(H.Carstensen)
BRONSON (2009) ist eigentlich weniger eine Story als vielmehr eine Reihe von abwechselnd gewalttätigen und komischen Vignetten, zusammengehalten durch den Stilwillen des amerikanisch-dänischen Regisseurs Nicholas Winding-Refn, ironisch-kühlen Kompositionen des Kameramanns Larry Smith, und die Performance von Tom Hardy, der das Kunststück fertig bringt, den Zuschauer für den titelgebenden Charles Bronson einzunehmen, der nach eigenem Bekenntnis nichts anderes macht, als sich mangels Talent zum Singen oder Schauspielern eben zum Ruhm zu prügeln. Dies tut der unter seinem bürgerlichen Namen startende Michael Petersson, seines Zeichens Großbritanniens gewalttätigster Gefängnisinsasse, und bis heute hinter (echten) Gittern, durchaus innbrünstig, gradlinig und konsequent, dass es einem beinahe schon Respekt abverlangt. Sicher nicht zuletzt, weil das innere emotionale Chaos dieses merkwürdig aus der Zeit gefallenen, glatzköpfig-schnauzbärtigen Vaudeville-Bareknuckle-Jahrmarkts-Boxers in sehr kontrollierten / stilisierten Bildern eingefangen wird. Stehende Aufnahmen oder Tracking-Shots, viele strenge, symmetrische Bildkompositionen, nie Handkamera, die betont künstlichen Music-Hall-Sequenzen, in denen ein expressiv geschminkter Bronson direkt die Kamera bzw. ein (imaginäres) Theater – Publikum adressiert: BRONSON´s visueller Stil in Stichworten.
Kameramann Larry Smith arbeitete bereits mit Stanley Kubrick zusammen (als DOP bei EYES WIDE SHUT und Oberbeleuchter bei BARRY LYDON und THE SHINING), und kaum eine Kritik des Films kommt ohne den Hinweis auf die Kubrick-Parallele aus. Natürlich erinnert der Einsatz klassischer Musik zur Ästhetisierung zeitlupenverlangsamter brachial-Gewalt an A CLOCKWORK ORANGE, Lichtsetzung und ausgewaschene Farben der Irrenhaus-Sequenzen an THE SHINING (-aber noch mehr an Milos Formans ONE FLEW OVER THE CUCKOO'S NEST) – und zweifellos sind dies schmeichelhafte Vergleiche. Während visuelle Parallelen zu ziehen gerechtfertigt ist, spielt Winding-Refn inhaltlich jedoch in einer anderen, in einer Post-Kubrick-Liga. BRONSON verhandelt nicht das universale Thema menschlicher Gewalt, die dubiose Logik eines inhärent gewalttätigen Strafvollzugs-Systems, oder die Gradwanderung zwischen staatlichem Gewaltmonopol und Tyrannei - ein Balance-Akt, der, wenn das Individuum das System herausfordert, in CLOCKWORK oder ONE FLEW… auf entlarvende Weise abstürzt. Das Setting in BRONSON, der bis auf kurze Intermezzi hinter Gittern spielt, hätte mehr als genug Möglichkeit dazu geboten, gängige Tropen des Knast- u. Psychatriefilms zu vertiefen. Und tatsächlich: Standards wie die Isolation im „Loch“, brutale Schließer, der bigott-menschenfeindliche Gefängnisdirektor etc. sind auch Bestandteil des Films. Aber mehr als Folie, und unter ironisch umgekehrten Vorzeichen. Entgegen der Genre-Konvention will Michael Petersson im Gefängnis bleiben. Er hat keinen anderen Plan, berühmt zu werden. Und erst sämtliche Knäste, Sicherheitsverwahrungen und geschlossene Abteilungen Englands machen aus ihm, was er immer sein wollte: Großbritanniens berühmtesten Knasti, einen Gewalt-Celebrity.
Bei Winding-Refn liegt das Kampfgebiet nicht im Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft, er verlegt den Kriegsschauplatz in das Individuum selbst. So werden die artifiziellen Sequenzen auf der Theaterbühne zu Innenansichten Bronsons, der sein imaginäres Publikum adressiert, und uns seine Sicht der Sache mitteilt: reuelos, unsentimental, und pointiert („I´ve always fancied myself somewhat as a Comedian!“) – Szenen, in denen Tom Hardy besonders glänzt, wenn sein schizophrenes Spiel die Essenz der Figur zwischen Bedrohung und cartoonhafter Gutmütigkeit anlegt (grandios z.B. die Szene, in der Bronson kurzzeitig aus dem Knast kommt, wieder in seinem Elternhaus einkehrt, und dabei an einem Baby-Foto von sich vorbeiläuft, dass Tom Hardy einen trocken inszenierten, gut gespielten Kommentar entlockt…). Es rumort in dem Mann. Gewalt scheint seine einzige eigene Ausdrucksform zu sein. Das britische Strafvollzugs-System bildet die natürliche Umwelt dafür. Regie und Schauspiel umschiffen die Klippe, die Gewaltverhältnisse dabei grundsätzlich zu verharmlosen. Petersson aka Bronson ist eben kein gewöhnlicher Gefangener: „Don´t get me wrong. For most people prison is tough. A monotonous nightmare. 24 hours a day. 7 days a week. 365 days a year of pure, unadultareted, living, breathing hell… But for me, prison was finally a place where I could sharpen my tools, hone my skills… It was an opportunity. And a place where soon every native was gonna know my name.“ Die ironisch-enthusiastische Einstellung Bronsons gegenüber seinem Habitat erlöst den Schauplatz vom Realismus-Anspruch und macht die Bühne frei für Winding-Refns filmische Analogie von Kunst und Gewalt. Diese wird durch einen Anstalts-Kunstlehrer auf den Punkt gebracht, der in das Leben des Häftlings tritt, und ihn zum Zeichnen inspiriert (was Winding-Refn dazu anregt, an René Magritte angelehnte Bildkompositionen einzubauen). BRONSON erzählt die Geschichte einer Menschwerdung, und wie dieser Mensch im Kampf mit sich selbst zum Künstler wird, der seine gewalttätigen Impulse produktiver umsetzt, als nur die Faust aufs Auge zu drücken. Für seine These von Gewalt als Akt der Kunst, und Kunst als Akt der Gewalt findet BRONSON verführerisch gute Bilder.
Winding-Refn bleibt sich treu. In der noch in Dänemark gedrehten PUSHER – Trilogie stand schon mal brutalste Gewalt im Mittelpunkt. Damals noch verortet im Drogenmilieu kleiner und mittlerer Kopenhagen-Mobster. Mit FEAR X machte er 2003 den Sprung in die USA. Dort fabrizierte er eine sehr stylische, aber inhaltlich konfuse Bauchlandung, die in ihren besten Momenten zwar aussah wie ein Lynch-Film, und einen Wimpernschlag lang nur über die Oberfläche (billardfilzgrün und sattes Alarm-Rot durchfluten einen anonymen Hotelflur, den die Kamera in langsamer, suggestiver Fahrt bis zu einer Tür herunter gleitet) an dessen Sog erinnerte – die die erwartungsvoll gehaltene Pause dann aber nicht in diesen untergründig-lynchesken Sog verwandeln konnte, weil der Story solche Untiefen schlicht abgingen - trotz John Turturros gutem Spiel. Gut also, dass BRONSON konsequent auf Psychologisierung verzichtet. Der Film ist eine ästhetisch inszenierte, augenzwinkernde Gewalt-Orgie, die mit kleinen Mitteln großen kinematischen Mehrwert aus der gezeigten Brutalität zieht, ohne die Konstruktion mit ideologischem Ballast zu behängen. Genau wie Charlie Bronson hat Winding-Refns homonymer schlanker Film die Muskeln an der richtigen Stelle, und dürfte sein bisher bestes Werk sein. Postmodernes Popcorn-Kino inklusive 80er-Soundtrack, allerdings nicht ohne kleine Widerhaken, wie das Ende von BRONSON auf besondere Weise veranschaulicht: bei aller Ästhetisierung gibt es auch in Bronsons Welt Konsequenzen, die einem ganz allein gehören, wenn der Vorhang fällt. Die Ironie endet kurz vor der Abblende, und bewahrt den realen Menschen Michael Petersson alias Charlie Bronson davor, in seinem eigenen Film zur Fußnote stilvoller Ästhetik zu verkommen. Chapeau.
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