Montag, 24. August 2009

Once Upon A Time in Nippon, oder: Die komplizierte Familiengeschichte von Takashi Miikes kulturellem Hybriden SUKIYAKI WESTERN DJANGO (2007)

(T.Hwa)



„No doubt about who’s gonna be left standing. Best don’t get any ideas about playing Yojimbo.“

SUKIYAKI WESTERN DJANGO ist das bastard-lovechild von Regisseur Takashi Miike und dessen größtem fanboy, dem Regisseur und ewigen Teenager Quentin Tarantino. Der Film ist eine Hommage an den Italo-western die (mit Ausnahme einer cameo-Rolle Tarantinos) ausschließlich mit japanischen Schauspielern besetzt ist, welche jedoch ein breites amerikanisches Southwestern-Englisch mit einer starken japanischen Färbung verbinden. Dieses unterhaltsame linguistische Abenteuer schwimmt zusammen mit zahlreichen anderen schmackhaften Stücken wie Filmreferenzen und absurden Einfällen in der postmodernen Brühe; das im Titel genannte japanische Gericht wird zum Strukturprinzip des Films.
Bevor die Überlegungen zu kulinarischen Parallelen aus dem Rahmen laufen (kann man die symbolisch überhöhte Farbgestaltung als das rohe Ei sehen, in das die Zutaten vor dem Verzehr getunkt werden?):
Auch wenn sich die vorangestellte selbstreflexive Dialogzeile von dem Ursprungsfilm distanziert, und sich auf die leichte Variation des Stoffes in DJANGO (Sergio Corbucci, 1966) beruft, demonstriert der Film doch einen interessanten Austauschprozess zwischen Kulturen und Genres. Während Kurosawas YOJIMBO (1961) als vom klassischen amerikanischen Western inspiriert gesehen werden kann, und möglicherweise Motive aus Dashiell Hammetts Kriminalroman Red Harvest (1929) übernimmt, wird er wiederum zum Vorbild für Leones PER UN PUGNO DI DOLLARI (1964), der stilbildend für den Italowestern ist. Dieses aufstrebende Genre inspiriert eine Reihe von Samuraifilmen der 70er (HANZO-Reihe, LONE WOLF AND CUB), welche die Figur des moralisch ambivalenten, herrenlosen Samurais aus Kurosawas Film um exploitative graphische Darstellungen von Sex und Gewalt erweitern.
Ob sich Miike und Tarantino sich dessen bewusst sind oder nicht, selten kommt das postmoderne Sukiyaki-Prinzip einer Beschreibung der Entwicklungen innerhalb der Genregeschichte so nahe wie in diesem Fall.
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Dienstag, 11. August 2009

Notizen zu THE HANGOVER

(D. Schanz)

„Hangover gesehen – etwa zehnmal gelacht“, schrieb ich einem Freund kurz nach der Vorführung. Ob das eine gute oder schlechte Quote sei, fragte er mich am nächsten Tag. Eigentlich eine berechtigte Frage, die wiederum die Überlegung aufwirft, was denn eine Mainstream-Komödie heutzutage genau zu leisten habe.

Die Antwort lautet zunächst einmal ganz allgemein: Sie muss einiges leisten – wenn sie sich angesichts der relativen Vielzahl an aktuellen Qualitätsproduktionen behaupten will. Denn das Genre erlebt in Amerika bereits seit einigen Jahren eine regelrechte Renaissance: Von den eher klamaukigen Filmen Adam McKays, über Mike Judges sozialsatirische Spielfilme, bis hin zu allem wo Judd Apatow irgendwie seine Finger im Spiel hat, wird momentan ein ehrlicher und bei aller komischen Überzeichnung auch ein sehr akkurater Blick auf die Eigenarten der amerikanischen Gegenwartskultur geworfen. Regisseur Todd Phillips dagegen, der mit dem AMERICAN PIE-Ableger ROAD TRIP einen ersten Erfolg feierte, mit OLD SCHOOL seinen Beitrag zur bereits schon wieder versiegten Komödienregentschaft Will Ferrells beitrug und sich nun mit THE HANGOVER ins Apatow-Terrain wagt, hat nie mehr als abgeschmackte Standardkost geboten und lediglich aktuelle Trends aufgewärmt ohne deren Essenzen wirklich verstanden zu haben. Mr. Phillips hat weder ein Händchen für interessante Figuren, noch für originelle Jokes oder treffliche Alltagsbeobachtungen. Bei HANGOVER wird einem das erneut schmerzlich bewusst, wenn man, nach der einigermaßen grandiosen Eröffnungsmontage beeindruckender Landschaftsaufnahmen von Las Vegas zur kongenialen Musik der Band Danzig (überhaupt ist die Auswahl der Popsongs eine seltene Stärke des Films), vom weiteren Geschehen so gelangweilt wird, dass man genug Zeit erhält sich zu fragen, warum dieser Film für einen selbst nicht funktioniert, in den USA allerdings bereits mehr als 300 Millionen Dollar eingespielt hat.

So ganz überraschend ist dieser Erfolg natürlich nicht: THE HANGOVER ist purer Eskapismus für ein Volk, das sich immer wieder selbst einreden muss wie frei es doch ist. Eine Ausbruchsfantasie, die von den holzschnittartigen Hauptfiguren – alle Anfang, Mitte dreißig, männlich, weiße Mittelklasse; einem steht „Schwiegersohn“, dem anderen „Playboy“, dem dritten „Langweiler“, und dem vierten „Weirdo“ auf der Stirn geschrieben – stellvertretend für den Großteil des Publikums, das ähnliche demographische Werte aufweisen dürfte, ausgelebt wird. Eine Bachelor-Party in Vegas, die völlig ausartet und am nächsten Morgen bereits wieder vollständig vergessen ist. Literweise Alk und die falschen Pillen machen’s möglich. Dumm nur, dass der designierte Bräutigam verschwunden ist und das noch längst nicht das einzige Problem seiner ratlosen Freunde ist. Im Verlauf klauen und zerschroten die drei charakterlich so grundverschiedenen Männer ein Polizeiauto (ha!), werden zur Strafe als Anschauungsobjekte einer Polizeipräsentation vor den Augen kichernder Schulkinder mit Tasern misshandelt (har har!), von einem nackten, aber extrem brutalen Chinesen verprügelt (har har har!), erfahren von wildem Sex mit einer gutherzigen Stripperin, machen Deals mit Mike Tyson, räumen im RAIN MAN-Stil beim Blackjack ab und wenden zum Schluss alles wieder ins Gute (hach..!). Klar passiert zwischendurch noch einiges mehr – aber mal ehrlich: wen interessiert’s?

Viel zu oft heult irgendjemand im Film „Yeah, I know it’s wrong what we did, but we were completely wasted!” – und alles ward ihnen verziehen. Wenn nicht unbedingt von jeglichen Figuren im Film (die fiesen Cops und der chinesische Gangster haben natürlich kein Verständnis), dann doch zumindest von den gutherzigen Personen (Stripperin, Schwiegervater, Braut) und definitiv vom mitgrölenden Publikum, das sich in jäher Komplizenschaft wähnen darf – wer hat eine ähnliche Ausrede nicht schon selbst irgendwann einmal gebraucht und versucht damit durchzukommen? Das Problem ist nur: THE HANGOVER glaubt tatsächlich an die ethische Gültigkeit dieser Ausrede und steht damit für den temporären ultra-Hedonismus ein, den die amerikanische Gesellschaft ihren Bürgern in abgesteckten Maßen erlaubt, solang sie sich ansonsten in ihren angestammt geregelten Bahnen bewegen und funktionieren. Zu College-Zeiten darf man also über die Stränge schlagen. Ebenso zur Bachelor-Party – denn „what happens in Vegas, stays in Vegas“, wie der Vater der Braut seinem Schwiegersohn in spé augenzwinkernd verklickert. Hauptsache am Schluss wird geheiratet und sich gegenseitig die ewige Liebe geschworen.

Es gibt gute, intelligente Komödien, die sich mit diesem Kulturphänomen auf ambivalente und selbstreflexive Weise auseinandersetzen – STEPBROTHERS, OFFICE SPACE, und KNOCKED UP, allesamt ganz unterschiedliche Ansätze von den oben erwähnten Regisseuren, fallen mir da sofort ein. HANGOVER indes ist in keiner Weise an einer kritischen Auseinandersetzung interessiert, sondern spielt vielmehr den Advokaten dieser typisch (aber natürlich nicht exklusiv) amerikanischen Bigotterie. Der Film ist nur vordergründig transgressiv, exzessiv. Er rüttelt nicht im Geringsten am Status Quo sondern stützt ihn mit aller Macht. Das drückt sich vor allem auch in der Erzählperspektive aus, die allzu offensichtlich auf den männlichen, weißen Mittelstandsamerikaner zentriert ist, und damit diesen unbedeutenden Film zu allem Überfluss auch noch stellenweise regelrecht ärgerlich macht. Frauen beispielsweise, kommen nur am Rande vor, was an sich noch kein Kritikpunkt sein darf, jedoch sind sie noch schablonenhafter gezeichnet als die Hauptfiguren und erfüllen gerade mal handlungstreibende Funktionen (die wartende, makellose Braut, die zeternde, bitchige Verlobte), verkörpern abgedroschenste Machofantasien (die treudoofe Stripperin mit Herz – eine denkbar undankbare Rolle für Heather Graham), oder treten als Las Vegas-Film typisches Eye-candy auf, das hier und da die Roulette-Tische säumen darf. Schlimmer noch trifft es die ethnischen Minderheiten der USA, deren negativ-stereotype Repräsentation nicht erst in Zeiten eines schwarzen Präsidenten arg veraltet wirkt: Die einzigen Afro-Amerikaner, die im Film auftreten, sind Mike Tyson samt thuggish Entourage sowie eine sadistische, keifende Polizistin und ein dümmlicher Drogendealer, der plötzlich auftaucht, sich wie selbstverständlich ganz nach unten in die Hierarchie des Bräutigamsuchtrupps einordnet, und schließlich noch plötzlicher als er eingeführt wurde wieder aus der Handlung verschwindet. Und der besagte chinesische Gangsterboss, tuntig und höchst sadistisch, ist nicht mehr als eine dumme Karikatur, die Erinnerungen an die rassistischen Klischeeinszenierungen des gewissenlosen Chinamanns bei D.W. Griffith wachruft. In Hollywood ändert sich manches einfach nie.

Das alles kann man finden wie man will, und etwa 30 Millionen Amis scheinen ihren Spaß gehabt zu haben, für mich allerdings ist HANGOVER einer jener Filme bei denen man meint, der amerikanischen Kultur bei ihrem Niedergang zuschauen zu können. Dass der Film nicht einmal witzig ist oder wenigstens dazu imstande Mitleid oder sonst irgendein Gefühl zu erzeugen, macht ihn im Nachhinein zu einem der traurigeren Kinoerlebnisse des Jahres.
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Notizen zu INGLOURIOUS BASTERDS – polemische Kritikpunkte zu einem noch nicht gesehenen Film

(T.Hwa)

Deduktive, durch Beobachtung abgesicherte Interpretationen werden überschätzt. Die Form der Vorabkritik bietet einige Vorteile. Der Kritiker muss sich nicht rechtfertigen, da er immer auf seine Unkenntnis des Films verweisen kann. Aus dem gleichen Grund besteht keinerlei Gefahr, wichtige Wendungen der story vorwegzunehmen. Sollte er mit seinen Einschätzungen recht behalten, kann er sich mit dem Nimbus des profunden Filmkenners, oder des abgeklärten Kulturpessimisten schmücken. Er kann sich den Aufwand eines unschönen Besuchs im Multiplex seiner Wahl ersparen und liegt trotzdem noch vor der Höhe der Zeit.

Hier also einige kurze, vorausschauende Kritikpunkte zu Quentin Tarantinos orthografisch bedenklichem INGLOURIOUS BASTERDS (2009).


Was wird von Quentin Tarantino heute noch erwartet?
- Hobby-DJs und Kreative beim Privatfernsehen warten schon sehnsüchtig auf den „CoolenTarantinoRetroSoundtrack,“ mit dem bis weit nach dem nächsten Film Themenpartys im Jugendzentrum und Sendungen im Nachmittagsprogramm unterlegt werden können.
- Die hardcore Tarantino-Jünger und Spex-Redakteure freuen sich darauf, wieder „subversiv,“ „postmodern,“ „ambivalent,“ „cool,“ „selbstreferentiell“ und „ironisch“ in einem Satz verwenden zu können. Gleichzeitig. In allen Sätzen.
- Und die Leuten denen es um die Filme selbst geht?

Für diese bleibt eine Mischung aus nostalgischer Verklärung und kassandra-artigem Unbehagen. Das britische Filmmagazin Sight & Sound widmet dem einstigen Wunderkind das Titelbild der Juli-Ausgabe sowie ein sechsseitiges Interview (darunter ein weiteres ganzseitiges, dramatisch ausgeleuchtetes Portrait) in seiner September-Ausgabe, lässt ihn jedoch sehr bewusst in der Titelgeschichte „The Mad, the Bad, and the Dangerous: 50 visionary Film-makers“ außen vor und ist auch in der Kritik des Films nicht unbedingt enthusiastisch. Dieses Verhalten erscheint exemplarisch: alle werden „den neuen Tarantino“ sehen (ich nehme mich da nicht aus). Niemand will derjenige sein, der den nächsten PULP FICTION (1994) [!] oder RESERVOIR DOGS (1992) [!!] verpasst. (Manche rufen noch laut JACKIE BROWN (1997)). Andererseits dürften selbst die größten Optimisten nach den repetitiven, selbstverliebten Exzessen von KILL BILL (2003/2004) und GRINDHOUSE/ DEATHPROOF (2007) kaum noch eine wirkliche Innovation, geschweige denn eine Entwicklung hin zu reiferen Themen oder einem reflektierteren Stil erwarten. Immer mehr zeigt sich in den Filmen stattdessen ein missverstandener Autorenbegriff der Nouvelle Vague, welcher die Forderung nach Kontinuität von Themen, Stil und „Weltsicht“ innerhalb eines Gesamtwerkes als Zwang auffasst. Wenn es stimmt dass Tarantino ab einem (zu debattierenden) Moment in seiner Karriere immer den gleichen Film dreht, dann ist es kein besonders guter.

Was ist also von INGLOURIOUS BASTERDS zu erwarten?

- Genre-Anspielungen. Neben dem exploitativen Kriegsfilm der 60er auch wieder auf den Italo-Western, was sich von KILL BILL VOL. 2 (2004) über den Exkurs zu Takashi Miikes SUKIYAKI WESTERN DJANGO (2007) gehalten hat. Die brillante Parallele von der sich der Interviewer des Spiegel (der sich natürlich auf die moralischen Aspekte des settings im Europa des 2. Weltkriegs konzentrierte) wenig beeindrucken ließ: „Die Widerstandskämpfer in meinem Film handeln sogar wie Indianer auf dem Kriegspfad: auflauern, töten, skalpieren.“ (Der Spiegel Nr. 32 (3.8.2009)).
- Eine episodisch-fragmentierte-postmodern-verschachtelte Dramaturgie, die den Hauch von Avantgarde aus PULP FICTION am leben erhalten soll.
- Ein halbherziger Versuch des ewigen Teenagers Tarantino, dem Film durch den ernsten historischen Hintergrund mehr Tiefe zu geben und/oder durch die Art der Behandlung des Stoffes zu schockieren: „Die Wirklichkeit des Krieges war eben kompliziert“ (Spiegel). Dafür spricht auch die Auszeichnung für Christoph Waltz in Cannes für seine Rolle des (ich wage zu behaupten: vordergründig) unstereotypen „Dschörmen.“
- Mehr selbstverliebte Selbststilisierung des Regisseurs, der nun aggressiv seine Dialoge, für die er in etwa 15 Jahren zurückliegenden Filmen bekannt geworden ist, als „my poetry“ bezeichnet (Sight & Sound). Neu ist auch, dass aus der Freude und bewundernden Haltung eines Filmfans nun ein Gefühl der Überlegenheit geworden ist, dass wenig vor großen Namen zurückschreckt und mit dem Tarantino nun kokettiert: „[I] think it’s safe to say that if John Ford’s mother had never met John Ford’s father, I’d still have figured out that shooting through a doorway like that would make for a cool shot.“ (Sight&Sound) Nachdem auch für Gore-Sidekick Eli Roth (HOSTEL, 2005) eine Rolle in dem Film abfällt: Wartet etwa nach dem Abspann ein Auftritt Tarantinos als Mussolini?

Der Film startet in Deutschland am 20.8. Sollten sich alle meine Voraussagen als unzutreffend erweisen, wäre ich der letzte, dem dies etwas ausmachen würde.
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Dienstag, 4. August 2009

Zur Komik in BRÜNO

(T. Hwa)

D. Schanz hat in seiner Kritik zu Sacha Baron Cohens „Delicious Journeys Through America for the Purpose of Making Heterosexual Males Visibly Uncomfortable in the Presence of a Gay Foreigner in a Mesh T-Shirt“ - so ein im Internet kursierender, angeblicher Arbeitstitel des Films, der in der Tradition barocker Titel den Inhalt des Films gut zusammenfasst - bereits vieles genannt. Deshalb will ich mich auf nur einen Aspekt begrenzen - das Verhältnis von Realität und Fiktion in der Komik Cohens.

Nachdem publik wurde, dass der Rapper Eminem in Cohens Aktion bei den MTV Awards eingeweiht war, konzentrierten sich einige Kritiken auf die Frage, wie viel in BRÜNO inszeniert sei, und ob dies nicht der Glaubwürdigkeit der satirischen Kritik des Films schade. Sicher würde es dies, wenn nicht die Komik Cohens und des Regisseurs Larry Charles eben auf der Aufhebung der Grenzen zwischen Komiker und Rolle, Fiktion und Dokumentation basieren würde. Die Abenteuer der Kunstfigur des schwulen Modejournalisten Bruno als karikaturisierte Verkörperung der schlimmsten Befürchtungen einer dekadenten post-ALLES Gesellschaft besitzen keine Glaubwürdigkeit, die zu verlieren wäre.
Mit dem Dokumentarfilm verbindet der Ansatz Cohens, dass die Anwesenheit des Filmteams (meist) mit thematisiert wird. Im Unterschied zu einer „Ästhetik der versteckten Kamera“ treten die Filmemacher als Filmemacher auf und nutzen die scheinbare Transparenz der medialen Situation. Die Komik besteht weniger in dem voyeuristischen Vergnügen, an „realem,“ also nicht-inszeniertem, Geschehen teilnehmen zu können, sondern in dem selbstreflexiven Ausnutzen der Konventionen von Reality-Formaten, in der (Selbst-) Inszenierung auf der Bühne des Medialen und Öffentlichen. Durch den Fake-Dokumentaristen wird die Absurdität der spezifischen medialen Situation, des zeichenhaften Handelns und Selbstinszenierens vor der Kamera enthüllt.
Eine Parallele, die überraschenderweise (meines Wissens nach) bis jetzt übersehen wurde, besteht zwischen Cohen und den Strategien dokumentarischer Provokation Michael Moores. Dessen Selbststilisierung als ewig in Trucker-Mütze und Arbeitsjacke gekleideter working class hero aus Michigan ist ebenso eine Kunstfigur wie Ali G, Borat oder Bruno. Wie bei Cohen dient die Persona dazu, durch die betonte Hemdsärmeligkeit der Sprache („Shame on you, Mr. Bush!“) und vorgegebene Naivität das Misstrauen der Interviewten abzulenken. Gerade in den Gesprächen mit vermeintlich intellektuell überlegenen, höhergestellten Autoritätsfiguren wie Politikern wird diese Strategie deutlich. Zugleich spielt Moores alter ego auf die in Amerika geradezu fetischisierte Vorstellung des „Average Joe“ an, dessen „common sense“ auf eine lange diskursive Vergangenheit in der amerikanischen Geschichte verweist. Demgegenüber verkörpert Cohen in seinen Figuren das Fremde, völlig Andere, und evoziert damit andere, jedoch nicht weniger selbstentlarvende Reaktionen.
Während Moore zuweilen seine on-screen Rolle, gemessen an einer an die Gattung des Dokumentarischen gebundene journalistische Ethik, als unlautere Methode vorgehalten wird,
arbeitet Cohen an der Auflösung dieser Trennung wenn er etwa explizit bei Presseterminen „in-character“ erscheint und so die (medial reflexive) Situation des Films über diesen hinaus verlängert. Die Frage nach der Authentizität von Szenen in BRÜNO versucht die komfortable Trennung zwischen Werk und Wirklichkeit wiederherzustellen, gegen die sich die aktionistischen Tendenzen in Cohens Performances richten. Dies dürfte weniger aus der Angst heraus geschehen, das nächste Ziel des Komikers zu werden, als vielmehr dazu dienen, sich von dem Gezeigten distanzieren zu können. Geradezu bedrohlich erscheint die Komik des Films nur in ihrer Distanzlosigkeit gegenüber ihren Opfern, die sich aus dem Fehlen einer eines klaren Standpunktes (etwa durch die auktoriale Präsenz der Person Sacha Baron Cohen) ergibt.
Häufig meint man Erleichterung oder gar Genugtuung aus der Kritik heraushören zu können, Cohens Versuche die amerikanische Gesellschaft mit ihrer latenten Homophobie zu konfrontieren wären post-Obama bereits überholt. Die ironische Wendung: Wenn der renommierte Harvard Professor Henry Louis Gates festgenommen wird, weil Nachbarn die Polizei rufen als er sein Haus durch die Hintertür betreten will, dann übertrifft die Wirklichkeit noch die provokativen Aktionen Cohens. Interessanterweise ließe sich auch hier die These aufstellen, dass die nachfolgende Berichterstattung vor allem bemüht ist, die symbolische Wirkung des (medialen) Ereignis zu revidieren (beteiligter Polizist gibt Toleranzkurse, unangemessen aufbrausendes Verhalten Gates?) und auch hier gewissermaßen eine erneute Distanz zu dem Geschehen aufzubauen. Dabei wird übersehen dass, wie in den Filmen Cohens, für die symbolische Verbindung zu der sozialen Problematik des „Neuen Rassismus“ letztlich die genauen Sachverhalte nicht entscheidend sind.
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