Dienstag, 20. Oktober 2009

Aus den DVD-Räumen Seouls (II)

(T.Hwa)

Nach Wrestlern, Gangstern und Köchen nun Teil zwei der kurzen Zusammenfassung zum koreanischen Genre-Kino

Lee Sang-Ki’s OPEN CITY (2008) hat nicht etwa mit Roberto Rossellinis Rom zu tun, sondern ist wie A BITTERSWEET LIFE ein Beispiel für die koreanische Spielart des harten Cop- und Gangsterfilms. Mischt der Film zunächst die eleganten Tricks von Taschendieben, die auch in Bressons PICKPOCKET oder Johnnie Tos SPARROW in Szene gesetzt werden, mit dem für das Genre unverzichtbaren Einsatz von Messern, Tritten und Baseballschlägern, so verlagert sich überraschenderweise der Schwerpunkt im Laufe des Films immer mehr hin zu einer melodramatischen Dreieckskonstellation. Ein Cop steht zwischen seiner Mutter, einer durch das Gefängnis geläuterten Taschendiebin und der verführerischen „bösen“ (potentiellen) Schwiegertochter, welche die Mutter zu einem fatalen letzten Coup anstiftet und zugleich selbst unter dem frühen Verlust der eigenen Mutter leidet. Mit der Überhöhung der Mutterrolle geht eine exploitative sexuelle Faszination für das „gefallene Mädchen“ einher, die den männlichen Protagonisten verführt und (man möchte sagen „dafür“) von einem rivalisierenden Gangster beinahe vergewaltigt wird. Die Konzentration auf das Mutter-Sohn Verhältnis scheint im Gegensatz zu dem auch im westlicheren Kino verbreiteteren Vater-Sohn Topos für einen höheren Grad an Emotionalisierung prädestiniert. Dass der Film am Ende hoch emotional und dramatisch die Mutter durch einen Akt der Selbstopferung rehabilitiert und die Verführerin bestraft entspricht der konservativen, patriarchalen Moralvorstellung, die sich in diesem Film unter der glatten, glänzenden Oberfläche der Faszination für das Verbrechen verbirgt.

THE SCAM (2009, R: Lee Ho-jae) aktualisiert die story von WALL STREET für die aktuelle Wirtschaftskrise. Ein junger Kleinanleger, der vom schnellen Reichtum träumt, profitiert beim zocken über Instantnudeln von einem Teilaspekt einer groß angelegten Aktienmanipulation und wird daraufhin von der Bande rekrutiert. Als er immer tiefer in die Manipulationen der Bande verstrickt wird und die Wohnung seiner Mutter verspielt steht er vor einem ähnlichen moralischen Dilemma wie Charlie Sheen in Oliver Stones Parabel auf den Turbokapitalismus der 80er. Konnotierte dieser Film die Skrupellosigkeit der Banker durch die aus dem Vietnamkrieg entlehnte Rhetorik der Figur Michael Douglas’ („Search and Destroy,“ etc.), so bedient sich der koreanische Film bei Elementen der schon erwähnten Gangsterfilme. So mutet der Gegenspieler des Helden wie eine karikaturistisch zugespitzte Version eines Filmgangsters an. Zunehmend frustriert von den Komplikationen seines neuen, profitableren Erwerbszweigs besinnt sich der Patriarch einer Gangsterbande immer mehr auf seine alten Methoden. Thematisiert der Film die Moralität und den freien Willen korrumpierende Wirkung von Geld vor allem etwa in einer Szene, in der eine junge Hostess durch die Aussicht auf ein hohes Trinkgeld dazu gebracht wird, einen Eiskübel voller Spirituosen auszutrinken, so affirmiert der Film am Ende doch eine grundsätzlich materialistische Prämisse indem er seinen Protagonisten mit einem Job in der Finanzbranche und neuem Auto ausgestattet in die Welt entlässt. Alle moralischen Bedenken scheinen letztlich nicht die Faszination gegenüber den Möglichkeiten der sich seit den 80ern herausbildenden Wohlstandsgesellschaft aufwiegen zu können.

Ebenfalls in dem white-collar Milieu einer hoch entwickelten ökonomischen Ordnung spielt die romantische Komödie SEDUCING MR. PERFECT (2006, R: Kim Sang-Woo). Wäre der Film (oder das Subgenre) zu Selbstironisierung in der Lage, könnte der Film den Untertitel „Liebe in Zeiten der Büroarbeit“ erhalten. Eine brave Büroangestellte trifft auf ihren neuen Chef, den in jeder Hinsicht unnahbaren Mr. Perfect aus dem englischen Titel. Im Laufe der Handlung muss sie sich selbst treu bleiben während sich herausstellt, dass ihr Chef weniger zynisch und glatt ist als dies seine Frisur, seine Hemden und sein Snobismus zu Anfang vermuten lassen. Die Figur des männlichen love interests wird wenig überzeugend von dem halb-koreanischen, halb-britischen Schauspieler Daniel Henney gegeben. Da dieser zwar nach asiatischem Verständnis sehr gut aussieht, jedoch wohl extrem schlechtes koreanisch spricht, lässt der Film ihn zwar koreanisch verstehen, aber in amerikanischem Englisch antworten, was auf die starke koreanische Obsession mit „Americana“ und vor allem den sozialen Stellenwert amerikanischer Bildungsstätten hinweist. Dementsprechend äußert sich die Wandlung der Figur weniger über die schauspielerische Interaktion zwischen den Partnern oder über die Dialoge, als größten Teils durch gelöste Manschetten und Lockerung der Frisur. Offenbart der Film gegen Ende als eine Hauptmotivation des perfekten Mr. Henney, durch eine Übernahme den Namen der Firma wiederherzustellen, in der sein Vater sein ganzes Leben lang treu in der Maschinenhalle stand, so zeigt sich darin der Wunsch nach einem kuscheligen Kapitalismus, in dem nicht nur Platz für Romanzen, sondern auch für die Emotionalität und hierarchische Ordnung der Familie ist.

Ein älterer Mann betritt mit einer Sporttasche eine belebte Fußgängerzone. In einer Gasse legt er abgetragene Sportkleidung an. Er folgt idiosynkratischen Ritualen eines Sportlers: bandagiert seine Hände, trinkt einen Beutel Milch, präpariert sein Gesicht mit Vaseline, legt einen Kopfschutz an. Er kündigt sich den Passanten als ein ehemaliger Silbermedaillengewinner der Asia-Games an und bietet ihnen an, für einige Won ihren Stress und ihre Aggressionen an einem menschlichen Sandsack auszulassen. Sein Angebot richtet sich an alltägliche Sorgen und Bedürfnisse: unter der Wirtschaftslage leidende Geschäftsleute, enttäuschte und betrogene Liebende, aggressive Halbstarke. Er muss nicht lange auf Interessenten warten.
Dies ist der Beginn von CRYING FIST (2005, R: Ryoo Seung-Wan), einer Mischung aus Sportfilm und Soziodram, die in zwei konvergierenden Erzählsträngen die beiden dominanten Handlungsmuster des Sportfilms miteinander verbindet. Auf der einen Seite steht die Figur des stellenweise an Toshiro Mifune erinnernden Choi Min-Siks, ein alt gewordener Amateurboxer, der alles verloren hat und sich durch ein letztes Comeback die Anerkennung seiner Familie und seiner selbst zurückgewinnen will. Auf der anderen ein junger Mann, der in der Jugendstrafanstalt boxen lernt und für den der Sport eine Möglichkeit der Läuterung darstellt. Wie in vielen anderen Filmen auch dient der Topos Familie hier als Grundthema, das die beiden Handlungsstränge miteinander verbindet. In der Thematisierung von existentiellen Sorgen von Verlierern der modernen koreanischen Gesellschaft zeigt der Film Ansätze zu einem sozialem Realismus, die in einem interessanten Gegensatz zu den überhöhten, idealisierten Konflikten anderer Sportfilme steht. Die Boxsequenzen selbst sind andererseits durch eindrucksvolle Kamerafahrten eingefangen, die, anders als etwa in RAGING BULL, dessen Qualitäten in anderen Bereichen liegen, dem Sport tatsächlich gerecht werden. In seiner dramaturgischen Anlage nutzt der Film geschickt die Tatsache, dass der Sportfilm wohl eines der am meisten von Konventionen geprägten Genres ist, in dem z.B. der Zwang zu einem Spiel mit Erwartungen und dramaturgischen Standards weitestgehend ausgesetzt zu sein scheint. Beide Erzählstränge entsprechen konventionellen Mustern, der Zuschauer ist jedoch gezwungen Empathie und Identifikationspotential zwischen den beiden Protagonisten aufzuteilen. Treffen am Ende die beiden Underdogs im Ring aufeinander, so ist klar dass es ein bedingungsloses Happy End nur für einen der beiden geben kann.

Nach dieser kurzen Vorstellung der Filme nun noch einmal zu zwei der eingangs genannten Tendenzen:
Gewalt spielt als Motiv unter verschiedenen Aspekten eine Rolle. Dient sie gerade in den Cop- und Gangsterfilmen eher konventionell als Ausdruck von Macht, Überlegenheit und Unterwerfung, so stellt sie gleichzeitig auch eine Möglichkeit authentischen, kathartischen emotionalen Ausdrucks dar. Die gewaltigen Emotionen im Inneren der (meist männlichen) Protagonisten lassen sich nur bedingt durch Tränen allein entäußern. Gewalt als eine essentialistische Kommunikation innerer Zustände ist aufs engste verknüpft mit einer masochistischen Tendenz, die sich auf die intensive Rezeption christlichen Glaubens zurückführen lassen könnte. Besonders in CRYING FIST, A BITTERSWEET LIFE, OPEN CITY und THE FOUL KING steht vor allem das heroische Leiden im Mittelpunkt. Die Mutter aus dem Taschendieb-drama unterstreicht ihren Entschluss nie wieder kriminell zu werden damit, dass sie statt der Taschen ihrer Opfer ihren eigenen Mund mit einer Rasierklinge aufschneidet. Ein Schuldner zeigt in CRYING FIST seine Entschlossenheit zu seiner Schuld zu stehen dadurch, dass er die abgeclipsten Fingernägel eines Gangsterbosses schluckt.
Zuletzt identifizieren einige Werke Gewalt und Aggressivität auch als primäre Grundhaltung der modernen koreanischen Gesellschaft. Ob die unkonventionelle Geschäftsidee des alternden Boxers aus CRYING FIST (ein sarkastische Karikatur der modernen Dienstleistungsgesellschaft), der körperlich übergriffige Vorgesetzte aus THE FOUL KING, oder die Gangster-turned-Investmentbanker aus THE SCAM, die Motive betonen die unmittelbare Nähe zwischen einer radikalen Wettbewerbsgesellschaft und einer sozialdarwinistischen Ordnung des Stärkeren. Lässt der Regisseur des im Vorfeld der WM 2002 entstandenen FOUL KING eine Straßenschlägerei vor einem Wandfresko stattfinden, dass einen koreanischen Fußballspieler über einem leblos wirkenden Gegenspieler stehend zeigt und mit dem martialischen Slogan „Korea Fighting!“ überschrieben ist, so spielt er auf einen Zusammenhang zwischen der Obsession mit Gewalt und einem kollektiven Kompensationsbedürfnis angesichts der leidvollen Geschichte der koreanischen Halbinsel an.

Das Pathetisch-Melodramatische von Konflikten ergibt sich häufig aus der Betonung des Elements der Pflicht und weniger aus dem klassischen Konflikt zwischen äußeren Zwängen und innerer Neigung. Gerade in den Beziehungen zwischen den Generationen werden Konflikte häufig aus der Verletzung wechselseitiger sozialer Obligationen entwickelt. In OPEN CITY ist dies die Vernachlässigung der Mutterrolle, in FOUL KING und CRYING FIST das Versagen als Sohn beziehungsweise als Vater, das (über physisches Erleiden) kompensiert werden muss. In A BITTERSWEET LIFE ist es die exzessive Bestrafung des jüngeren Protégés durch den Älteren, welche das hierarchische Gefüge destabilisiert und die Anarchie des Rachefeldzuges in Gang bringt; und nicht nur die jungen Köche aus LE GRAND CHEF erben sowohl Konflikte als auch Verpflichtungen von ihren Großvätern. Besonders übersteigert erscheint die pathoslastige Darstellung von familiären Beziehungen in der an sich leichten Koch-komödie. Erscheint dort anfangs die Idee, das Verfahren für die Herstellung der perfekten Grillkohle bei einem verurteilten Mörder im Gefängnis suchen zu müssen, als ein origineller, absurd-komischer Einfall, so widmet der Film dem Nebenplot eine lange Rückblende, die in einem völlig anderen Ton von dem Schicksal des von der Mutter aus finanziellen Gründen verlassenen Sohnes handelt, für den von der Mutter zubereitete Süßkartoffeln zur höchsten Genuss werden und der schließlich im Affekt einen Mord begeht.
Ist die Destabilisierung familiärer Strukturen ein Auslöser dramatischer Konflikte, so enden die meisten Konflikte auch in einer Re-Etablierung der (symbolischen) Familiengemeinschaft, etwa in Form einer Aussöhnung zwischen den Generationen, oder wie in PRIVATE EYE in einer neuen Behelfs-familie. Auch hier kann noch einmal die Sonderstellung von FOUL KING betont werden, der durch seine offenen Enden Konflikte nicht explizit auflöst und der seinem Protagonisten echten Fortschritt und Erfolg verweigert.
Dennoch, betrachtet man die Kontraste in den internationalen Verleihtiteln A BITTERSWEET LIFE und CRYING FIST als Beschreibung der Heterogenität von grausam-gewalttätigen und pathetisch-emotionalen Elementen, so neigen viele koreanische Filme dazu, am Ende das Saccharine über das Bittere zu stellen, oder zumindest das Süße im Schmerzhaften zu betonen.

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