vorzeichen. Entgegen der Genre-Konvention will Michael Petersson im Gefängnis bleiben. Er hat keinen anderen Plan, berühmt zu werden. Und erst sämtliche Knäste, Sicherheitsverwahrungen und geschlossene Abteilungen Englands machen aus ihm, was er immer sein wollte: Großbritanniens berühmtesten Knasti, einen Gewalt-Celebrity.

Bei Winding-Refn liegt das Kampfgebiet nicht im Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft, er verlegt den Kriegsschauplatz in das Individuum selbst. So werden die artifiziellen Sequenzen auf der Theaterbühne zu Innenansichten Bronsons, der sein imaginäres Publikum adressiert, und uns seine Sicht der Sache mitteilt: reuelos, unsentimental, und pointiert („I´ve always fancied myself somewhat as a Comedian!“) – Szenen, in denen Tom Hardy besonders glänzt, wenn sein schizophrenes Spiel die Essenz der Figur zwischen Bedrohung und cartoonhafter Gutmütigkeit anlegt (grandios z.B. die Szene, in der Bronson kurzzeitig aus dem Knast kommt, wieder in seinem Elternhaus einkehrt, und dabei an einem Baby-Foto von sich vorbeiläuft, dass Tom Hardy einen trocken inszenierten, gut gespielten Kommentar entlockt…). Es rumort in dem Mann. Gewalt scheint seine einzige eigene Ausdrucksform zu sein. Das britische Strafvollzugs-System bildet die natürliche Umwelt dafür. Regie und Schauspiel umschiffen die Klippe, die Gewaltverhältnisse dabei grundsätzlich zu verharmlosen. Petersson aka Bronson ist eben kein gewöhnlicher Gefangener: „Don´t get me wrong. For most people prison is tough. A monotonous nightmare. 24 hours a day. 7 days a week. 365 days a year of pure, unadultareted, living, breathing hell… But for me, prison was finally a place where I could sharpen my tools, hone my skills… It was an opportunity. And a place where soon every native was gonna know my name.“ Die ironisch-enthusiastische Einstellung Bronsons gegenüber seinem Habitat erlöst den Schauplatz vom Realismus-Anspruch und macht die Bühne frei für Winding-Refns filmische Analogie von Kunst und Gewalt. Diese wird durch einen Anstalts-Kunstlehrer auf den Punkt gebracht, der in das Leben des Häftlings tritt, und ihn zum Zeichnen inspiriert (was Winding-Refn dazu anregt, an René Magritte angelehnte Bildkompositionen einzubauen). BRONSON erzählt die Geschichte einer Menschwerdung, und wie dieser Mensch im Kampf mit sich selbst zum Künstler wird, der seine gewalttätigen Impulse produktiver umsetzt, als nur die Faust aufs Auge zu drücken. Für seine These von Gewalt als Akt der Kunst, und Kunst als Akt der Gewalt findet BRONSON verführerisch gute Bilder.

Winding-Refn bleibt sich treu. In der noch in Dänemark gedrehten PUSHER – Trilogie stand schon mal brutalste Gewalt im Mittelpunkt. Damals noch verortet im Drogenmilieu kleiner und mittlerer Kopenhagen-Mobster. Mit FEAR X machte er 2003 den Sprung in die USA. Dort fabrizierte er eine sehr stylische, aber inhaltlich konfuse Bauchlandung, die in ihren besten Momenten zwar aussah wie ein Lynch-Film, und einen Wimpernschlag lang nur über die Oberfläche (billardfilzgrün und sattes Alarm-Rot durchfluten einen anonymen Hotelflur, den die Kamera in langsamer, suggestiver Fahrt bis zu einer Tür herunter gleitet) an dessen Sog erinnerte – die die erwartungsvoll gehaltene Pause dann aber nicht in diesen untergründig-lynchesken Sog verwandeln konnte, weil der Story solche Untiefen schlicht abgingen - trotz John Turturros gutem Spiel. Gut also, dass BRONSON konsequent auf Psychologisierung verzichtet. Der Film ist eine ästhetisch inszenierte, augenzwinkernde Gewalt-Orgie, die mit kleinen Mitteln großen kinematischen Mehrwert aus der gezeigten Brutalität zieht, ohne die Konstruktion mit ideologischem Ballast zu behängen. Genau wie Charlie Bronson hat Winding-Refns homonymer schlanker Film die Muskeln an der richtigen Stelle, und dürfte sein bisher bestes Werk sein. Postmodernes Popcorn-Kino inklusive 80er-Soundtrack, allerdings nicht ohne kleine Widerhaken, wie das Ende von BRONSON auf besondere Weise veranschaulicht: bei aller Ästhetisierung gibt es auch in Bronsons Welt Konsequenzen, die einem ganz allein gehören, wenn der Vorhang fällt. Die Ironie endet kurz vor der Abblende, und bewahrt den realen Menschen Michael Petersson alias Charlie Bronson davor, in seinem eigenen Film zur Fußnote stilvoller Ästhetik zu verkommen. Chapeau.
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Donnerstag, 7. Januar 2010

Das Imaginarium Terry Gilliams

(T.Hwa)

Die Bilder in Terry Gilliams THE IMAGINARIUM OF DR. PARNASSUS (2009) sind so barock wie der Titel des Films es verspricht. Eine kurze Kritik zu einem Film, der wohl als „der letzte Film mit Heath Ledger“ bekannt werden wird.

Die Handlung folgt einer heruntergekommenen wandernden Kuriositätenschau, deren Betreiber einen faustischen Handel mit dem teuflischen Mr. Nick eingegangen ist, den Tom Waits mit dünnem Clark Gable Bärtchen und Bowler spielt. Zur Unsterblichkeit verdammt zieht Dr. Parnassus als selbst-erschaffener Gegenspieler des Teufels umher um Seelen durch einen Aufenthalt im Imaginarium, einem Raum jenseits des Spiegels, der die Phantasien des Eintretenden wahr werden lässt, zu konvertieren; immer in Furcht vor der nächsten Wette. Während die Truppe versucht, die neueste Wette mit dem Teufel zu gewinnen, rettet sie den an einem Strang von einer Themsebrücke baumelnden Tony, der Teil der Gruppe wird.

Die Idee des titelgebenden Imaginariums ist wenig mehr als ein unverhohlener Vorwand für Gilliam, seinen visuellen Fantasmen freien Lauf zu lassen. Dementsprechend ist der Film eine exzessive, eklektische Mischung von Ideen und Stilelementen, von denen ein Bruchteil der Welt von James Camerons AVATAR gut getan hätte. Ein Heißluftballon trägt die Züge des von Christopher Plummer gespielten Dr. Parnassus. Johnny Depp muss eine ältere Dame durch die Entscheidung zwischen dem One-Nite-Motel und einer kitschigen venezianischen Gondel begleiten. Russische Gangster flüchten sich unter den Rock eines russischen Mütterchens – direkt in die Arme Mr. Nicks. Es sind diese originellen, zum Teil bizarr-surrealen visuellen Einfälle, die den Film tragen. Nur selten rutschen auch hier die Fantasiesequenzen in zu glatte Nintendohafte CGI-Welten.

Die Dramaturgie ist, wie bei einem Film Gilliams vielleicht zu erwarten, so wirr und überladen wie die Bildebene und liegt ziemlich in Trümmern. Dies kann auch mit dem unerwarteten und publizistisch ausführlich verwerteten Tod Heath Ledgers zusammen hängen, durch den die Produktion verzögert wurde, der Film aber einen nicht unbeträchtlichen Publicityschub erhalten dürfte. Während der Tod des Hauptdarstellers während der Dreharbeiten wohl das Ende der meisten Projekte bedeutet hätte, lässt Gilliam das Aussehen des Protagonisten bei jedem Eintritt in die fantastische Welt des Imaginariums wechseln.
Das Ergebnis dieses Akts der Improvisation lassen sich in etwa so zusammen fassen: Johnny Depp liefert seinen Jack Sparrow/ Sweeney Todd, Colin Ferrell ist gut wenn er beim Showdown grimmig die Zähne fletschen kann, Jude Law zeigt einmal mehr, dass er keine Ahnung hat, was er vor der Kamera eigentlich machen soll. Ledgers Spiel ist schwer zu beurteilen. Gibt er die an Judas angelehnte Figur zu Anfang mit der naiven, clownesken Art aus BROTHER GRIMM (2005), so wird der Entwicklungsbogen der Figur durch die Wechsel der Besetzung unterbrochen und zunehmend schwerer nachzuvollziehen. Die Collage der idiosynkratischen Stilismen der einspringenden Schauspielkollegen kann diesen Mangel an Kohärenz nur unvollständig kompensieren.

Sicherlich ist IMAGINARIUM nicht der stärkste Film Gilliams. Besitzt er in Momenten Anklänge von TIME BANDITS (1981) und BRAZIL (1985), so haftet dem Insistieren auf einem visuellen l’art pour l’art vielleicht schon ein Hauch von Alterswerk an.
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