Dienstag, 15. September 2009

Notizen zu INGLOURIOUS BASTERDS: Tarantino vs. Hitler.

(H.Carstensen)

Auch auf diesen Seiten wurde ja schon darüber diskutiert, wieviel Gehalt im neuen Tarantino steckt. Eine Replik darauf in den nächsten Tagen. Mein Blick fiel (mehr Zufall als Gewohnheit geschuldet) allerdings zuerst auf die letzte Spex-Ausgabe zum Thema. Sich den Beschreibungen im Spex- Artikel zu INGLOURIOUS BASTERDS (Ausgabe Juli/August 2009, Cover: Tarantino in Nazi-Uniform als Öl-Portrait) zu entziehen geht natürlich nicht: „Hyper-Kino“, „Zitat-Feuerwerk“, Raubzug durch die Bilderwelt der Moderne usw. INGLOURIOUS BASTERDS (2009) ist all das, einmal mehr. Das ist kaum überraschend. Es ist aber auch ein Film, in dem der Regisseur dem geneigten Zuschauer große Freude bereitet: durch sein gradliniges und trotzdem verspieltes Erzählen, und seine Meisterschaft über das vielsprachige Material. Tarantino ist ein handwerklich versierter Erzähler. Es fällt schwer, sich der Bewertung des Spex-Autors Ralf Krämer anzuschließen, der in seinem Artikel feststellt, Tarantinos Kino der Hypertextualität lande in der Sackgasse, da es auf wenig mehr als sich selbst verweist. Diese Lesart, die den (impliziten) Vorwurf macht, der Regisseur verschenke die Chance, das Kino als Medium zur Beschreibung der Gegenwart zu nutzen, ist: streitbar.
Was sich sagen lässt, ist: Tarantino erzählt eine einfache Geschichte. Das Tarantino-typische Motiv der Rache-Story kommt diesmal zweigestaltig: Shoshanna, eine durch individuelles Leid zum Äußersten getriebene, und die Titel gebenden Nazi-Killer der „Basterds“, von denen gesagt werden darf, dass sie stellvertretend für das Kollektiv der ermordeten Juden Europas auf die Jagd gehen, teilen sich das Zentrum der Aufmerksamkeit. Auf der dunklen Seite der Story verkörpert SS Col Hans Landa die Nemesis beider Parteien, auch ihm schenkt die Inszenierung viel Beachtung. Und dann ist da noch, last not least: Hitler himself. Das Setup steht mithin. Gut gegen Böse. Eine saubere Sache. Einfache Geschichten nach archaischen Mustern: die Comic-Verfilmungen der letzten Jahre demonstrieren die hohe Nachfrage nach dieser Sorte simpler, sinnstiftender Erzählungen. Und doch ist da mehr im Spiel als nur eine simple, eskapistische Gut-Böse-Story zu erzählen. Der gesuchte Unterschied zu vielen Comic-Verfilmungen der letzten Jahre verortet sich erst in zweiter Linie auf inhaltlicher Ebene, die wie beschrieben schnell erzählt ist. Zuallererst geht es bei Tarantino um die Formfrage. Und weil die Form, wie im Folgenden behauptet wird, eine so wichtige Rolle spielt, geht es um mehr als selbstverliebtes Zeichenspiel. Der Text des Films selbst schützt ihn vor dem Autismus-Vorwurf, er verweise ins Nichts.

Die ersten Einstellungen der ca. 20-minütigen Eröffnungs-Sequenz von INGLOURIOUS BASTERDS markiert das dann Folgende explizit durch Insert und Bildsprache als Western-Märchen, und der Film gestattet sich so selbst, nach Laune fabulieren zu dürfen: Once upon a time in Nazi-occupied France. Dreckige, unfaire, abgeklärt-zynische Erzählhaltung und die Bildsprache entstammen dem Spagetti-Western. Die Figuren und ihre Motivation dem Märchen. Auftritt böse Hexe: der, an anderen Stellen völlig zu Recht mit Lob überhäufte Darsteller des infantil-narzisstischen Über-Schurkens Hans Landa, der Schauspieler Christoph Waltz, soll an dieser Stelle nicht weiter bejubelt werden. Sein SS-Offizier hat keine Berührungsängste in der Ausübung seines Jobs als „Judenjäger“, ein Ruf, auf den er stolz ist, wie sich im kommenden Dialog heraus stellt. Wenn sich der Besatzer beim Besetzten beiläufig über seinen Spitznamen erkundigt, ist das nicht nur ein Psychospielchen innerhalb der Szene, um LaPadite als vermeintlichen Helfer untergetauchter Juden weich zu kochen; es ist gleichzeitig der erste von vielen kommenden Verweisen auf die Macht des Erzählens, die Macht des Mythos über die Menschen. In eine ähnliche Kerbe schlägt die im Film von den Basterds angewendete Apachen-Taktik, stets einen Feind laufen zu lassen, so dass der vom Massaker an den eigenen Leuten erzählen kann. Folglich sehen wir Hitler in seiner ersten Einstellung im Film auch als unbeherrschte Schiessbudenfigur: der Mythos der Basterds lässt ihn die Fassung verlieren, so, wie es das Script verlangt. Verwundung durch Erzählung. So weit, so gut, so einfach.

Das man sich in den zweieinhalb Stunden vor lauter Simplizität nicht langweilt, ist dem Rythmus in INGLOURIOUS BASTERDS geschuldet. Nicht nur unter diesem Aspekt gleicht das Einführungskapitel hier einer Miniatur des ganzen Films. Pars pro toto sind nahezu alle wesentlichen Teile schon enthalten, am prägnantesten das mühelose Wechseln zwischen den (Film-) Sprachen, personifiziert durch Landa, das sich hier bereits als Kommentar auf den Stil des Films lesen lässt: das Spiel mit der (Sprach-)Form ermöglicht erst die inhaltliche, dramaturgische Wendung zum Ende der Sequenz. Die Dramaturgie hält -in der Eröffnungs-Episode wie im ganzen Film- ein Gleichgewicht zwischen langen, Spannung aufbauenden Dialogpassagen und Gewalt-Eruptionen, die der Regisseur später in der Shoot-Out-Sequenz in der Keller-Kneipe, und im Finale im Kino auf die Spitze treibt. Im Vergleich zum Rest des Films gibt es jedoch auch einen wichtigen Unterschied. Während Tarantino später selbstredend seine Freude daran findet, sich eine weitere Feder an seinen Pulp-Hut zu stecken, und Gewalt entfesselt, um dann exploitativ ihre Folgen zu zeigen (z.B. den Baseball-Schläger schwingenden Eli Roth als „Bear-Jew“, Aldo Rayne´s Finger in Bridget von Hammersmarks Bein, oder wenn Hitler von Maschinengewehr-Garben durchsiebt wird), verzichtet er wohlweislich in der ersten Sequenz darauf. Der für sich genommen starke Schockmoment, als Landas Nazi-Schergen Shoshannas Familie ermorden, wird nicht dadurch unterlaufen, dass er zum Spektakel gemacht würde. Er wird subtil inszeniert, ohne zu viel zu zeigen. Natürlich kann Tarantino, wenn er will, an sich halten, und weglassen statt zeigen. Das unterscheidet ihn vielleicht am meisten von den B-Movie Regisseuren, die er gerne zitiert.

A pro pos, die Sprachen. Nach den Hommagen an den Eastern und Western in Kill Bill 1 & 2 ist es dem Rezensenten recht und billig, dass Tarantino sein Unwesen auf dem Kontinent treibt. Der Film weist dabei klare Western-Elemente auf, die vier von Tarantino verwendeten Sprachen (Englisch, Deutsch, Französisch und Italienisch) laden dazu ein, sie als Fingerzeig auf weitere vier Filmsprachen zu sehen, die der Regisseur zitiert und verehrt. INGLOURIOUS BASTERDS ist, wie Tarantino bekundet, eine Liebeserklärung ans Kino. Dazu finden sich Referenzen zu G.W. Pabst, Leni Riefenstahl oder Alfred Hitchcock im Film. Oder ein süffisanter Dialog der Kinobesitzerin Shoshanna, dass man Regisseure in Frankreich respektiert. Das Prinzip der Mehrsprachigkeit arbeitet nicht nur in linguistischer Form, sondern, wie man das von „postmodernem Zitat-Kino“ erwartet, auch auf der Ebene der Filmsprache. Wenn Shoshanna am Abend der großen Premiere ihre Kriegsbemalung anlegt, inszeniert Tarantino dies in 80er-Videoclip-Ästhetik, dass Adrien Lyne sich freuen würde; mühelos passt sich diese Sequenz in Western-Momenten oder eher exploitativen Szenen ein. Wie auch auf linguistischer Ebene stehen die Sprachen gleichberechtigt nebeneinander, Tarantino nutzt sie wie die Figur des polyglotten Landa: je nach Bedarf, und was gerade mehr nutzen verspricht.

Natürlich gibt es im Film und seinen Dialogen unzählige Verweise auf das Kino, auf andere Filme, oder Schauspieler. Sicher ist INGLOURIOUS BASTERDS Hyper-Zitat-Verweis-Kino-Kino. Und die Doppel-Inszenierung der tot im Projektionsraum liegenden Shoshanna, deren auf Zelluloid gebanntes, unsterbliches Bild über den Tod hinaus Wirkungsmacht erhält, und die Nazis als personifizierter Geist des Kinos von der Leinwand herunter auslacht ist, sorry: schlichtweg genial, und zweifelsohne nichts anderes als Hyper-Kino. Schuldig im Sinne der Anklage. Aber damit erschöpft sich die Aussagekraft des filmischen Textes nicht. Der Film kann ebenso gelesen werden als Momentaufnahme globaler Popkultur 2009: dass es möglich (und an der Kinokasse erfolgreich) ist, dem amerikanischen Publikum einen Film vor zu setzen, in dem nahezu soviel Deutsch wie Englisch gesprochen wird, fast so viele Deutsche wie Amerikanische Schauspieler herum laufen. Um bei dem Sprach-Vergleich zu bleiben: Virtuos schafft es Tarantino, zwischen den verschiedenen Bildsprachen zu navigieren. Der Film fühlt sich keine Sekunde langatmig an, die zweieinhalb Stunden vergehen wie im Flug. Ohne Genre-Begrenzungen einzuhalten bedient er sich aus dem Formen-Reservoir der Moderne, von Western bis Videoclip. Er behängt das übersichtliche Dramturgie-Gerippe mit dem Fleisch vieler kleinteiliger Mini-Dramturgien, die er nach erprobter Art in eliptischer Erzählweise anreicht. Diese Erzähltechnik bietet a) effizientes Informationsmanagement und b) perfektes Timing, hält den Zuschauer jederzeit mit wohldosiertem Input in Atem. Ist dieser Stil vielleicht paradigmatisch für kommende Filme junger Regisseure im Zeitalter der 3-Minuten-Youtube-Aufmerksamkeitsspanne? Die Technik ist an sich nicht neu, in Tarantinos polyglotter Gewandtheit und Flüssigkeit markiert sie jedoch den erzählerischen Wasserstand im Mainstream.

Ein weiterer Verweis über die End-Credits hinaus: wie es anno 2009 möglich ist, die Geschichte umzuschreiben. Hitler, der gerne bemüht wird als Verkörperung des Bösen im 20. Jahrhundert (siehe: die selten dämliche Anti-Aids-Kampagne vergangene Woche), oder genauer: sein Mythos wird dekonstruiert und lächerlich gemacht. Entgegen Filmen wie DER UNTERGANG ist diese Art kreativer Geschichtsschreibung sehr viel progressiver, verkneift sie es sich doch, am Nazi-Mythos weiter zu stricken. So trifft der Film eine weitere (politische) Aussage über die Gegenwart, aus der er stammt. Die Jagd auf die Deutungshoheit über das Chiffre Hitler wurde bereits vor INGLOURIOUS BASTERDS eröffnet. Tarantinos Film zeigt, dass der „böse Geist“ Hitler als diskursives Zeichen offiziell im Mainstream der Popkultur angekommen ist. Man darf und soll sich über seine Darstellung streiten. All zu hart wird die Auseinandersetzung anno 2009 aber nicht mehr geführt (außer ein paar echauffierten „Darf man das?“- Artikeln gab es jedenfalls keine nennenswerten Proteste gegen Tarantinos Film). Hitler ist Geschichte. Tarantino (z)erlegt ihn mit den Mitteln eines Erzählers. Er bedient sich dabei seiner liebsten Werkzeuge aus dem transnationalen Werkzeugkasten der Kinogeschichte. So belegt der Film, dass gut und böse Zuschreibungen sind, die nicht absolut gesetzt werden können, und die wir als Autoren der Geschichte kolportieren, fortschreiben, oder umschreiben. Ganz selbstverständlich in vielen Sprachen. INGLORIOUS BASTERDS wird so zu einer Momentaufnahme des Wasserstands im popkulturellen Erzählfluss, die über den Text des Films hinaus anzeigt, was erzählerisch machbar ist.

3 Kommentare:

  1. Wow! Da hattest Du aber ne Menge zu sagen... ist Dir aber auch sehr ordentlich gelungen! Bitte mehr davon.

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  2. Der Film wirkt ja extrem produktiv auf uns alle.

    Du hast recht, gerade die Projektion in den Rauch hinein - über die Begrenzung der Leinwand hinaus - fand ich auch gelungen.
    Aber, ohne Deiner Replik vorweg greifen zu wollen, was ist so bemerkenswert an der Dramaturgie? Mehrere zusammenlaufende Erzählstränge, die nacheinander folgen statt parallel geführt zu werden , recht willkürlich mit der Bezeichnung "Kapitel" versehen - mehr sehe ich nicht?

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  3. Bemerkenswert finde ich wie gesagt das Timing, den Rythmus. Zum Beispiel, dass der 150 Minuten-Film mit nur sechszehn Sequenzen auskommt, und mindestens 3 lange Sets beinhaltet, die über 20 Minuten gehen: Die besprochene Eröffnungssequenz, Shosanna´s Treffen mit Landa bei Kaffee und Kuchen (sehr genial), oder die lange Sequenz in der Kellerbar zum Beispiel, sind sehr klassisch aufgelöst, und die Inszenierung grenzt hier schon fast an Theater. Konstrastierend dazu streut der Film bei bedarf die kürzeren, eher hochfrequenten Montage-Clips ein (bspw. wenn die Eigenschaften von Nitrat-Filmen erklärt werden, oder die "Hugo-Stiglitz-Genese"), und mir imponieren Rythmus und Geschmeidigkeit, mit denen diese Elemente ineinander greifen. Nehme ich die gelben Pulp-Inserts dazu, den Nazi-Exploitation-Film-im-Film "Stolz der Nation", den 80er-VideoClip mit Shosanna- dann entsteht vor meinem Auge wieder dieses Pastiche der Stile, der Sprachen, die gleichberechtigt nebeneinander stehen -was wie erwähnt nicht neu, aber eben doch sehr pointiert in Szene gesetzt ist.

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