Schwer, das Gefühl zu beschreiben, das nach dem Sehen von Charles Burnetts KILLER OF SHEEP da ist. Was macht die Schönheit des Films aus? Was ist bitter? Ich fange an mit Kontext.
In einem Dokumentarfilm-Seminar vor einem Jahr stieß ich zum ersten Mal auf KILLER OF SHEEP. 12 Monate später sehe ich den Film endlich an, und immer noch waren meine Erwartung irgendwie mit „dokumentarisch“ verknüpft. Die Woche über hatte ich mich mit einer Gruppe Filme um James M. Cain´s Novelle „The Postman always rings twice“ beschäftigt, und wegen OSSESSIONE (1943) kurz das Nötigste über den italienischen Neo-Realismus aufgefrischt. Drittens ist es nicht allzu lang her, dass ich den jüngsten Jim Jarmusch-Film, THE LIMITS OF CONTROL im Kino gesehen hatte. Wie jeder Jarmusch ist der voller langsamer Momente, die durch die Entschleunigung fast vergessen machen, wie sorgsam inszeniert sie sind, und die so eine poetische Qualität erreichen. Damit zu KILLER OF SHEEP.
Konsequent setzen die ersten Sekunden des Films den Ton. Der Vater hält seinem Sohn eine Standpauke. Der hat bei einer Rauferei seinen kleinen Bruder im Stich gelassen: „If anything happens to me or your mother, you ain´t got nobody except your brother.“ Keine Sekunde Kitschromantik, sondern die Dringlichkeit des Vaters, der seinem Kind früh beibringt: unser Leben ist hart. Get used to it.
Hart. Aber nicht ohne Schönheit: die Totale wirkt poetisch, wenn die Gang der Getto-Kinder einen vorbeifahrenden Güterzug im Spiel mit Steinen „angreift“, die Kamera aus dem fahrenden Zug heraus den Angriff der Kinder beobachtet, und die Kids wie ein Vogelschwarm, der jäh seine Richtung geändert hat, auf ihr Ziel zustürzen.
Aus einer anderen Sequenz nimmt Mos Def sein Album-Cover zu The Exstatic: die Kinder springen wie Parcours-Läufer auf den Dächern ihrer Projects herum, über 2 Meter breite Lücken zwischen den mehrstöckigen Häusern, geschossen aus starker Untersicht genau untendrunter: das Bild gleichermaßen unbeschwert wie gefährlich, geht es doch gute 5,6 Meter runter.
Die lose Erzählung um den schwarzen Arbeiterklassen-Familienvater Stan und seine Versuche, mit einem Kumpel ein altes Auto wieder Flott zu machen, wird immer wieder gebrochen von Szenen aus dem Alltag in Stan´s vier Wänden und dem Viertel, in dem sie stehen. Den anfangs kontrastierend wirkenden, aber mit längerem Hinsehen komplementären „Erzählstrang“ bilden die Schlachthof-Sequenzen.
Stan schiebt sich somnambul durch den Film wie Rilkes Panther. Nach einem Arbeitstag im Schlachthof tanzt er mit seiner Frau (Kaycee Moore) im Zimmer. Der Plattenspieler krächzt eine langsame Soul-Nummer, „This Bitter Earth“ von Dinah Washington. Die Silouetten der beiden wiegen sich zur Musik, kommen sich im Gegenlicht des Fensters langsam und zärtlich näher, Stan´s Frau rankt tanzend an ihrem Mann empor, liebkost seinen Körper. Wenn sie Stan so tanzend gleichsam in Besitz zu nehmen scheint, dann nur, um endlich wieder seine Aufmerksamkeit zu spüren. Sie wirkt gleichzeitig sanft und hungrig wie ein Tier, ihr Tanz ein Rütteln an den Gitterstäben des Pantherkäfigs.
Schnitt zu Stan´s Arbeit im Schlachthof: in langen Einstellungen spült Stan mit einem Schlauch das Blut vom Boden weg; ein Arbeiter bringt die Fleischerhaken im Schienensystem an der Decke in Position; Messer am Hüftgurt der Männer vor dem Bauch mit der weißen Gummischürze werden routiniert gewetzt; und ahnungslose Schafe drängen die Boxengänge hinauf, treten ihren Weg zur Schlachtung an; Halbnah, lange ohne Schnitt, schwarz-weiss- als ob alles geradewegs aus einer Direct Cinema Doku stammt, die vorgibt, nichts zu inszenieren und alles nur zu zeigen, wie es gerade passiert. Ironisch legt sich „It´s a Wonderful World“ von Luis Armstrong im Soundtrack über die Szene...
Um einen Motor für den Wagen zu kaufen, muss Stan in einen kleinen Eck-Laden einen Scheck einlösen. Hinter dem Tresen steht eine dicke, unattraktive, aber: weiße Frau, die gegenüber ihrem schwarzen Mann/ Liebhaber/ Angestellten und den Kunden keinen Hehl aus den Verhältnissen macht. Sie löst Schecks ein oder lehnt ab, frei nach Gusto. Offensichtlich gefällt Stan ihr –die Kamera nimmt sich lange Zeit, ihren taxierenden Blick zu zeigen, der im sonst nüchternen Stil des Films so lüstern wirkt, als stamme sie geradewegs aus einem Russ-Meyer-Streifen. Sie nimmt seinen Scheck an, nicht ohne die schwarzen Männer mit ihrem allzu offensichtlichen Taxieren zu demütigen. In wenigen Strichen skizziert die Szene die soziale Hierarchie in diesem Moment in der Zeit im Getto von Watts / Los Angeles/ USA; zeigt, welchen Unwägbarkeiten Stan´s Kampf um ein besseres Leben ausgeliefert ist.
Es fällt leicht, dem Film eine neorealistische Lesart zu geben. Mit der „Tanz-“ und der „Scheck-“ Sequenz als Beispiele für das narrative Schwanken zwischen Humanismus und sozialem Determinismus; den langen Einstellungen, mit dem Auge für alltägliche Dinge; dem Gegenüber der ausweglosen Schwere im Getto von South Central, das nicht wirkt, als stünde es im Jahr 1977 (dem 1977, in dem das weiße Amerika STAR WARS im Kino sieht), sondern gleichzeitig älter und zeitloser rüber kommt, und der Leichtigkeit der zufälligen Momente auf der anderen Seite, der Lebensfreude, z.B. in Gestalt der Kinder, die selbst die Trostlosigkeit durch schiere Lebensenergie noch zum Spielplatz machen--- um sich in der nächsten Sequenz wieder mit Steinen zu bewerfen. Cesare Zavattini, Drehbuchautor von DeSica´s FAHRRADDIEBE (1948) hätte über KILLER OF SHEEP sprechen können, als er beschrieb, was für ihn den Neorealismus ausmacht: die „geduldige Annäherung und Untersuchung des wirklichen Lebens, bei der es darum geht, die Dinge, wie sie sind, fast allein sprechen zu lassen, und sie so bedeutsam wie möglich werden zu lassen.“
Bittersweet. Nüchtern wie Frederick Wiseman´s Direct Cinema,langsam und poetisch wie ein Jarmusch, und bleak wie die Aussichten in „LADRI DI BICICLETTE--- Nur schwärzer. Das ist das Gefühl, das KILLER OF SHEEP beschreibt.
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