Dienstag, 11. August 2009

Notizen zu INGLOURIOUS BASTERDS – polemische Kritikpunkte zu einem noch nicht gesehenen Film

(T.Hwa)

Deduktive, durch Beobachtung abgesicherte Interpretationen werden überschätzt. Die Form der Vorabkritik bietet einige Vorteile. Der Kritiker muss sich nicht rechtfertigen, da er immer auf seine Unkenntnis des Films verweisen kann. Aus dem gleichen Grund besteht keinerlei Gefahr, wichtige Wendungen der story vorwegzunehmen. Sollte er mit seinen Einschätzungen recht behalten, kann er sich mit dem Nimbus des profunden Filmkenners, oder des abgeklärten Kulturpessimisten schmücken. Er kann sich den Aufwand eines unschönen Besuchs im Multiplex seiner Wahl ersparen und liegt trotzdem noch vor der Höhe der Zeit.

Hier also einige kurze, vorausschauende Kritikpunkte zu Quentin Tarantinos orthografisch bedenklichem INGLOURIOUS BASTERDS (2009).


Was wird von Quentin Tarantino heute noch erwartet?
- Hobby-DJs und Kreative beim Privatfernsehen warten schon sehnsüchtig auf den „CoolenTarantinoRetroSoundtrack,“ mit dem bis weit nach dem nächsten Film Themenpartys im Jugendzentrum und Sendungen im Nachmittagsprogramm unterlegt werden können.
- Die hardcore Tarantino-Jünger und Spex-Redakteure freuen sich darauf, wieder „subversiv,“ „postmodern,“ „ambivalent,“ „cool,“ „selbstreferentiell“ und „ironisch“ in einem Satz verwenden zu können. Gleichzeitig. In allen Sätzen.
- Und die Leuten denen es um die Filme selbst geht?

Für diese bleibt eine Mischung aus nostalgischer Verklärung und kassandra-artigem Unbehagen. Das britische Filmmagazin Sight & Sound widmet dem einstigen Wunderkind das Titelbild der Juli-Ausgabe sowie ein sechsseitiges Interview (darunter ein weiteres ganzseitiges, dramatisch ausgeleuchtetes Portrait) in seiner September-Ausgabe, lässt ihn jedoch sehr bewusst in der Titelgeschichte „The Mad, the Bad, and the Dangerous: 50 visionary Film-makers“ außen vor und ist auch in der Kritik des Films nicht unbedingt enthusiastisch. Dieses Verhalten erscheint exemplarisch: alle werden „den neuen Tarantino“ sehen (ich nehme mich da nicht aus). Niemand will derjenige sein, der den nächsten PULP FICTION (1994) [!] oder RESERVOIR DOGS (1992) [!!] verpasst. (Manche rufen noch laut JACKIE BROWN (1997)). Andererseits dürften selbst die größten Optimisten nach den repetitiven, selbstverliebten Exzessen von KILL BILL (2003/2004) und GRINDHOUSE/ DEATHPROOF (2007) kaum noch eine wirkliche Innovation, geschweige denn eine Entwicklung hin zu reiferen Themen oder einem reflektierteren Stil erwarten. Immer mehr zeigt sich in den Filmen stattdessen ein missverstandener Autorenbegriff der Nouvelle Vague, welcher die Forderung nach Kontinuität von Themen, Stil und „Weltsicht“ innerhalb eines Gesamtwerkes als Zwang auffasst. Wenn es stimmt dass Tarantino ab einem (zu debattierenden) Moment in seiner Karriere immer den gleichen Film dreht, dann ist es kein besonders guter.

Was ist also von INGLOURIOUS BASTERDS zu erwarten?

- Genre-Anspielungen. Neben dem exploitativen Kriegsfilm der 60er auch wieder auf den Italo-Western, was sich von KILL BILL VOL. 2 (2004) über den Exkurs zu Takashi Miikes SUKIYAKI WESTERN DJANGO (2007) gehalten hat. Die brillante Parallele von der sich der Interviewer des Spiegel (der sich natürlich auf die moralischen Aspekte des settings im Europa des 2. Weltkriegs konzentrierte) wenig beeindrucken ließ: „Die Widerstandskämpfer in meinem Film handeln sogar wie Indianer auf dem Kriegspfad: auflauern, töten, skalpieren.“ (Der Spiegel Nr. 32 (3.8.2009)).
- Eine episodisch-fragmentierte-postmodern-verschachtelte Dramaturgie, die den Hauch von Avantgarde aus PULP FICTION am leben erhalten soll.
- Ein halbherziger Versuch des ewigen Teenagers Tarantino, dem Film durch den ernsten historischen Hintergrund mehr Tiefe zu geben und/oder durch die Art der Behandlung des Stoffes zu schockieren: „Die Wirklichkeit des Krieges war eben kompliziert“ (Spiegel). Dafür spricht auch die Auszeichnung für Christoph Waltz in Cannes für seine Rolle des (ich wage zu behaupten: vordergründig) unstereotypen „Dschörmen.“
- Mehr selbstverliebte Selbststilisierung des Regisseurs, der nun aggressiv seine Dialoge, für die er in etwa 15 Jahren zurückliegenden Filmen bekannt geworden ist, als „my poetry“ bezeichnet (Sight & Sound). Neu ist auch, dass aus der Freude und bewundernden Haltung eines Filmfans nun ein Gefühl der Überlegenheit geworden ist, dass wenig vor großen Namen zurückschreckt und mit dem Tarantino nun kokettiert: „[I] think it’s safe to say that if John Ford’s mother had never met John Ford’s father, I’d still have figured out that shooting through a doorway like that would make for a cool shot.“ (Sight&Sound) Nachdem auch für Gore-Sidekick Eli Roth (HOSTEL, 2005) eine Rolle in dem Film abfällt: Wartet etwa nach dem Abspann ein Auftritt Tarantinos als Mussolini?

Der Film startet in Deutschland am 20.8. Sollten sich alle meine Voraussagen als unzutreffend erweisen, wäre ich der letzte, dem dies etwas ausmachen würde.

2 Kommentare:

  1. Gratulation für diese subversive Kritik, in der Du mit allen Geschützen der Postmoderne, höchst selbstreferenziell und ironisch Deine ambivalente Haltung, Deine heimliche Hassliebe für Tarantinos coolen Stil offengelegt hast. Insgesamt auf jeden Fall sehr subversiv, postmodern, ambivalent, cool, selbstreferenziell und trotzdem ironisch! Aber wenigstens mit Biss. Und der lässt sich ja bei Tarantino auch nicht abstreiten.
    Wenn Tarantino vorausschauende Filmkritiken schreiben würde...

    AntwortenLöschen
  2. Springt Georg Seeßlen durch den Subversions-Reifen?

    http://www.spiegel.de/kultur/kino/0,1518,642401,00.html

    Und wie bringt man eigentlich ein Buch über einen Film zeitgleich mit dem Film heraus (der Sieg der prä-kritischen Methode)?

    AntwortenLöschen