Sonntag, 28. Februar 2010

Kalte Tage in Berlin: ein kurzer Rückblick auf die Berlinale

(T.Hwa)

Wie bei meinem ersten Besuch bleibt nach der Berlinale neben der Erinnerung an das extrem kalte Februarwetter das Gefühl, die Filme, die man nicht gesehen hat, müssten die besten gewesen sein. Hier einige Eindrücke zu den Filmen, die ich sehen konnte.


SUBMARINO (2010; R: Thomas Vinterberg) ist ein einfacher, auch berechenbarer Film, der seine Wirkung aus seiner Einfachheit heraus entfaltet. Vinterberg präsentiert sein Drama um zwei Brüder die versuchen, die Fehler in ihrer Kindheit zu vermeiden und doch immer wieder das Falsche tun, mit der zu erwartenden skandinavischen Unterkühlung und in Dogma-beeinflussten Bildern, die von Blau- und Grautönen dominiert werden. Bemerkenswert ist, dass der Film immer wieder auch riskiert, das Verhalten seiner Protagonisten nicht vorschnell zu erklären oder zu motivieren. Durch diese Offenheit, wie auch durch das Unterspielen der Schauspieler und ein latentes Understatement in den Dialogen, vermeidet der Film größtenteils jedes Pathos, das in der Thematik angelegt ist. Funktionieren einzelne Momente immer wieder durch ihre geradlinige Unmittelbarkeit – ein Zehnjähriger wird von seiner alkoholisierten Mutter geschlagen ohne dass er darüber noch irgendeine mimische Reaktion zeigen würde – so leidet der Film an einer etwas uneleganten Dramaturgie, welche die Geschichte der beiden Brüder in zwei Episoden teilt, die durch komplementäre Wiederholungen lose miteinander verbundenen sind. Diese ohne letzte Konsequenz angedeutete, an MYSTERY TRAIN erinnernde, Erzählstruktur gerät angesichts des Muts zur Einfachheit, den dieser Film an den Tag legt, zum unnötig komplizierten, prätentiösen Selbstzweck.

KANIKÔSEN (2009; R: Tanaka Hiroyuki) verlegt die Parabel einer sozialistisch-revolutionären Erweckung Ausgebeuteter von einem Panzer- auf einenretro-futuristischen japanischen Fischereikreuzer. Beginnt der Film mit einigen interessanten visuellen Gags und morbidem Humor (Massenselbstmord und Wiedergeburt in reiche Familien als working-class Utopie), so lässt die bedrückende low-budget Ästhetik, die ungewöhnlicherweise auch auf den Einfallsreichtum der Inszenierung übergreift, die 109 Minuten gegen Ende etwas lang werden. Bemerkenswert ist vor allem die (bewusst?) extreme Naivität, mit welcher der unter dem Pseudonym SABU bekannte japanische Regisseur die Romanvorlage aus den Zwanzigern verfilmt: Traumsequenzen sind übertrieben parallel zum Dialog, auf einem russischen Frachter tanzen und trinken die organisierten Arbeiter mit den Vorarbeitern, die blutgetränkte Fahne der neugegründeten Gewerkschaft flattert im Wind. Stärker noch als durch das zeitlose Setting verwandelt der Film seine Handlung so in ein Märchen und subvertiert damit die Botschaft der Vorlage in einem Übergang von Moderne zu Postmoderne. Dementsprechend gab es bei dem nachfolgenden Q+A in Anwesenheit des Regisseurs auch nichts Interessanteres zu erfahren, als dass seine Botschaft mit diesem Film an jüngere Generationen laute, jeder müsse versuchen sein Bestes zu geben.

A WOMAN, A GUN AND A NOODLE SHOP (2009; R: Zhang Yimou) beginnt mit einer dreiläufigen Pistole, die eine unglücklich verheiratete junge Frau von einem lächerlich kostümiert-aussehenden persischen Händler kauft. Da sie in der kleine Nudelküche mitten in der west-chinesischen Wüstenlandschaft von drei Männern umgeben ist, lässt sich erwarten, dass diese am Ende der Komödie ein gewaltsames Ende gefunden haben werden. Manche von ihnen mehr als einmal.
Zhang nennt als Vorbild für seine leichte Farce BLOOD SIMPLE (1984) der Coen-Brüder, ein Vergleich der angesichts des überzogenen Schauspiels, des zum Teil niedrigsten Slapstickhumors, sowie der unausgegorenen Dramaturgie, unter der der Mittelteil des Films leidet, recht fehl am Platze wirkt. Nichts desto trotz präsentiert der Film, sofern er es schafft die Bananenschalen-Komik hinter sich zu lassen, auch einige gelungene absurd-böse Szenen, sowie ein furioses Ende, das dann doch schon an schwächere Coens heranreicht.

Der deutsch–türkische Beitrag DIE FREMDE (2010; R: Feo Aladag) ist ein Soziodram, das sich dem kontroversen Thema „Ehrenmord“ konsequent aus der Perspektive einer leidenden jungen Mutter nähert. Der Film versucht diese komplexen Thematik darzustellen ohne zu sehr in simplifizierende Stereotype zurückzufallen. Zum Teil gelingt dies, zum Teil scheitert der Film an den Implikationen der gewählten Erzählperspektive.
Diese zielt ganz auf eine Identifikation mit einer weiblichen Protagonistin ab. Die von Sibel Kekilli gespielte weibliche Hauptfigur wird von der ersten Minute an Opfer physischer wie psychischer Gewalt. Auch scheut sich der Film nicht davor, den kleinen Sohn zur Steigerung der emotionalen Wirkung zu instrumentalisieren („Warum kann ich nicht zu Papa?“), wobei das Ende des Films dabei bis zum Äußersten geht. Es ist dieser Hang zu Suggestivität und starker Emotionalisierung des Zuschauers, der letztlich entgegen des Anspruchs der Regisseurin eine Einfachheit in der Zeichnung der Figuren überwiegen lässt. Nach den ausführlichen Kommentierungen der Gruppe Frauen im besten Alter neben mir zu urteilen neigt der Film so eher dazu, bestehende populistische Ressentiments zu bestätigen als durch seine zum Teil subtile Darstellung des Konflikts zwischen Familienbande und dem Druck der Erwartungen des sozialen Umfeldes zum Nachdenken anzuregen.

Setzt DIE FREMDE konsequent auf eine emotionale Einbeziehung des Zuschauers durch die Identifikation mit der Hauptfigur, so verweigert das Heimkehrerdrama CATERPILLAR (2010; R: Wakamatsu Koji) diese Anteilnahme mit einer erstaunlichen Beharrlichkeit.
Eine Ehefrau pflegt ihren aus dem zweiten sino-japanischen Krieg mit extremen physischen Verwundungen zurückgekehrten Mann, dessen Existenz auf das stumme Leben einer Raupe – Essen, Schlafen in unendlicher Wiederholung – zurückgeworfen ist. Damit erscheint sie zunächst als eine weitere stumm leidende, aufopferungsvolle weibliche Figur des asiatischen Kinos, zumal der sprachunfähige Torso, den sie pflegt, bald wie vor seiner Abreise regelmäßig Sex mit ihr fordert. Bald jedoch kehrt sich das Machtverhältnis um. In einer starken Szene fordert sie ihren an Armen und Beinen amputierten Mann auf sie zu schlagen, wie er es vor seiner Verwundung regelmäßig tat. Der Täter, verfolgt von flashbacks der Vergewaltigungen, die er in China verübte, wird immer mehr zum Opfer seiner Frau, für die die soziale Anerkennung für ihre Verdienste gegenüber dem „lebenden Gott des Krieges“ zunehmend zu einer Stütze ihrer Identität wird. Der Film hinterfragt damit das idealisierte Bild der opferbereiten, mütterlichen Frau und setzt diesem eine Darstellung der weiblichen Mentalität entgegen, die den militanten japanischen Imperialismus auch an der Heimatfront stützte. Durch diese multiple Umkehrung von Täter- und Opferrolle (der Film endet mit einer verwirrenden Coda, die über Dokumentaraufnahmen auch an die japanischen Opfer der Atombombenabwürfe erinnert) verweigert CATERPILLAR die klare Identifikation mit einer Figur, die zum Sympathieträger des Zuschauers werden könnte. Deutlich wird dies auch durch das erleichterte Lachen des Publikums bei Auftritten des stereotypen Dorftrottels; einer Erleichterung über die Eindeutigkeit des angebotenen comic-reliefs.
Doch nicht nur durch die Verweigerung von empathischer Nähe zu seinen Figuren, sondern in beinahe jeder Hinsicht ist Wakamatsus Werk ein zutiefst unangenehmer Film. Die visuelle Ebene ist von einer bedrückenden, digital wirkenden Bildästhetik geprägt, die selbst eigentlich idyllische Landschaftsaufnahmen hässlich werden lässt. Zum Teil extrem redundante Wiederholungen, auch der schockierenden Sexszenen, tragen dazu bei, den Film zu einer anstrengenden, wenn auch nicht uninteressanten Seherfahrung werden zu lassen.

2 Kommentare:

  1. Wow! CATERPILLAR hört sich ja gut interessant an. Und bei Deinem ersten Satz zur KANIKOSEN-Kritik werde ich fast neidisch. Schön geschrieben, das alles. (Paar kleinere orthographische Fehler hast Du allerdings noch drin, die das Lesen manchmal bisschen anstrengend machen).
    Ja, und ansonsten steh ich nun natürlich unter einigem Druck, auch endlich was abzuliefern...

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  2. Yeah:)erstmal vorweg: als nicht-Berlinale-Gänger komme ich zu diesen Kritiken wie die Jungfrau zum Kinde und entziehe mich mithin jeder ästhtetischen Wertung. So this is a critique on the critique. Kudos: klare, pointierte Beobachtungen wie wir sie kennen und... ah-aaah, ich sag´s nicht. Interessant, wie die Wahrnehmung einer Gruppe Frauen im besten Alter eine Kritik beeinflusst - hehe. Ich werde mich, auch mangels Alternative, fortan anstrengen, zu versuchen, mein Bestes zu geben in der Postmoderne.
    Drine Kritik zu CATERPILLAR hat auf jeden echt neugierig gemacht - hoffe, der Film schafft es, in irgendeinem Rahmen ausserhalb des Festival-Circuits zugänglich zu werden. Cheers.

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