Dienstag, 22. September 2009

Arthouse-Rape-Revenge: DESCENT (2007)

(H.Carstensen)

Es wird interessant, wenn Kritiken auseinander klaffen: hier die New York Times , die Talia Lugacy´s erstem Feature bescheinigt, das Thema Vergewaltigung mit „einer Klarheit und Unmittelbarkeit“ darzustellen, die es im amerikanischen Kino „noch nicht gegeben“ habe. Da die Kritiken des Branchen-Blattes Variety oder der Village Voice, die allenfalls Spott übrig haben. Spott interessanterweise für grade jene Stellen, die das gängige Fahrwasser für Rape-Revenge-Movies verlassen. So pauschal und lieblos hingeworfen, dass dies allein zwischen den Zeilen schon „Treffer!“ schreit, und die Frage aufwirft, ob die Rezensenten den selben Film gesehen haben. Oder ob ideologische Reflexe den Blick auf das Geschehen verstellen. DESCENT, mit Rosario Dawson (die auch co-produziert) in der Hauptrolle, verspricht Kontroverse. Eine kurze Verortung im Genre, ohne zu viel zu verraten.



B-Movies wie Meir Zarchi´s Klassiker I SPIT ON YOUR GRAVE fanden in den 1970er Jahren Spaß an der Transgression des bis dato an Gewaltdarstellungen erlaubten. Sie provozierten Entrüstung durch lustvolle, blutige und exploitative Zuspitzung der Ideologie, die visuell runtergedimmt Mainstream war. Kultur-Kritiker Richard Slotkin diagnostizierte für die populären Western und Actionfilm-Plots in seiner Frontier-Trilogie, ihnen liege das Motiv der „Regeneration through Violence“ zugrunde: eine Tradition der gewalttätigen Konfliktlösung, die sich aus dem amerikanischen Gründungsmythos speist. Westerner erobern sich mit der Waffe in der Hand Raum und sozialen Status (siehe auch hier). Opfer können sich durch Rache aus ihrer Opfer-Rolle befreien, Identität und Selbstbestimmung zurückerlangen. That´s how the West was won. Wen wundert´s, wenn Filme, die diese Ideologie durch Über-Affirmation oder Verweigerung offen legen, einen Nerv bei Publikum und Kritikern treffen.

Die Genre-Prämisse raunt eine Off-Stimme pointiert unter den
Trailer zu I SPIT ON YOUR GRAVE: „This woman will soon cut, chopp, brake and burn five men beyond recognition. And there isn´t a jury in this country that will convict her.“ In der effektvollen Entfesselung archaischer Gewalt, ungebremst vom zivilisatorischen Imperativ liegt das Haupt-Gratifikations-Moment im Rape-Revenge Film. Die Gleichung lautet: je abscheulicher die Aktion desto legitimer die Reaktion, und desto gerechtfertigter die Lust am Zuschauen. Dieser Motor treibt das Vehikel lustig vorwärts durch die Zeit, und ab und an bekommt es eine modischere Karosserie (z.B. pädophile Antagonisten: HARD CANDY, 2006). Seit Dekaden beschenken Regisseure die Genres in Ost und West mit neuen Variationen, wie KATAUDE MASHIN GÂRU / MACHINE GIRL oder INGLOURIOUS BASTERDS, um zwei jüngere Vertreter zu nennen. Auge um Auge, Zahn um Zahn, geht es immer um die Erfüllung einer Wunsch-Fantasie. Dieser Wunsch ist auch die treibende Kraft in DESCENT. Und seine Realisierung der verstörendste Moment des Films.

Aber Lugacy´s Film unterläuft Genre-Erwartungen mit (achtung!) Ambivalenz. Diskussionen entzünden sich z.B. daran, ob die Bilder der Vergewaltigungs-Szenen suggerieren, das Opfer empfinde Lust. Anders als Peckinpah in STRAW DOGS, der die Protagonistin während der Vergewaltigung durch ihren Ex deutlich lächelnd zeigt, geht Lugacy (sorry Sam!) differenzierter vor. Die Verdoppelung der Bilder unter umgekehrten Vorzeichen gibt dem Zuschauer zweimal die Chance, seinen Blick zu evaluieren. Auch die Transformation von Opfer zu Täter geschieht im Genre gern übergangslos. Eine Figur ist erst das eine, dann das andere. Action steht meist im Vordergrund. DESCENT weicht auch hier von der Formel ab, und nimmt sich Zeit für das Trauma, das aus der Vergewaltigung folgt. Die Filmemacherin reserviert der Protagonistin einen zweiten Akt, der zwar extrem konstruiert ist, aber Maya eine Passage durch die „Unterwelt“ der Clubs erlaubt, die das Ende des Films intensiviert. Auch hier bleibt der Blick ambivalent.

Für einen Moment deutet Lugacy eine konservative Lesart des urbanen Clubs an: hypnotisierte Körper zu
Massiv Attack auf dem Tanzflur und Koksen auf dem Klo. Bilder des seelisch-moralischen Verfalls verlorener, hedonistischer Großstädter, cool in Szene gesetzt. Der „passende“ Platz für ein Vergewaltigungs-Opfer mit gebrochenem Selbstwert. Der Club als Fleischmarkt leichter Pick-Ups. Dann aber kadriert die Kamera ihre Protagonistin suggestiv treibend in dieser Zwischenwelt auf der Tanzfläche, die gleichzeitig physische Nähe und innere Distanz erlaubt. Und macht plausibel, warum Maya diesen Ort von Risiko und Chance sucht. Sie gleitet durch die Räume, lange unberührt von dem, was Außen passiert. Für diesen Balance-Akt zwischen Oberfläche und Introspektion findet der Film unscharfe lowkey-Close-Ups, arbeitet auf der Sound-Ebene mit Delays und Auslassungen, erzeugt eine entrückte und betäubte Stimmung. Abzüge gibt´s fürs Tempo: die Handlung schleppt sich durch die atmosphärischen aber redundanten Club-Szenen, als wäre sie selbst Opfer einer Gewalttat. Das synästhetisiert Mayas Befindlichkeit. Aber ein bisschen zweifelt man schon, nicht zynisch, ganz nüchtern, ob der rote „Ab 18“-Sticker auf dem DVD-Cover seine Berechtigung hat. Er hat.

DESCENT ist seit 2007 im internationalen Festvial-Circuit unterwegs. Seit August steht er in den Videotheken. Wer nach DEATHPROOF einen weiteren Exploitation-Film mit Rosario Dawson erwartet, wird enttäuscht werden. Der namenlose Kritiker aus der Service-Industrie schubladisiert den Film als
Arthouse-Rape-Revenge-Film, was gar nicht schlecht passt, wenn es nicht abschätzig gemeint ist. Quelle der kontroversen Kraft von DESCENT sind lange Einstellungen und zurückhaltende Inszenierung an Schlüsselstellen, die dem Zuschauer Projektionsflächen für die eigene Subjektive bieten. Lugacy zielt nicht auf Exploitation oder Gewalt-Pornographie ab. Sie verweigert einfache Antworten und nutzt das Genre lediglich als lose Vorlage, die sie am Ende konterkariert. Die subversive Wirkung des Films liegt in seinen Leerstellen.

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