(T.Hwa)
Eine meines Wissens nach spezifisch koreanische Form der Rezeption von Filmen stellen die so genannten DVD-Räume dar, Videotheken mit angeschlossenen privaten Heimkino-Räumen, die mit einem Sofa, Beamer oder Flachbildschirm und Surroundanlage ausgestattet sind. In einem Land in dem es üblich ist, dass junge Leute bis zu ihrem ersten Job im Elternhaus wohnen, soll dieses semi-private Leihwohnzimmer vor allem bei jungen Paaren beliebt sein. Jedenfalls findet man in manchen Räumen auch eine Box Taschentücher. Für den Fall dass der Film zu traurig ist, oder so.
Aus diesem soziokulturell geprägten Umfeld heraus folgt der erste Teil einer kurzen zusammenfassenden Beschreibung und Kritik der gesehenen Filme, die sich mit Tendenzen und Motiven im sozialen und kulturellen Kontext auseinandersetzen will.
Ein großer Teil des aktuelleren koreanischen Kinos ist von drei zunächst gegenläufig erscheinenden Tendenzen bestimmt. Zum einen einer teilweise bis ins Sadistische gehenden Faszination für exzessive, zum Teil willkürliche, körperliche wie psychische Gewalt, zum anderen einem Hang zu exzessiver Emotionalität, Pathos und Melodrama. Zuletzt lässt sich noch eine Neigung zu einem dunklen, zum Teil bis ins Groteske makabren Humor beobachten, der häufig in einem morbiden Verhältnis zu der gezeigten Gewalt steht.
In keinem anderen Film ist die teilweise unbequeme Verbindung von Gewalt und absurdem Humor deutlicher und reflektierter als in Kim Ji-Woons intelligenter, tragischer Slapstickkomödie THE FOUL KING (2000). Der aus Park Chan-Wooks SYMPATHY FOR MR. VENGENCE oder auch aus Kims THE GOOD, THE BAD, THE WEIRD bekannte Song Kang-Ho verkörpert darin einen kleinen Büroangestellten im Sinne Kafkas, der sich morgens an anderen rücksichtslosen Fahrgästen vorbei in eine überfüllte U-Bahn kämpfen muss um dann am Arbeitsplatz wegen seiner mangelnden Vertragsabschlüsse beschimpft zu werden. Auf dem Heimweg wird er von Jugendlichen Schlägern verprügelt, zuhause den Erwartungen seines Vaters mehr als nicht gerecht. Selbst in seinen Träumen wird er verprügelt. Als Möglichkeit des Widerstands gegen seinen sozialdarwinistisch gesinnten Chef, der regelmäßig seine Überlegenheit durch einen (unmetaphorischen) headlock beweist erscheint dem Underdog eine Karriere als professioneller Wrestler. Aus dem milden, nerdigen, sozial unsicheren Angestellten wird also der koboldhaft kichernde Foul King, ein Bösewicht des Wrestling, der seine Gegner auch mal mit einer Gabel traktiert. Die satirische Absicht der Komödie, die (im besten Sinne) niedrigsten slapstick (vertauschte Trickgabel), Situationskomik und absurde Momente kombiniert, richtet sich gegen die latente Aggressivität der koreanischen Gesellschaft, der die sich zwischen Inszenierung und Realität bewegende Fetischisierung von Gewalt im Wrestling entgegengestellt wird. Dabei stellt das Wrestling erfreulicherweise – und entgegen den Konventionen des Sportfilms – nicht die Lösung der professionellen, romantischen oder familiären Probleme des Protagonsiten dar. Es bietet dem ewigen Prügelknaben lediglich eine Möglichkeit seine latente Agressivität zeitweise in konkrete Umwandeln zu können. Verliert am Ende die Kamera den Protagonisten in einem dicht bevölkerten Stadtpanorama aus den Augen, so wird betont dass die Hinwendung zum Pro-Wrestling nicht so bizarr sein könnte, wie die Idee auf den ersten Blick wirkt.
Zunächst simpler, jedoch untergründig fast ebenso ambivalent behandelt ein anderer Film Kims das Thema Gewalt. Der Protagonist aus A BITTERSWEET LIFE (2005) ist der Protégé eines Gangsterbosses, dem er uneingeschränkte, quasi-familiäre Loyalität entgegenbringt. Dies verhindert jedoch nicht dass er zu einem der prototypischen leidenden männlichen Helden des koreanischen Kinos wird. Sich der Unterstützung seines Patriarchen sicher, zieht er sich den Unmut konkurrierender „Familien“ zu. Als er den Auftrag bekommt, die junge Freundin des Bosses zu beobachten, deren Seitensprung aber aus denkbar minimalistisch angedeuteten Zuneigung heraus aber nicht sofort verrät, wird er fallengelassen und zunächst von der fremden, dann der eigenen Bande gefoltert sowie (zweimal) lebendig begraben. Wie die „doppelte“ Hinrichtung andeutet verwendet der Film viel sadistische Energie auf die Etablierung der Ungerechtigkeit, die den Anlass zu dem jakobinischen Rachefeldzug des jungen Mannes gibt. Stirbt der Held an dessen Ende nach einem physischen Martyrium, so springt ein flash-back wieder in eine Situation zu Anfang des Films zurück. In der eleganten Umgebung eines Luxushotels steht der Protagonist, wieder ganz der smoothe, in einen schwarzen Anzug gekleidete Gangster, vor seiner Reflexion in einer Glasfassade. Nachdem er narzisstisch sein Outfit überprüft hat, beginnt er mit immer größer werdender Freude ein Schattenboxen vor dem Spiegel. Erinnert diese Szene an das Ende von RAGING BULL, so dürfte sie nicht nur deshalb eine Erklärung für die Nominierung des Films für das Festival in Cannes sein. Auch wenn der Regisseur in einem Interview wohl erwähnt hat, dass die Szene lediglich dazu diene, den tragischen Fall der Figur zu betonen, so erhält der Film durch sie auch eine reflexive Qualität. Ebenso wie der Gangsterboss auf die erste Gelegenheit wartet um gegenüber seinem sonst stets tadellosen Untergebenen seinen völligen Machtanspruch zu demonstrieren, so lässt sich die Rückblende als ein Hinweis auf die Sehnsucht des Protagonisten nach einem Vorwand verstehen, gewaltsam aus allen Ordnungen auszubrechen. Der Leidensweg der Figur repräsentiert damit neben dem konventionellen doppelten Akt der Rache und Buße auch einen Ausdruck der sadistisch-masochistischen Freude an Gewalt als Form männlicher Hybris. Indem der Film so die selbstzweckhafte Zwangsläufigkeit der tragischen Entwicklung betont hinterfragt er alle konventionalisierten Konzeptionen von Ehre und Hierarchie, um die es zunächst vordergründig geht.
Das murder mystery PARADISE MURDERED (1986, R: Kim Han-Min) spielt auf einer abgelegenen Insel vor der Küste und arbeitet geschickt mit den Konventionen und Erwartungen, die mit der Prämisse des Gegensatzes von Stadt und Land verbunden sind. Erinnert die absurde Darstellung von Provinzialität (inklusive der stock-characters eines pikaresken Dorfdepps und städtischer Entwicklungshilfe in Gestalt eines Arztes und einer Lehrerin) zunächst an MEMORIES OF MURDER, so nutzt der Film später die sonst unhinterfragten Implikationen des settings aus. Der zentrale, durchaus gelungene plot twist des Films entwickelt sich aus der Frage, was einen jungen, talentierten Doktor aus der Hauptstadt auf eine so isolierte Fischerinsel verschlägt und warum die dort lebenden Hinterwäldler so verdammt exzentrisch sind.
Wohl von Stephen Chows „moleitau“ (in etwa „Nonsense“) Komödie GOD OF COOKERY inspiriert handelt LE GRAND CHEF (2007, R: Jeon Yun-Su) von einem Kochwettbwerb in dem es um mehr als nur Sterne geht. Nachdem die entscheidende Verkostung in einem Duell um den Posten des Meisters einer prestige- wie traditionsreichen Kochschule in einer Vergiftung durch Kugelfisch endet, zieht sich der talentierte Koch Sung-Chan auf das Land zurück, wo er davon lebt Lebensmittel an alte Damen zu verkaufen, die ebenso sehr an ihm wie an seinen organischen Auberginen interessiert sind. Er kehrt aus diesem Exil zurück um an dem Wettbewerb um das Messer, mit dem sich der letzte Hofkoch einst die Hand abtrennte um nicht für die japanischen Besatzer kochen zu müssen, teilzunehmen und seine sowie auch die Ehre seines Großvaters wiederherzustellen. Dabei muss er nicht nur mehrere Gerichte mit jeweils verschiedenen Zutaten kreieren (was an die japanische Kochsendung THE IRON CHEF erinnert), sondern auch sein Trauma sowie den unsympathischen Konkurrenten überwinden, der einst sein Fischgericht sabotierte. Wo Stephen Chow das in ganz Asien besonders wichtige Thema Essen mit anarchischem kantonesischen Humor behandelte – etwa mit Fleischbällchen die so knackig sind, dass man mit ihnen Pingpong spielen kann – ist der Witz hier zum Teil auch ein Ergebnis (gewollt und ungewollt) maßlos pathetischer Übertreibung. Geht es in dem alles entscheidenden Duell am Ende um die Suppe, die einem König Tränen der Rührung entlockte, so soll etwa die Schärfe die Vitalität, das Fleisch des geduldigen Rindes das geduldige Beharren und die demokratische Gesinnung (?!) des koreanischen Volkes verkörpern. In der pathetischen Überhöhung des alltäglichen Themas liegen Komik und Ernst nah beieinander.
PRIVATE EYE beginnt als eine leichte Komödie im Stile eines sunshine-Neo-Noirs. Die titelgebende Figur spioniert in einem Korea Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts untreuen Ehefrauen hinterher um genug Geld für ein Ticket nach Kalifornien zusammen zu bekommen. Die Handlung kommt in Gang als ein junger Medizinstudent, der eine gefundene Leiche zu Studienzwecken benutzt hat, wegen der Prominenz des Opfers in Panik gerät. Die beiden müssen den Fall aufklären bevor der Verdacht der inkompetenten und korrupten Polizei auf den recht naiven jungen Mann fallen kann. Mit Polanskis CHINATOWN teilt der Film neben der sonnigen Lichtstimmung auch eine Wendung hin zu dunklen sexuellen Geheimnissen, die mit dem Look und unbescherten Ton des Anfangs brechen. Sehr viel überraschender als die Entwicklung des recht berechenbaren plots– wieso trägt der Bruder einer der Figuren wohl eine Maske? – erscheint die unvermittelte Härte, mit der die Verbrecher und deren Hintermänner in der japanischen Kolonialverwaltung gerichtet werden.
A BITTERSWEET LIFE ist einer der meistüberschätzten Filme überhaupt (gleich neben TALE OF TWO SISTERS, vom selben Regisseur verbrochen). Zumindest auf die ersten 50 Minuten etwa trifft das zu - über den Rest kann ich nicht viel sagen, da ich irgendwann äußerst gelangweilt auf Stop und Eject gedrückt. So eine ekelhaft, seelenlose, glattpolierte Scheiße. Die Ambivalenz, die Du in diesem Film gesehen haben magst, will ich ja gar nicht anzweifeln, nur muss mich ein Film zuerst einmal überhaupt irgendwie tangieren, damit ich mich überhaupt auf jegliche Ambivalenzen einlassen kann - in welchem sozio-kulturellen Kontext auch immer sie auftauchen mögen. BITTERSWEET LIFE ist einfach nur kalt und stumpf. Selbst wenn das Ende gut und in irgend einer Form interessant sein mag, ist es unmöglich, einen solch unoriginellen, aalglatten B-Movie Actioner auch mit einem noch so guten und reflexiven Ende zu redeemen (Guy Ritchies Con-Movie Experiment REVOLVER hatte unter einem ähnlichen Missverständnis zu leiden). Und in Cannes war er vielleicht vertreten, aber sicherlich nicht im Wettbewerb. Bin leicht schockiert, dass Du dem Film etwas abgewinnen konntest.. aber vielleicht haben Dir Deine jüngsten Aufenthalte in Korea ja ein Kulturwissen verschafft, das Dich den Film einfach besser verstehen lässt als ich es konnte. Und vielleicht reagier ich auch einfach über. Aber es gibt halt so Filme, die mich aufregen und dieser gehört definitiv dazu. So, und jetzt lese ich erst einmal den Rest Deines üppigen Beitrags - klingt vielversprechend.
AntwortenLöschenIch kann mich nicht daran erinnern dass Du mir schon einmal vorgeworfen hättest, ich würde einen Film zu positiv bewerten. Vielleicht klingt der Ton meiner Kritik etwas zu wohlwollend, auch wenn der Film so schlecht auch nicht ist. Er repräsentiert eben die harten, brutalen und glatten Gangsterfilme, die sich ziemlicher Beliebtheit zu erfreuen scheinen.
AntwortenLöschenWie gesagt kann das Ende den Film (möglicherweise ungewollt) aufwerten, aber der qualitative Unterschied zwischen dem Racheplot in A BITTERSWEET LIFE und der Doppelbödigkeit der Vengence-Trilogie ist der Unterschied zwischen Genre- und Autorenkino.
Cool, gefällt mir gut, Dein Round-up! Macht gleich Lust auf einige der Filme, die Du da besprochen hast. Auf zum zweiten Teil...
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