Samstag, 5. September 2009

"Stolz der Nation" und INGLOURIOUS BASTERDS

(D. Schanz)

Von meiner Seite soll zunächst einmal keine ausführliche Besprechung zu INGLORIOUS BASTERDS zu erwarten sein. Das hat zum einen zeitliche Gründe: Viel mehr als eine Kurzkritik wäre momentan leider nicht drin – und das würde sich angesichts dieses großartigen Films einfach nicht richtig anfühlen. Zum anderen sind da die vielen Filmkritiker, die Tarantinos neuestes Werk zu Hochleistungen inspiriert hat (
J. Hoberman beispielsweise, von dem dies fast zu erwarten war, oder Georg Seeßlen, der sich selbst übertroffen hat) und deren Artikel ich für den Moment nicht allzu viel hinzufügen möchte. Vielleicht noch – um allein das Schauspiel zu würdigen – die Beobachtungen, dass Brad Pitt erneut sein sträflich ignoriertes Komikgenie unter Beweis stellt; dass Christoph Waltz jede einzelne seiner Cannes-Vorschusslorbeeren gerecht wird; und dass unter den zumeist überzeugenden deutschen Darstellern besonders August Diehl und Alexander Fehling beeindruckende Vorstellungen abliefern, die auch einem Tarantino-Film gerecht werden. Es gäbe so viel weiteres an INGLORIOUS BASTERDS, über das sich zu schreiben lohnte, nur möchte ich mich hier auf einen einzigen Aspekt beschränken, nämlich den von Tarantino-Kumpel Eli Roth (ausschnittweise) inszenierten Film im Film „Stolz der Nation“, der einen genaueren Blick verdient hat – und sei es nur im Kontext des ihn umgebenden Films.


Nun gibt es in BASTERDS einige Bilder (nicht etwa allein bloße Einstellungen oder gar einzelne Frames sind hier gemeint, sondern viel umfassender auch Dialogszenen oder kurze Montageketten) die herausstechen, die sich im Bewusstsein verankern, ohne dass man genau sagen könnte weshalb. Vielleicht sind es die Tarantino-typischen und von Timor kürzlich in altbekannter Weise gescholtenen Verweise auf verehrte Filmgrößen, die jedoch gerade hier nicht einfach imitieren und huldigen und damit beim Zuschauer schlichte Nostalgie entfachen, sondern das Bedeutungsspektrum der Vorbilder transformieren, erweitern, pervertieren. Der Kamerablick aus der Tür des französischen Landhauses heraus auf den anfahrenden Tross des „Jew hunter“ Landa zu Beginn des Films ist so ein Fall – beileibe nicht das filmgeschichtlich erste Zitat der berühmten Einstellung aus THE SEARCHERS, aber in Tarantinos Neukonnotierung sicherlich das effektivste. Oder aber auch Tarantinos mehrfache Verneigung vor Lubitschs SEIN ODER NICHT SEIN, die ihren Höhepunkt findet, wenn der großartige Brad Pitt als Aldo Raine krampfhaft versucht zur Nazi Filmpremiere des Propagandafilms „Stolz der Nation“ seine Tarnung als italienischer Regisseur zu wahren, dabei allerdings seinen Unterkiefer verschiebt, als gelte es, Don Vito Corleone zu imitieren. Geschichte erzählt sich bei Tarantino – wie könnte es anders sein – vor allem über die Filmgeschichte.

Am stärksten jedoch ist mir eine ständig wiederkehrende Schnittfolge im letzten Akt des Films im Gedächtnis geblieben (was zugegebenermaßen auch nur dem banalen Umstand der Wiederholung geschuldet sein mag): Szenen aus dem neuesten Propagandawerk unter Goebbels kulturpolitischer Leitung, in denen nichts weiter geschieht, als dass Daniel Brühl als gefeierter Kriegsheld Zoller einen Alliierten nach dem anderen über den Haufen schießt, werden gegengeschnitten mit Nahaufnahmen von Hitler im Halbprofil, der mit der versammelten Nazi-Eminenz im Kino sitzt und das Geschehen auf der Leinwand mit leuchtenden Augen und kindlicher Freude verfolgt. Hier scheint die Schlüsselszene aus SULLIVAN’S TRAVELS durch – allein mehrfach entfremdet und neu kodiert. Nicht der Slapstick-Humor alter Walt Disney-Streifen versetzt diesmal das Publikum in Ekstase, sondern ein früher, so stumpf nationalistischer wie inszenatorisch einfältiger Actionfilm; nicht die einfachen Insassen einer US-amerikanischen Strafanstalt sind es, die sich am albernen Schabernack erfreuen, sondern die obersten Reihen des Dritten Reichs samt ihrem grenzdebilen Führer.

Das ist zum einen verdeckte Hommage an Sturges’ Klassiker und lustvollste Entmystifizierung Hitlers, der, um einiges erfolgreicher als bei Dani Levy und Helge Schneider vor einigen Jahren der Fall, als kulturell genügsamer Simplizissimus entlarvt wird. Hitler freut sich über den immer gleich inszenierten Schusswechsel Zollers mit den gegnerischen Soldaten (Halbnahe auf schießenden Brühl, cut auf Totale mit spektakulär sterbenden Alliierten, cut auf schießenden Brühl, cut auf sterbende Alliierten, usw.), als wäre das Charlie Chaplin auf der Leinwand, der in einer wilden Tortenschlacht eine Horde Polizisten düpierte. Irgendwann dreht Hitler sich zu Goebbels und bescheinigt ihm, dass dies sein bester Film sei. Mehr zu sein als ein kümmerlicher Filmbanause gesteht Tarantino dem Führer nicht zu.

Zum anderen aber ist diese Schnittfolge eben auch eine ungewohnte, spöttische Kritik Tarantinos am eigentlich so geliebten Kino und dessen manchmal doch allzu leicht durchschaubaren Mechanismen. Denn selbstverständlich hat „Stolz der Nation“ ebenso wenig mit den populären, eskapistischen Großproduktionen zu tun, die tatsächlich das nationale Kino des Dritten Reichs ausmachten, wie mit den expliziten Propagandafilmen Marke Riefenstahl oder Harlan. Vielmehr lässt sich Roths pseudo-Film als zeitlose Metapher für aktionsgeladenes, hirnloses Affektkino verstehen, das weder persönlich ist, noch in irgendeiner Form visionär oder auch nur eigenwillig, sondern mechanisch allein den Zweck verfolgt, mit einfachsten Mitteln das Publikum zufrieden zu stellen, indem auf berechnende Weise Fantasien und Narzissmen der Zuschauer bedient werden. Tarantino macht sich hier über ein Kino ohne künstlerische Wagnisse, ohne echtes Herz lustig (selbst dem Hauptdarsteller Zoller ist die ideenlose Repräsentation seiner „Heldentaten“ unangenehm). Und ebenso gilt sein Spott einem hier durch Hitler personifizierten Publikum, das auf der Leinwand in erster Linie sich selbst bestätigt sehen will, statt Herausforderungen zu begrüßen.

Immer wieder wird kurzsichtigerweise über Tarantino geschrieben (unter anderem auch
hier auf dieser Seite), er sei der ewige Videotheken-Nerd, der allein aus B- und C-Movies seine Inspirationen schöpfe – womit all diese Filme in einen Topf geworfen werden, als gäbe es im lowbrow-Bereich keine Qualitätsunterschiede. Tatsächlich sind sie einfach nur nach anderen Maßstäben zu bewerten als die Filme des Mainstream- oder des Kunstkinos. Das war bereits der Tenor in SULLIVAN’S TRAVELS und das steckt auch, im Vergleich allerdings antithetisch verpackt und sicherlich weit weniger direkt intendiert, in Eli Roths bewusst lausiger, herzloser Inszenierung der „Stolz der Nation“-Schnipsel. (Ironischerweise wird in einer Kritik, die ich las und wieder vergaß, lamentiert, Roth hätte das Potential, das in einer Nazi-Propagandafilm-Persiflage stecken würde, nicht ausgereitzt – sein Versuch sei nicht adäquat genug.) Tarantino mag ein Herz für filmisch Abseitiges haben – was jedoch noch lang nicht bedeutet, dass er A) an jeder Scheiße gefallen findet und B) mit seinen eigenen Filmen nicht etwas ganz anderes will als jene Exploitationsfilme mit denen er immer wieder in Verbindung gebracht wird.

Viel zu oft ist mir in den Vorbesprechungen und selbst in einigen Reviews zu BASTERDS die Mutmaßung aufgefallen, Tarantinos neuestes Werk sei ein Euro-Kriegs-Trashfilm (mal affirmativ, mal missbilligend gemeint), oder so ähnlich. Kein ansatzweise ernstzunehmendes Urteil könnte unpassender sein, als dieser an analytischer Faulheit krankende Schnellschuss. Angenommen BASTERDS würde keinen intelligenten – und verdammt nötigen – Beitrag zur Diskussion um verfilmte Geschichte und den Konstruktcharakter von Geschichte generell leisten; und selbst wenn Tarantino kein äußerst unterhaltsames filmisches Spiel mit der Macht der Sprache und nationalkulturellen Codes gelungen wäre: Mit INGLORIOUS BASTERDS zeigt Tarantino mehr denn je, dass seine Liebe für den Film weitreichender ist als man ihm noch immer viel zu häufig unterstellt – nie waren seine filmischen Vorbilder kanonisch etablierter und allgemein respektierter; selten waren seine filmischen Zitate intelligenter, präziser gewählt. Mit Eli Roths Szenenregie für „Stolz der Nation“, diesem bewussten Stück anti-Kino in mehrfacher Hinsicht, zeigt Tarantino indes, dass diese Liebe jedoch ganz und gar nicht grenzenlos ist. „Stolz der Nation“ ist gewissermaßen die Antithese zu Tarantinos Meisterwerk.

Jetzt wurde aus diesem Text also doch wieder mehr als eine Kurzkritik… Aber manchen Filmen kann und will ich auf dieser Plattform einfach nicht mit weniger Mühe begegnen.


1 Kommentar:

  1. Über den Film ist schon vor seinem Erscheinen viel, wahrscheinlich zu viel geschrieben worden, was mich auf die Idee brachte eine "kurzsichtige" Vorabkritik zu veröffentlichen, die sich natürlich mehr mit der Rezeption des Films vor der eigentlichen Rezeption beschäftigte.
    Nachdem der Film nun gar nicht so schlecht ist, wie vielleicht zu befürchten war, erscheint mir Dennis Rezension doch als etwas zu unkritisch.
    Aber zu dem eigentlichen Kern des Beitrags, dem Film-im-Film:
    Ein Kino, das die Affekte anspricht reicht vom Horrorfilm über die Komödie bis zum Melodram, mit "Affektkino" ist hier wohl ein Effekt-orientiertes Mainstreamkino gemeint. Statt auf ein "Affektkino" (zu dem man Tarantinos Filme übrigens sehr gut zählen könnte) sollen sich die zu sehenden Ausschnitte wohl auch auf Spielbergs Saving Private Ryan und soziopathische Amokschützen im allgemeinen beziehen. Viel wichtiger als diese unglückliche Begriffswahl ist allerdings eine Parallele die Dennis in seiner Euphorie entgangen sein dürfte: Die filmische Revanchefantasie der Nazis unterscheidet sich von der Tarantinos (oder Spielbergs) nur in der technischen Raffinesse und in dem Zitieren anderer Filme. Anders als es etwa Seeßlen in seiner Kritik darstellt, wird der Tod Hitlers besonders hervorgehoben, durch eine Nahaufnahme der von Kugeln geschüttelten Leiche. Die Szene wird ähnlich spektakulär inszeniert wie die Todesszenen des Films im Film, und Affekte werden damit allemal angesprochen. Eli Roth macht seine Sache also so gut dass die Frage erlaubt sein muss, ob sich Tarantinos Versionen von Hitler und co. nicht ebenso gut an Hostel oder an Kill Bill (Uma Thurman als arisches BDM-Mädel?) erfreuen könnten. Der Film spielt damit, die Stereotypen von Täter- und Opferrolle umzukehren, die Konvention dass nicht nur im Kriegsfilm die Darstellung von Gewalt einen Schau- und Unterhaltungswert darstellt, bleibt jedoch unangetastet. Der Zuschauer hat in Inglourious Basterds unter Umständen also mehr mit dem Kinogänger Hitler gemeinsam als er glaubt.

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