Freitag, 17. Juli 2009

Notizen zu Sacha Baron Cohens "Brüno"

(D. Schanz)

In seiner Review zu Woody Allens neuestem Film WHATEVER WORKS, der trotz Rückkehr ins heimatliche New York und Larry David als Woody-Alter Ego bei der amerikanischen Kritik nur verhaltenen Jubel erntete, urteilt J. Hoberman vielleicht etwas zu kategorisch, dass Allens eher milde Version des jüdischen Humors seit jeher die asoziale Bissigkeit seiner Komikerkollegen Philip Roth, Mel Brooks, Lenny Bruce und Borat(sic!) vermissen lässt. Provokativ wie so oft, schmuggelt Hoberman hier also den jungen und vergleichsweise unbewährten Sacha Baron Cohen in diesen erlauchten Kreis jüdischer Humoristen, und wagt es sogar, ihn noch auf seine bisher bekannteste Kunstfigur reduziert in seiner Bedeutung für den jüdischen Humor über den wohl berühmtesten urbanen Schlemiel der Filmgeschichte zu stellen. Vielleicht muss man New Yorker sein, vermutlich auch der jüdischen Kultur näher stehen als ich, um Hobermans leicht gezwungen wirkende Abneigung gegenüber Woody Allens Filme verstehen zu können. Seine kanonerweiternde Wertschätzung Sacha Baron Cohens allerdings ist nicht nur äußerst mutig sondern auch durchaus gerechtfertigt. Die kompromisslerische Harmlosigkeit, die Hoberman Allen vorwirft („he wants to make nice – it’s just his nature“), findet sich bei Baron Cohen nicht mal im Ansatz. Der Mann will provozieren, nicht gefallen, und Grenzen überschreiten wo gar keine mehr zu vermuten waren. Mit BRÜNO, seinem dritten Kinofilm als Hauptdarsteller und co-Autor, bestätigt sich diese Einschätzung oftmals stärker als einem lieb sein kann.

Mehr noch als BORAT ist BRÜNO eine Tour de Force für seine Zuschauer – eine konstante Belastung für die Lachmuskeln, denn der genial-derbe Humor bewahrt auch bei fortgeschrittener Laufzeit seine Effektivität; und ein steter Angriff auf die eigene Schamgrenze, denn Brüno konfrontiert uns mehr als einmal mit Bildern, die man eigentlich nicht sehen will. Hatte Borats minutenlanger Nacktkampf mit seinem „Manager“ für reihenweise sich in ihren Kinositzen windende Zuschauer gesorgt, so fährt Brüno gleich mehrere Szenen dieses Kalibers auf. Wenn dieser etwa, bei einer Séance mit einem Medium, der Seele von „Milli von Milli Vanilli“ einen ausgedehnten Blowjob verpasst, provoziert er förmlich ein peinlich berührtes Wegdrehen von der Leinwand, wohl wissend, dass hinter vorgehaltener Hand dann doch wieder der vorsichtige Blick aufs Geschehen gewagt wird – sei es aus heimlicher Lust am Ekel oder der schieren Verblüffung ob Baron Cohens radikaler Maßlosigkeit. Vielfach ertappt man sich selbst als Voyeur – am direktesten wohl, wenn sich der bemitleidenswerte Präsidentschaftskandidat Ron Paul vor versteckter Kamera einem Verführungsversuch Brünos ausgesetzt sieht – und wird damit an ein Grundprinzip des Kinos und an die eigene Rolle innerhalb dieses Komplexes erinnert. Das genussvoll schmerzhafte Fremdschämen wird mit dieser Erkenntnis plötzlich zu einem Selbstschämen, das bei der nächsten Gelegenheit wieder überlacht werden will.

Brüno will weh tun. Und dies noch mal etwas direkter als sein kasachischer Kollege. Hielt Borat noch, als eine Art primitiver Katalysator, der amerikanischen Gesellschaft den Spiegel vor, so verkörpert Brüno nun höchst selbst ein verzerrtes Spiegelbild unserer hedonistischen Konsumgesellschaft. Es ist eine Karikatur des „westlichen“ Selbstverständnisses, mit dem Brüno beispielsweise einem Anführer der palästinensischen Al-Aqsa Brigade begegnet und ihm Stylingtips für Osama bin Laden verrät, oder wenn er in einer modisch aufgepimpten (sprich: tuntigen) Version der chassidischen Kleidung durch die Straßen Tel-Avivs stakst und den Zorn orthodoxer Juden auf sich zieht. Und es ist ein bitterbös sarkastischer Kommentar auf die Selbstsucht privilegierter Personen der Öffentlichkeit, wenn Brüno sich ein schwarzafrikanisches Baby als modisches Accessoire zulegt („I swapped it for an Ipod“), das er, in Anlehnung an den attraktivitätssteigernden Effekt den man Kleinkindern und Hunden nachsagt, vor einem aufgebrachten Talkshow-Publikum als „dick magnet“ bezeichnet.

Hat der offenkundig antisemitische, mysogyne und xenophobe Borat aufgrund seiner naiv-dümmlichen und zutiefst widersprüchlichen Art noch irgendwie etwas Liebenswürdiges an sich, so verspielt Brüno jegliches Sympathiepotential (nicht nur) beim Zuschauer, da sich der selbstverliebte Egomane seines provokativen Auftretens zu jeder Zeit bewusst scheint. Tatsächlich ist das Berühmtwerden um jeden Preis erklärtes Ziel des talentfreien „Funkyzeit“-Moderators, der ein klares Produkt unserer Reality-TV geprägten Zeit ist, in der schrilles Auftreten allein genügt um „Star“ zu werden. Brüno will nicht gefallen sondern auffallen – auch das ein Seitenhieb auf die Mechanismen und Werteverschiebung in der postmodernen Spaßgesellschaft. Es gehört zu den selbstironisch satirischen Eigenheiten des Films, dass Brüno bei all den gezeigten Rückschlägen bezüglich seines Karriereziels, zumindest mit dem Film den wir auf der Leinwand sehen eben doch noch die ersehnte Aufmerksamkeit erhascht. Anders als bei BORAT stehen hier nämlich nicht mehr die sich in vertrauter Komplizenschaft oder sicherer Überlegenheit wähnenden und folglich in ihrer Bigotterie entblößten Amis im Mittelpunkt – das Rampenlicht gehört vor allem Brüno und er teilt es nur ungern. Seine exzessiv-freakige Performance ist wesentlich präsenter als die Reaktion der Leute auf sie. Es ist die fiktive Figur des Brüno mit der sich der Zuschauer auseinandersetzen soll und nicht so sehr der konservative Durchschnittsami oder ähnliches. Diese Schwerpunktverlagerung entwertet dann auch endlich die eigentlich längst überflüssige Frage, welche Momente und Episoden des Films denn nun „echt“ und welche „lediglich inszeniert“ seien.

Die lustvolle Provokation mit der Brüno seinem Publikum begegnet, drückt sich noch in zwei weiteren Punkten aus, die ich abschließend für erwähnenswert halte. Die erste Beobachtung wird vor allem einem deutschsprachigen Publikum der nicht immer englischen Originalversion des Films auffallen: die vereinzelten Wortfetzen vorgeblich deutscher Sprache, die der „österreichische“ Modefuzzi Brüno immer mal wieder in sein tuntiges, akzentbeladenes Englisch einbaut, sowie das Fantasiedeutsch, über welches er mit seinem „deutschen“ Sidekick Lutz (der von einem schwedischen Schauspieler dargestellt wird) kommuniziert, verhalten sich zur deutschen Sprache in etwa so wie Borats Kauderwelsch zum modernen Kasachisch. Dies führt einerseits zu Lachern ob der teilweise völlig absurden Wortkreationen, andererseits muss dieser bewusst respektlose Umgang mit Sprache auch als Persiflage auf Hollywoods oftmals laxen Umgang mit der Sprache des „Anderen“ gesehen werden. Deutsche Sprache ist was Hollywood als deutsche Sprache ausgibt – und die Zuschauer, sofern sie es nicht besser wissen, fressen das auch.

Die letzte Beobachtung, die ich in diesem Rahmen anstellen möchte, betrifft weniger die Komik Sacha Baron Cohens als vielmehr die Form und Erzählstruktur des Films. BRÜNO unterscheidet sich visuell und erzähltechnisch nicht im Geringsten von BORAT – das heißt er ist mit den ästhetischen Mitteln einschlägiger Reality TV-Shows ausgestattet und verfügt über einen Plot, der so auffällig dünn und formelhaft ist, dass es an inszenatorischem Sarkasmus grenzt. Dramaturgisch ist Brünos Odyssee jedenfalls absolut identisch mit der Mission Borats, als wäre es gar nicht mehr nötig neue Ansätze zu finden eine Geschichte zu erzählen, wenn diese eh in ihre Einzelteile zerpflückt ein Nachleben auf Youtube fristen wird. Diese in ihrer Offensichtlichkeit fast schon dreiste Konstante zwischen den beiden Filmen mag Regisseur Larry Charles zuzuschreiben sein, der bereits mit seiner Tätigkeit für Larry Davids HBO-Serie CURB YOUR ENTHUSIASM das Konzept des extrem vorhersehbaren, rein um die Hauptfigur sich drehenden, furchtlos überkonstruierten Plots zu so etwas wie einer eigenen Kunstform gemacht hat. An Effektivität jedenfalls mangelt es den Kinofilmen genauso wenig wie der Serie.

Über die CYE-Parallele ergibt sich auch der naheliegende Vergleich zwischen Baron Cohen und Larry David, den Hoberman in seiner Aufzählung der Woody Allen-Kontrastfiguren anscheinend vergessen hatte. Größere Arschlöcher als diese in der Anlage so unterschiedlichen, im Geiste jedoch sehr ähnlichen Komiker, sind momentan weder im jüdischen, noch im sonst wie klassifizierten Humor in Film und Fernsehen anzutreffen. Ich bin gespannt, mir in wenigen Wochen mein eigenes Bild über Larry Davids laut Hoberman angeblich so woodyisierten Auftritt in WHATEVER WORKS machen zu können. Fast noch gespannter bin ich allerdings auf den sicher unvermeidbaren Auftritt Sacha Baron Cohens in einem der nächsten Filme Woody Allens.

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