Samstag, 7. November 2009

Paul Verhoevens Provokation der Übererfüllung

(T.Hwa)

In diesem Post wird es nicht um Quentin Tarantino gehen. Während dieser regelmäßig viel Aufmerksamkeit (hier, hier und hier) für seine „subversiven“ Genre-Etüden erhält, wird der holländische Regisseur Paul Verhoeven häufig übersehen, gerade weil sein Ansatz zugleich radikaler und missverständlicher ist als der Tarantinos. Eine kurze Skizze seiner Provokation durch Übererfüllung von Erwartungen anhand dreier Beispiele.


Verhoevens Strategie ist bereits in dem sonst relativ konventionellen Thriller BASIC INSTINCT (1992) angelegt. Die zum Exzessiven neigende Inszenierung des Mordes zu Beginn des Films entspricht dabei der Kombination von Sex und Gewalt, deren exploitative Attraktivität der Film nutzt und die zu einem Markenzeichen des Regisseurs geworden ist. In der wahrscheinlich bekanntesten Szene des Films, dem Verhör von Sharon Stone, wird die Figur der aggressiven, verführerischen Verdächtigen auf die Spitze getrieben und zugleich die Erwartungshaltung des Zuschauers ad absurdum geführt. Die Szene in dem Verhörraum wird vor allem als eine Inszenierung von Blickwechseln zwischen der Frau auf der einen, und den anwesenden männlichen Polizisten auf der anderen Seite aufgelöst. Ebenso wie das Machtgefüge auf der Ebene der Dialoge durch die aufreizenden Antworten destabilisiert wird, wird auch auf der Ebene der Blicke die Anordnung zunehmend ambivalent. Isoliert und vergleichsweise hell ausgeleuchtet ist die Figur Sharon Stones auf dem Stuhl den Blicken der männlichen Figuren wie auch des Zuschauers ausgesetzt. Mit dem Beinüberschlag, durch reaction shots als ein POV-shot der Polizisten ausgewiesen, wendet sich diese Exponiertheit gegen die Beobachter. Doch die temporäre Gleichsetzung von Zuschauerblick und der Perspektive der Figuren besitzt noch weiter reichende Implikationen: die Blicke der Polizisten doppeln die Erwartungshaltung der Zuschauer. Schlägt Sharon Stone ihre Beine übereinander, so muss sich der Zuschauer nicht nur wie in dem Brechtschen Verfremdungseffekt in Hanekes Film(en) FUNNY GAMES (1997, 2007) ertappt fühlen, der Effekt wird noch dadurch verstärkt dass er mehr zu sehen bekommt, als er erwarten kann.
Sex und Gewalt in Verbindung mit einem Spiel mit Zuschauererwartungen wird in STARSHIP TROOPERS (1997) zum Strukturprinzip. Übertreibung und Übererfüllung finden sich in der soap-artig trashigen Inszenierung des Beginns (Highschool Abschluss!), einer Art dystopischen 90210, später in dünn motivierten Gruppenduschszenen, bewusst überzogenem Heldenpathos und der ebenso bewusst exzessiven Gewaltdarstellung. Die zumeist völlig verkannte satirische Absicht des Films richtet sich gegen faschistoide Tendenzen sowohl des Kriegsfilms als auch der Science-Fiction, die mit der von moralischen Imperativen entbindenden Kategorie des völlig Anderen arbeiten. Dabei wird diese Aussage gerade durch die schiere Übertreibung und Offensichtlichkeit der Parallelen zu Uniformen und Propaganda des Dritten Reiches übersehen oder übergangen.
Die größte Provokation, wie auch das größte Scheitern stellt jedoch der berüchtigte Film SHOWGIRLS (1995) dar. Mit sieben goldenen Himbeeren bedacht, erscheint es vor allem bemerkenswert dass dieser Exploitation-film mit einem Budget von etwa 45 Millionen Dollar produziert werden konnte. Wiederum werden hier Zuschauererwartungen zugleich entlarvt und übererfüllt. Die Vergnügungsindustrie in Las Vegas, so die Prämisse des Films, basiert auf der Kommodifizierung von Sex und wird mit der Filmindustrie Hollywoods gleichgesetzt (Nicht umsonst endet der Film mit einem Blick auf ein Highwayschild, das die Kilometer bis nach L.A. angibt). Der Film wird mit seiner Übererfüllung des „Sex sells“-Prinzip zu einer einzigen Provokation der immer noch vorhandenen kodifizierten Moralvorstellungen des Hollywood-systems, nach der Nackt- und Sexszenen zwar gezeigt werden (müssen), die Bettlaken jedoch stets auf magische Weise schlimmeres verhindern. Die provokativ-trashigen Elemente sind hier neben dem exploitativen setting und den zahllosen Nacktszenen (laut imdb.com absolviert die Hauptdarstellerin etwa ein Sechstel des Films völlig unbekleidet) vor allem die mehr als dünne Handlung, ins völlig karikaturhaft überzogenen Dialoge und ein finaler Akt von Selbstjustiz der Russ Meyer stolz machen würde. Besonders deutlich wird Verhoevens Absicht in der zynischen Auflösung der konventionellen Backstory-wound: wiederholt die von Elizabeth Berkley gespielte junge Stripperin, die zum Showgirl wird, immer wieder „Ich bin keine Hure“, so offenbart der Film gegen Ende dass sie einen Aufstieg von einer Prostituierten zur Stripperin hinter sich hat. Trotz der Fixierung auf den weiblichen Unterleib, die man Verhoeven unterstellen muss, deckt der Film damit die soziale Fetischisierung der unschuldigen jungen Heldin, bzw. des unschuldigen, „gefallenen Mädchens“ auf.
Verhoevens Filme ziehen mitunter dunkle Konsequenzen nach sich, die der Regisseur konsequenter als die meisten anderen „Provokateure“ auf sich nimmt. Ist der Auftritt bei der Verleihung der goldenen Himbeere für den schlechtesten Film und den schlechtesten Regisseur noch ein harmloser Akt der Selbstironie, so hat SHOWGIRLS nicht nur die weitere Karriere von Elizabeth Berkley beendet, sondern auch die weitere Arbeit des Regisseurs selbst sicher nicht gerade erleichtert.
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Mittwoch, 4. November 2009

Beobachtungen zu ASHES OF TIME - REDUX

(D.Schanz)

Ein Trauerspiel ist das hier in Mainz, wenn man ins Kino geht, sich gar einen modernen Klassiker ansehen möchte und ernüchternd feststellen muss, dass man selbst der einzige Gast der Abendvorstellung im größten Saal des Hauses ist. Nicht, dass es mich gestört hätte, anderthalb Stunden in einer Art Privatkino zu verbringen, jedoch blieb der fade Beigeschmack der Angst um das Fortbestehen solcher Filmereignisse. Denn so ganz selbstverständlich ist es ja nicht, dass in einer, was das Kulturangebot angeht, recht bemitleidenswerten Stadt wie Mainz die Redux Version von Wong Kar-Wais ASHES OF TIME gezeigt wird. Bei allein 150(!) Erstsemesterstudenten in der Mainzer Filmwissenschaft, wie ich neulich erfahren habe, ist es schon erstaunlich wie schwach die hiesige Kinokultur tatsächlich zu sein scheint. Ohne nun übertrieben kulturpessimistisch klingen zu wollen, stelle ich mir ernsthaft die Frage, was der gemeine Filmwissenschaftler eigentlich macht, wenn er offensichtlich nicht mehr ins Kino geht? Möglicherweise war ich aber auch einfach nur spät dran und die interessierten Massen sind in vorige Aufführungen des Films gerannt. ASHES OF TIME läuft jedenfalls nicht mehr in Mainz und das ist… nicht ganz so schlimm wie man hätte befürchten können.

Mit diesen aufgemotzten Neuauflagen von Filmen, die längst als Klassiker gelten, ist das ja immer so eine Sache. Die Grundidee des Director’s Cut, nach der die Kunst sich zu guter Letzt doch noch den Fesseln des Produktionsstudios entledigt, mag ja an sich eine recht noble sein, nur ergibt sich daraus bekanntermaßen nicht immer auch automatisch der bessere Film. Eine Daseinsberechtigung hat der Director’s Cut natürlich allemal, allein schon um die Regie-Elite vom Fußvolk zu trennen: Leone, Peckinpah, Cameron, Scott, oder Coppola – wer etwas auf sich hält in der Branche, muss mindestens einem seiner Meisterwerke einen neuen, persönlicheren Schliff verpasst haben. Der Director’s Cut, so könnte man sagen, ist der Ritterschlag für Regisseure. Klar, dass sich da ein Wong Kar-Wai nicht lumpen lässt.

Was spätestens seit 2046 nicht zu übersehen ist und mit der lachhaften Selbstkarikatur MY BLUEBERRY NIGHTS seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht hat, ist die künstlerische Selbstgefälligkeit, die Wong an den Tag legt. Selten ein zeitgenössischer Filmemacher, der so sehr darauf bedacht scheint, seinen auteur-Status zu behaupten. Und ASHES OF TIME, dieses doch so wunderbare Kuriosum innerhalb seines Schaffens, allein schon was die Genre-Zugehörigkeit anbelangt, erhält nun in der Redux-Version die entsprechende Nachbehandlung gemäß der ästhetischen Markenzeichen seines Regisseurs. Die furiosen Kampfszenen etwa, die sich zum Teil in bewährter Manier des Wong’schen Frühwerks in abstrakte Bewegungsbilder auflösen, werden hier radikal verstümmelt oder fallen gleich ganz weg zugunsten eines noch stärkeren Fokus auf den kontemplativ-schwelgerischen Charakter des Films. Kann sich der „reifere“ Wong Kar-Wai etwa mit jener einfachen Form des Attraktionskinos nicht mehr identifizieren?

Das Erzähltempo habe er drosseln wollen, so ist zu lesen. Tatsächlich erinnert das Ergebnis eher an Spielbergs Entscheidung, in der Neufassung seines E.T. jegliche Waffen digital entfernen zu lassen. Mit der nachträglichen Digitalisierungswut eines Spielberg oder Lucas (welcher vor allem THX oder die erste STAR WARS-Trilogie zum Opfer gefallen sind) hat AOT – REDUX übrigens außerdem gemein, dass das in gewisser Hinsicht wunderschön verwaschene, monochrom gelbstichige Bild der Originalfassung durch digitale Farbekorrektur regelrecht „aufgepimpt“ wurde. Leider mit mäßigem Erfolg, denn die an Wongs Großstadtfilme erinnernden Neonfarbtöne, die hier vorzugsweise einigen starren und daher leicht zu manipulierenden Wüstentotalen verpasst wurden, beißen sich auffällig mit der noch immer eher geerdeten Farbgebung der dynamischeren Einstellungen, deren punktuelle Bildbearbeitung wesentlich aufwändiger gewesen sein dürfte. So verlockend die digitale Nachbearbeitung von abgenutztem Filmmaterial auch gewesen sein mag, als Zuschauer dankt man es Wong kaum, immer wieder ein einsam in der Wüste herumstehendes Kamel auf knallgelbem Sand, vor türkis-lilanem Himmel als farbegewaltigen, aber vollkommen sinnentleerten Platzhalter zwischen den Erzählsträngen serviert zu bekommen – um nur ein Beispiel zu nennen. Aber Hauptsache der Herr Regisseur bleibt sich in der Farbgestaltung werkübergreifend selbst treu, oder wird es wieder – wie man’s nimmt.

Durch die bereits erwähnte Reduktion der Wuxia-Elemente, was dem Melodram (das ASHES OF TIME schon immer am liebsten gewesen ist) spürbar mehr Platz einräumt, ergibt sich auf der Bildebene ein umso stärkerer Fokus auf das Gesicht als spektakuläres Objekt. Die Großaufnahme dominiert hier klar die Form des Films. Es scheint, als sei Wong überhaupt nicht daran interessiert, den Raum drum herum zu erzählen. Totalen fungieren hier vor allem als Platzhalter, um die narrativen Ellipsen zu überbrücken. Und wenn dann doch ab und zu mal der Ort und seine Raumdimensionen etabliert werden, dann wirkt das fast wie eine lästige Pflicht, von welcher der Film sich, noch bevor man sich als Zuschauer im Bild zurechtgefunden hat, immer etwas zu früh wieder befreit, indem er einmal mehr auf eines dieser vielen Gesichter schneidet, die der Film so bereitwillig ausstellt. In jenen Gesichtern sind dann auch die eigentlichen Geschichten des Films abzulesen, während der Plot, in kruder Verworrenheit sowie einer zeitgemäß postmodernen Dekonstruktionswut erlegen, zwar vorgibt, hoch komplex zu sein, im Grunde aber nicht weiter der Rede wert wäre, gäbe es nicht diese sinnliche Komponente der Großaufnahme. Die vielen Fassetten der Liebe, von denen Wong in ASHES OF TIME erzählt, finden ihre logische Entsprechung im fragmentarischen Erzählgestus, welcher einerseits durch die formale Bevorzugung der Großaufnahme gegenüber übersichtlicheren Totalen noch verstärkt wird, zugleich aber auch erst durch die Konstante der darin abgebildeten Gesichter zusammengehalten wird.

Und was für Gesichter das sind! Leslie Cheung, Brigitte Lin, Maggie Cheung, Jacky Cheung und gleich beide Tony Leungs – das Konzept des Starkinos ist ja nun sicher nicht unüblich im Hong Kong-Kino, aber solch eine Ansammlung von Renommee und Talent, von Popularität und Ausstrahlung bleibt selbst in Wong Kar-Wais eigenem Werk unübertroffen. Ganz dicht wagt sich Chris Doyles Kamera an diese Stars heran – selten hat man die Gelegenheit, ihren Gesichtern so nahe zu kommen wie hier. Gleiches gilt für die Zeit, die Wong einem lässt, sie zu studieren. Die Hautunebenheiten eines Jackie Cheungs nimmt man dabei ebenso unweigerlich wahr wie jede noch so subtil geäußerte Gefühlsregung der von Maggie Cheung gespielten Figur. Es ist ein höchst intimer Blick, zu dem Wong den Zuschauer auffordert, ihn regelrecht zwingt durch die schiere Präsenz dieser Großaufnahmen. So lang, so genau betrachtet man sonst wohl nur das Gesicht der Liebhaberin, oder das des eigenen Kindes. Damit schaffen Kameramann und Regisseur – Redux-Version hin oder her – eine Intimität mit sowohl den mysteriösen Filmfiguren, als auch mit den Stars, die sie verkörpern, die so wohl nur im Kino möglich ist. Das ist mir während der Vorführung dann doch irgendwann noch mal klar geworden, nachdem ich mich zuvor des öfteren insgeheim nach meiner alten, leiernden VHS-Kopie gesehnt habe.
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