Dienstag, 8. Dezember 2009

„Dances with Japanese“ – Takita Yôjiros DEPARTURES

(T.Hwa)

Es scheint nicht schwer zu erkennen, was die Academy an DEPARTURES (J 2008, R: Takita Yôjiro), dem diesjährigen Gewinner des Oscars für den besten ausländischen Film, schätzt. Die Geschichte eines jungen Bestattungsunternehmers wider willens, der über die feinsinnig ausgeführte rituelle Waschung und Herrichtung von Leichen zu sich selbst wie auch zu seiner Vergangenheit findet, bietet jenen sanften Exotismus Hollywoods: das Fremde, das primär als Spiegel des Eigenen dient.


Exotik war einmal sehr einfach für Hollywood. Ob das marokkanische Casablanca oder die russischen Schneelandschaften, die für DOKTOR ZHIVAGO (1965, R: David Lean) in Spanien aus Schaum entstanden, die Fremde diente als eine Kulisse, auf der die meist westlichen Protagonisten ihre Konflikte austragen konnten – und zugleich als völlig synthetische Projektionsfläche für die Wünsche und Sehnsüchte des Publikums. Nachdem New Hollywood das Fremd-werden des scheinbar so vertrauten Amerikas thematisierte, ist dieser naive Umgang mit Exotik einer kulturrelativistischen Position gewichen, die ethnografische Begegnungen mit dem Fremden inszeniert. Immer wieder erscheint diese Begegnung dabei als regeneratives Mittel gegen die Sinndefizite der eigenen Kultur. Und so verteidigen Kevin Costner und Tom Cruise als Veteranen des amerikanischen Bürgerkriegs, des ersten großen Traumas der jungen Nation, einen Indianerstamm oder einen Samurai-Clan bei dem sie nach anfänglichem Unverständnis und einigen Initiationsriten heimisch geworden sind – und damit zugleich die beiden Kulturen gemeinsamen, scheinbar universalen Prinzipien und Werte. Unter der kulturrelativistischen Oberfläche berufen sich DANCES WITH WOLVES (1990; R: Kevin Costner) und LAST SAMURAI (2003; R: Edward Zwick) auf die großen Universalismen Hollywoods. Zugleich basieren die Geschichten auf einer heroischen Überhöhung des Fremden, wie sie auch in dem früheren Exotismus Hollywoods eine Rolle spielt.

DEPARTURES inszeniert eine eben solche ethnografische Begegnung ohne Japan zu verlassen. Arbeitet der Protagonist zunächst im urbanen Tokyo als Cellist in einem Orchester, das Beethovens Neunte schmettert (für Japaner nach Wagner sicher der Inbegriff westlicher Musik), so stellt für ihn die ritualisierten Zeremonien im Bestattungsinstitut eine Rückkehr in die fremd gewordene eigene Kultur dar, welche der räumliche Bewegung zurück in sein Elternhaus entspricht. Nach einer Reihe von Initiationen, die mit einem zunehmenden Verständnis für die Funktion der von ihm durchgeführten Handlungen einhergehen, beweist er schließlich sich selbst und den Personen in seiner Umgebung sein Handwerk und demonstriert durch dieses Gesellenstück seine Gruppenzugehörigkeit.
Das präsentierte (Auto-)Stereotyp japanischer Kultur und Tradition ist dabei weitestgehend deckungsgleich mit westlichen Vorstellungen, die in der Teezeremonie eine romantische Hingabe an Details im Sinne eines l’art pour l’art, und in Steingärten den Ausdruck einer von gewalttätiger Vergangenheit unbelasteten Spiritualität sieht. Diese Übereinstimmung von Selbst- und Fremdbild ist in dem Kontext zu sehen, dass „Japanizität“ im Zusammenhang zunehmender Konvergenztendenzen nationaler Kinematographien und Filmmärkten zu einem wertvollen Markenzeichen geworden. Sichtbarstes Zeichen dieser Umstellung des Exports von materiellen zu intellektuellen Produkten stellt „Hello Kitty“ dar, die omnipräsente, bemerkenswert ausdruckslose katzenartige Figur, die seit 2008 als goodwill ambassador Japan als Tourismusziel vermarkten soll. Takita lässt seine Hauptfigur aus dem modernen Tokyo eine anachronistische japanische Kultur wiederentdecken, die längst (von Japanern selbst) zu Folklore gemacht wurde. Weniger als die formvollendeten Bestattungsriten stellen die wenigen Momente des Films, in denen sich die Herkunft des Regisseurs aus der notorisch kreativen Pink-Film Szene in einem ehrfurchtslosen Sinn für absurden Witz äußern, die Japanizität des Films dar.

Dabei ist DEPARTURES bei weitem kein schlechter Film. Gerade zu Beginn gelingt es dem Regisseur zum Teil, in feinfühlig inszenierten Szenen die leise Sentimentalität Ozus mit einem nicht weniger zurückhaltenden Situationshumor zu verbinden. Zunehmend weichen diese leiseren Töne jedoch einer überdeutlichen Art des Erzählens, die sich auch in der Inszenierung immer mehr an Hollywood annähert. Eine Montagesequenz zeigt den Protagonisten beim Cellospielen in idyllischen Landschaften, die dem Wechsel der Jahreszeiten folgen. Die Handlung wird durch symbolische Motive gedoppelt: Lachse kehren zu dem Ort ihrer Geburt zurück und vergehen, Steine kommunizieren Emotionen über die Grenze von Generationen hinweg. Mehr als das ländliche Setting im Norden Japans ist es auch hier ein imaginärer Raum, der die Leinwand für eine unschuldige, sensible Orchestratur der Gefühle darstellt, nach der sich auch die Academy zurückzusehnen scheint.

3 Kommentare:

  1. uhmm, Klärungsbedarf: was genau ist Japanizität? Hello Kitty, Pink, oder Departures? Die Aussenwahrnehmung dessen, was kulturell quintessentell Japanisch ist? Oder die diese Wahrnehmung aufgreifende Produktförmige Affirmation des vorgenannten durch Japaner/japanische Kulturschaffende? Gehören Pinkfilme dann in diese Reihe?

    Sick in Japan: H.

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  2. Mir ging es darum, dass Außen- und Selbstwahrnehmung sich dialektisch gegenseitig bedingen und sich nicht mehr "sauber" trennen lassen.
    Obwohl man Pink-Fime auch schon als ein solches kulturindustrielles Produkt sehen kann ("Kultstatus," etc.), haben sie immer noch mehr mit der Gegenwart Japans zu tun als die Rückwendung zu vermeintlich kontinuierlichen Traditionen.

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