Samstag, 26. September 2009

3D und filmische Bildkomposition

(T.Hwa)

Link: Tim Burtons ALICE IN WONDERLAND

Sieht man den Trailer für Tim Burtons Verfilmung des Stoffes von Lewis Carroll, so fällt weniger die Besetzung mit den üblichen Verdächtigen (Johnny Depp und Burtons Frau Helena Bonham Carter) ins Auge, als die Einstellungen, die auf die neue Generation von 3D Technologie abzielen: Gegenstände und Figuren fliegen in beinahe jeder Einstellung frontal auf den Zuschauer zu.

Obwohl schon früher mit Verfahren experimentiert wurde, die dem Zuschauer die räumliche Wahrnehmung von Filmbilder ermöglichen sollen, scheint die neue, digitale Generation von 3D-Projektion nun technisch so ausgereift zu sein, dass eine ganze Reihe großer Studios in absehbarer Zeit 3D-Prestigeprojekte in die zu diesem Zweck aufgerüsteten Kinos bringen werden. Damals wie heute besteht der Anreiz für die Filmindustrie darin, in Konkurrenz zu anderen Medien – damals dem Fernsehen, heute dem Heimkino – den Zuschauern im Kinosaal einen neuen Schauwert zu bieten; in der Sprache des Marketing einen „unique selling point“ für die überkommen erscheinende Distributionsform Kino zu etablieren. Damit steht die neue Technologie in der Reihe technischer Innovationen wie dem Breitbildformat oder dem Farbfilm.
Abseits von ökonomischen Aspekten erscheint dabei die Frage von Interesse, inwiefern die neue Technik die visuelle Ästhetik des Mediums beeinflussen wird. Dabei lässt sich diese aktuelle Innovation in einen Prozess der Erschließung der räumlichen Tiefe des Filmbildes einordnen, der bereits mit dem bekannten einfahrenden Zug der Lumières in einer diagonalen Bewegung auf den Zuschauer zu beginnt. Trotz dieses frühesten Beispiels wurden frühe Spielfilme zunächst auf einer Bildebene und mit relativ geringer Beachtung für die Tiefe des Bildes inszeniert. Zusammen mit der frontalen Ausrichtung der Kamera zum Geschehen entsteht so der „bühnenhafte“ Eindruck der Filme aus der Anfangszeit des Mediums. Erst nach und nach wurde der filmische Raum, begünstigt durch technische Innovationen wie verbesserte Tiefenschärfe (das bekannteste Beispiel dürfte CITIZEN KANE sein), durch Staffelung von Bildebenen in die Tiefe erweitert. Verspricht 3D nun das Durchdringen der bis dahin konstitutiven Grenze von Fiktion und Zuschauerraum, die Erschließung des Raums zwischen Leinwand und Zuschauer durch eine Staffelung der Ebenen auf den Zuschauer zu, so ist zu bedenken dass aus schon genannten ökonomischen Erwägungen heraus zunächst einfache Effekte im Vordergrund stehen dürften, wie sie auch in dem Trailer zu sehen sind. Desweiteren soll die neue Technik neben Animationsfilmen bald auch zur Nachbearbeitung und Wiederverwertung von Filmen wie TITANIC (1997) oder dem schon einmal digital von Waffen befreiten E.T. (1982) dienen.
Auch ohne verfrühte Kassandra-Rufe: Ist durch die Dominanz von Effekten eine Disneysierung von Tim Burton und Filmen im Allgemeinen zu befürchten? Nicht nur eine Verfilmung von Disney-Attraktionen (PIRATES OF THE CARRIBBEAN), sondern Film als Disney-Achterbahn? Der von Tom Gunning geprägte Begriff „Kino der Attraktionen“ würde eine neue, unmittelbarere Bedeutung für das aktuelle Kino erhalten.
Und bevor man 3D als die nächste Stufe des Kinos der Effekte bezeichnet, als eine Art Dolby Surround für die Augen, oder gar als Teil der Evolution des Mediums hin zu einer Angleichung an die menschliche Wahrnehmung verklärt, wie es in Medienzentrierten Theorien gerne getan wird: werden sich die physischen Affektreaktionen auf 3D-Effekte sich nicht ebenso leicht abnutzen wie das Erschrecken vor dem anfahrenden Zug, das manchmal als Reaktion auf die ersten Vorführungen der Lumières kolportiert wird? Die ästhetischen wie die geschmacklichen Möglichkeiten und Begrenzungen der neuen Technik werden sich erst nach und nach erweisen.

1 Kommentar:

  1. Wie Du im Artikel feststellst erscheint das "evolutionäre" Argument besonders schwach. Als Zuschauer setzt man sich bewusst einer ganzen Kette von Illusionen aus, um das Treiben auf der Leinwand zu goutieren. Die "Suspension of Disbelief", in Kauf zu nehmen, das die fiktionalen Handlungen der 2-dimensionalen Lichtprojektionen für die Dauer der Dunkelheit im Saal wahr sind, hat in über 100 Jahren Kino niemanden gehindert, sich auf die filmischen Welten einzulassen. Im Gegenteil. Und: warum sollte die "KISS-Formel" (keep it simpel, stupid!)hier nicht gelten? Solange 3D-Effekte keine neue inhaltliche Ebene darstellen, die den Filmemachern(Innen) erlaubt, authentischer über die Conditio Humana im 21. Jahrhundert zu erzählen, wird 3D-Kino ein Marketing-Tool bleiben. Ein charmant-trashiges Beispiel für "Effekt"-Kino, dass die Zeit ausgemustert hat, findet sich hier: http://www.youtube.com/watch?v=YZYqPidejOA

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