(D. Schanz)
„Hangover gesehen – etwa zehnmal gelacht“, schrieb ich einem Freund kurz nach der Vorführung. Ob das eine gute oder schlechte Quote sei, fragte er mich am nächsten Tag. Eigentlich eine berechtigte Frage, die wiederum die Überlegung aufwirft, was denn eine Mainstream-Komödie heutzutage genau zu leisten habe.
Die Antwort lautet zunächst einmal ganz allgemein: Sie muss einiges leisten – wenn sie sich angesichts der relativen Vielzahl an aktuellen Qualitätsproduktionen behaupten will. Denn das Genre erlebt in Amerika bereits seit einigen Jahren eine regelrechte Renaissance: Von den eher klamaukigen Filmen Adam McKays, über Mike Judges sozialsatirische Spielfilme, bis hin zu allem wo Judd Apatow irgendwie seine Finger im Spiel hat, wird momentan ein ehrlicher und bei aller komischen Überzeichnung auch ein sehr akkurater Blick auf die Eigenarten der amerikanischen Gegenwartskultur geworfen. Regisseur Todd Phillips dagegen, der mit dem AMERICAN PIE-Ableger ROAD TRIP einen ersten Erfolg feierte, mit OLD SCHOOL seinen Beitrag zur bereits schon wieder versiegten Komödienregentschaft Will Ferrells beitrug und sich nun mit THE HANGOVER ins Apatow-Terrain wagt, hat nie mehr als abgeschmackte Standardkost geboten und lediglich aktuelle Trends aufgewärmt ohne deren Essenzen wirklich verstanden zu haben. Mr. Phillips hat weder ein Händchen für interessante Figuren, noch für originelle Jokes oder treffliche Alltagsbeobachtungen. Bei HANGOVER wird einem das erneut schmerzlich bewusst, wenn man, nach der einigermaßen grandiosen Eröffnungsmontage beeindruckender Landschaftsaufnahmen von Las Vegas zur kongenialen Musik der Band Danzig (überhaupt ist die Auswahl der Popsongs eine seltene Stärke des Films), vom weiteren Geschehen so gelangweilt wird, dass man genug Zeit erhält sich zu fragen, warum dieser Film für einen selbst nicht funktioniert, in den USA allerdings bereits mehr als 300 Millionen Dollar eingespielt hat.
So ganz überraschend ist dieser Erfolg natürlich nicht: THE HANGOVER ist purer Eskapismus für ein Volk, das sich immer wieder selbst einreden muss wie frei es doch ist. Eine Ausbruchsfantasie, die von den holzschnittartigen Hauptfiguren – alle Anfang, Mitte dreißig, männlich, weiße Mittelklasse; einem steht „Schwiegersohn“, dem anderen „Playboy“, dem dritten „Langweiler“, und dem vierten „Weirdo“ auf der Stirn geschrieben – stellvertretend für den Großteil des Publikums, das ähnliche demographische Werte aufweisen dürfte, ausgelebt wird. Eine Bachelor-Party in Vegas, die völlig ausartet und am nächsten Morgen bereits wieder vollständig vergessen ist. Literweise Alk und die falschen Pillen machen’s möglich. Dumm nur, dass der designierte Bräutigam verschwunden ist und das noch längst nicht das einzige Problem seiner ratlosen Freunde ist. Im Verlauf klauen und zerschroten die drei charakterlich so grundverschiedenen Männer ein Polizeiauto (ha!), werden zur Strafe als Anschauungsobjekte einer Polizeipräsentation vor den Augen kichernder Schulkinder mit Tasern misshandelt (har har!), von einem nackten, aber extrem brutalen Chinesen verprügelt (har har har!), erfahren von wildem Sex mit einer gutherzigen Stripperin, machen Deals mit Mike Tyson, räumen im RAIN MAN-Stil beim Blackjack ab und wenden zum Schluss alles wieder ins Gute (hach..!). Klar passiert zwischendurch noch einiges mehr – aber mal ehrlich: wen interessiert’s?
Viel zu oft heult irgendjemand im Film „Yeah, I know it’s wrong what we did, but we were completely wasted!” – und alles ward ihnen verziehen. Wenn nicht unbedingt von jeglichen Figuren im Film (die fiesen Cops und der chinesische Gangster haben natürlich kein Verständnis), dann doch zumindest von den gutherzigen Personen (Stripperin, Schwiegervater, Braut) und definitiv vom mitgrölenden Publikum, das sich in jäher Komplizenschaft wähnen darf – wer hat eine ähnliche Ausrede nicht schon selbst irgendwann einmal gebraucht und versucht damit durchzukommen? Das Problem ist nur: THE HANGOVER glaubt tatsächlich an die ethische Gültigkeit dieser Ausrede und steht damit für den temporären ultra-Hedonismus ein, den die amerikanische Gesellschaft ihren Bürgern in abgesteckten Maßen erlaubt, solang sie sich ansonsten in ihren angestammt geregelten Bahnen bewegen und funktionieren. Zu College-Zeiten darf man also über die Stränge schlagen. Ebenso zur Bachelor-Party – denn „what happens in Vegas, stays in Vegas“, wie der Vater der Braut seinem Schwiegersohn in spé augenzwinkernd verklickert. Hauptsache am Schluss wird geheiratet und sich gegenseitig die ewige Liebe geschworen.
Es gibt gute, intelligente Komödien, die sich mit diesem Kulturphänomen auf ambivalente und selbstreflexive Weise auseinandersetzen – STEPBROTHERS, OFFICE SPACE, und KNOCKED UP, allesamt ganz unterschiedliche Ansätze von den oben erwähnten Regisseuren, fallen mir da sofort ein. HANGOVER indes ist in keiner Weise an einer kritischen Auseinandersetzung interessiert, sondern spielt vielmehr den Advokaten dieser typisch (aber natürlich nicht exklusiv) amerikanischen Bigotterie. Der Film ist nur vordergründig transgressiv, exzessiv. Er rüttelt nicht im Geringsten am Status Quo sondern stützt ihn mit aller Macht. Das drückt sich vor allem auch in der Erzählperspektive aus, die allzu offensichtlich auf den männlichen, weißen Mittelstandsamerikaner zentriert ist, und damit diesen unbedeutenden Film zu allem Überfluss auch noch stellenweise regelrecht ärgerlich macht. Frauen beispielsweise, kommen nur am Rande vor, was an sich noch kein Kritikpunkt sein darf, jedoch sind sie noch schablonenhafter gezeichnet als die Hauptfiguren und erfüllen gerade mal handlungstreibende Funktionen (die wartende, makellose Braut, die zeternde, bitchige Verlobte), verkörpern abgedroschenste Machofantasien (die treudoofe Stripperin mit Herz – eine denkbar undankbare Rolle für Heather Graham), oder treten als Las Vegas-Film typisches Eye-candy auf, das hier und da die Roulette-Tische säumen darf. Schlimmer noch trifft es die ethnischen Minderheiten der USA, deren negativ-stereotype Repräsentation nicht erst in Zeiten eines schwarzen Präsidenten arg veraltet wirkt: Die einzigen Afro-Amerikaner, die im Film auftreten, sind Mike Tyson samt thuggish Entourage sowie eine sadistische, keifende Polizistin und ein dümmlicher Drogendealer, der plötzlich auftaucht, sich wie selbstverständlich ganz nach unten in die Hierarchie des Bräutigamsuchtrupps einordnet, und schließlich noch plötzlicher als er eingeführt wurde wieder aus der Handlung verschwindet. Und der besagte chinesische Gangsterboss, tuntig und höchst sadistisch, ist nicht mehr als eine dumme Karikatur, die Erinnerungen an die rassistischen Klischeeinszenierungen des gewissenlosen Chinamanns bei D.W. Griffith wachruft. In Hollywood ändert sich manches einfach nie.
Das alles kann man finden wie man will, und etwa 30 Millionen Amis scheinen ihren Spaß gehabt zu haben, für mich allerdings ist HANGOVER einer jener Filme bei denen man meint, der amerikanischen Kultur bei ihrem Niedergang zuschauen zu können. Dass der Film nicht einmal witzig ist oder wenigstens dazu imstande Mitleid oder sonst irgendein Gefühl zu erzeugen, macht ihn im Nachhinein zu einem der traurigeren Kinoerlebnisse des Jahres.
[...] vollständigen Artikel anzeigen