(H. Carstensen)
Stimmt. Unter anderem demonstriert Sam Peckinpahs erstes Feature außerhalb des Western-Genres „die Mechanismen der Gewalt“, wie auf dem DVD-Cover steht. Präziser jedoch seziert der Film die männliche Psyche und allgemeiner: die menschliche Natur.
Die Inszenierung ist sorgfältig und überlegt wie ihr Protagonist, Mathematiker David Sumner (Dustin Hoffmann), den es mit seiner attraktiven Frau Amy in die Englische Provinz verschlägt, um ungestört an seinen Formeln zu arbeiten. Wie sich schnell heraus stellt: ein ungastlicher Ort voller xenophober Hinterwäldler, die wenig übrig haben für Brillenträger, Beatniks, Miniröcke und Nippel unterm Pulli (dieses das Ensemble der Zeichen der Moderne in der Exposition, die das junge Paar zu Dissidenten im durch vormoderne Strukturen beherrschten Dorf machen; ach ja: Behinderte aka Schwache sind hier auch nicht erwünscht).
Früh und zügig etabliert Peckinpah die Spielfiguren und –Steine auf dem Brett, hängt Tschechows Pistolen in Form einer Bärenfalle an der Wand auf, und man weiß: sie wird losgehen. Bleibt genügend Zeit, aus dem harmonischen ein zankendes Paar, aus dem intakten ein gekränktes männliches Ego und –vorläufiger Höhepunkt der langsam, stetig und unaufhaltsam voran schreitenden Eskalation- aus der lebenslustigen Amy das verstörte Opfer einer (zweifachen) Vergewaltigung zu machen. Am folgenden dörflichen „Gesellschaftsabend“ quälen Amy angesichts ihrer Peiniger, die dämlich saufend im selben Saal sitzen, üble Flashbacks der Tat. In genialer Kollisions-Montage bettet Peckinpah die Scham- und Gewalt-Blitze in dadurch schmerzhaft-harmlose Bild-Strecken spielender Kinder, oder grotesk wirkende, extreme Untersichten des Dorf-Pfarrers, der banale Zaubertricks vorführt. Peckinpah kontrastiert Amy´s Schmerz mit der Ahnungslosigkeit ihrer Umgebung, eingeschlossen die ihres Ehemannes David, erhöht so die Wirkung seiner Bilder. Die surrealistischen Ornamente, mit denen der Western-Routinier die Gang der Gewalttäter im Film konnotiert, weisen zarte inszenatorische Parallelen zu den Pop-Art gesättigten Halbstarken Droogs aus A CLOCKWORK ORANGE auf, der ebenfalls aus dem Jahr 1971 stammt. Beide Filme behandeln als zentrale Elemente sexualisierte Gewalt, gewalttätige Angriffe auf das und im unantastbaren Heim, und kommen jeder auf seine Art zu dem Schluss: gewalttätiges Verhalten ist unheilbar, seine Mechanismen scheinen zu tief in die menschliche Natur eingeschrieben. Während der Kubrick-Film (der Vorlage entsprechend) auf die ebenso ins Menschliche eingeschriebene Notwendigkeit des wählen-müssens abhebt, entwirft Peckinpah ein dem Western entlehntes ALAMO-Belagerungs-Szenario. Er zielt darauf ab, dem Bücherwurm David keine Wahl zu lassen: „This is where I live. This is me. I will not allow violence against this house.“ In die Ecke gedrängt hängt er den dünnen Mantel der Zivilisation an den Nagel und setzt schon mal Wasser auf, um den Angreifern später damit die Gesichter zu verbrühen.
„Bloody Sam“ lässt eher wenig Blut fließen. STRAW DOGS geht nicht exploitativ mit seinem Thema um. Aber Peckinpah inszeniert den dritten Akt als eine kathartische Selbstermächtigung des zuvor mehrmals gedemütigten und entmännlichten Intellektuellen David. David, so der Film, stellt sich seiner Angst und nimmt den Kampf auf Leben und Tod an. Geek-Empowerment, avant le lettre. Widersprüchlich bleibt die Kluft zwischen psychologisch genauer Zeichnung einer Eskalation in den ersten zwei Akten (Extern: Ausgrenzung, Spott, Drohung, Demütigung, Vergewaltigung; Pärchen- intern: Verunsicherung, Verletzung, Verrat), in die der Film viel Zeit investiert, und dem seltsam sorglosen Umgang im Finale mit den immerhin fünf Toten („Jesus…I killed them all.“). Schwachpunkt, oder lakonischer Umgang mit dem zum Ausbruch gekommenen Archaischen in uns allen…? A nice Question to dwell upon…
2011 soll ein Remake in die Kinos kommen, dass gerade gefilmt wird. Dustin Hoffmanns Part übernimmt James Marsden alias Cyclops aus X-MEN. Die neue Figur ist Hollywood-Drehbuchautor, und nicht mehr Mathe-Stipendiat. Die Handlung wurde in den Süden der USA verlegt. Bleibt abzuwarten, ob dem Klassiker eine neue, radikalere Lesart abgewonnen werden kann. Oder ob es schon jetzt ein heißer Kandidat für den schwachsinnigsten Film der neuen Dekade ist. Mmmh -what a nice Question to dwell upon…
Die Inszenierung ist sorgfältig und überlegt wie ihr Protagonist, Mathematiker David Sumner (Dustin Hoffmann), den es mit seiner attraktiven Frau Amy in die Englische Provinz verschlägt, um ungestört an seinen Formeln zu arbeiten. Wie sich schnell heraus stellt: ein ungastlicher Ort voller xenophober Hinterwäldler, die wenig übrig haben für Brillenträger, Beatniks, Miniröcke und Nippel unterm Pulli (dieses das Ensemble der Zeichen der Moderne in der Exposition, die das junge Paar zu Dissidenten im durch vormoderne Strukturen beherrschten Dorf machen; ach ja: Behinderte aka Schwache sind hier auch nicht erwünscht).
Früh und zügig etabliert Peckinpah die Spielfiguren und –Steine auf dem Brett, hängt Tschechows Pistolen in Form einer Bärenfalle an der Wand auf, und man weiß: sie wird losgehen. Bleibt genügend Zeit, aus dem harmonischen ein zankendes Paar, aus dem intakten ein gekränktes männliches Ego und –vorläufiger Höhepunkt der langsam, stetig und unaufhaltsam voran schreitenden Eskalation- aus der lebenslustigen Amy das verstörte Opfer einer (zweifachen) Vergewaltigung zu machen. Am folgenden dörflichen „Gesellschaftsabend“ quälen Amy angesichts ihrer Peiniger, die dämlich saufend im selben Saal sitzen, üble Flashbacks der Tat. In genialer Kollisions-Montage bettet Peckinpah die Scham- und Gewalt-Blitze in dadurch schmerzhaft-harmlose Bild-Strecken spielender Kinder, oder grotesk wirkende, extreme Untersichten des Dorf-Pfarrers, der banale Zaubertricks vorführt. Peckinpah kontrastiert Amy´s Schmerz mit der Ahnungslosigkeit ihrer Umgebung, eingeschlossen die ihres Ehemannes David, erhöht so die Wirkung seiner Bilder. Die surrealistischen Ornamente, mit denen der Western-Routinier die Gang der Gewalttäter im Film konnotiert, weisen zarte inszenatorische Parallelen zu den Pop-Art gesättigten Halbstarken Droogs aus A CLOCKWORK ORANGE auf, der ebenfalls aus dem Jahr 1971 stammt. Beide Filme behandeln als zentrale Elemente sexualisierte Gewalt, gewalttätige Angriffe auf das und im unantastbaren Heim, und kommen jeder auf seine Art zu dem Schluss: gewalttätiges Verhalten ist unheilbar, seine Mechanismen scheinen zu tief in die menschliche Natur eingeschrieben. Während der Kubrick-Film (der Vorlage entsprechend) auf die ebenso ins Menschliche eingeschriebene Notwendigkeit des wählen-müssens abhebt, entwirft Peckinpah ein dem Western entlehntes ALAMO-Belagerungs-Szenario. Er zielt darauf ab, dem Bücherwurm David keine Wahl zu lassen: „This is where I live. This is me. I will not allow violence against this house.“ In die Ecke gedrängt hängt er den dünnen Mantel der Zivilisation an den Nagel und setzt schon mal Wasser auf, um den Angreifern später damit die Gesichter zu verbrühen.
„Bloody Sam“ lässt eher wenig Blut fließen. STRAW DOGS geht nicht exploitativ mit seinem Thema um. Aber Peckinpah inszeniert den dritten Akt als eine kathartische Selbstermächtigung des zuvor mehrmals gedemütigten und entmännlichten Intellektuellen David. David, so der Film, stellt sich seiner Angst und nimmt den Kampf auf Leben und Tod an. Geek-Empowerment, avant le lettre. Widersprüchlich bleibt die Kluft zwischen psychologisch genauer Zeichnung einer Eskalation in den ersten zwei Akten (Extern: Ausgrenzung, Spott, Drohung, Demütigung, Vergewaltigung; Pärchen- intern: Verunsicherung, Verletzung, Verrat), in die der Film viel Zeit investiert, und dem seltsam sorglosen Umgang im Finale mit den immerhin fünf Toten („Jesus…I killed them all.“). Schwachpunkt, oder lakonischer Umgang mit dem zum Ausbruch gekommenen Archaischen in uns allen…? A nice Question to dwell upon…
2011 soll ein Remake in die Kinos kommen, dass gerade gefilmt wird. Dustin Hoffmanns Part übernimmt James Marsden alias Cyclops aus X-MEN. Die neue Figur ist Hollywood-Drehbuchautor, und nicht mehr Mathe-Stipendiat. Die Handlung wurde in den Süden der USA verlegt. Bleibt abzuwarten, ob dem Klassiker eine neue, radikalere Lesart abgewonnen werden kann. Oder ob es schon jetzt ein heißer Kandidat für den schwachsinnigsten Film der neuen Dekade ist. Mmmh -what a nice Question to dwell upon…
Nachdem ich mir den Film jetzt noch einmal angesehen habe, hier einige Punkte die mir etwas zu glatt erscheinen:
AntwortenLöschen- Es könnte an der Version liegen, die Du gesehen hast, aber während die zweite Vergewaltigung unzweideutig als solche gezeigt wird, deutet Peckinpah an, dass die Frau an dem ersten Akt gefallen findet. Dies macht den Film zum einen aus einer gender-Perspektive so problematisch, zum anderen war dies auch der Grund weshalb sich die britischen Behörden bis 2002 gegen eine Veröffentlichung der unzensierten Version gestellt haben. Nur so erscheint es wenigstens etwas plausibler dass sie das Geschehene geheim hält, während der "Verrat" am Ende an Brisanz gewinnt.
- Der "Behinderte", den Dustin Hoffmann in seinem Haus beschützt ist nicht einfach möglicherweise geistig behindert, und damit schutzbedürftig, sondern gleichzeitig ein pädophiler Mörder (?). Der Film nimmt damit eine radikale (im Sinne der 60er/70er) liberale Position ein: selbst die Rechte eines mutmasslichen Mörders sind zu schützen. Damit wird die Handlung explizit zu einer Verlängerung des auch in den Dialogen angedeuteten Kulturkampfes in den USA der späten 60er/frühen 70er.
- Diese liberale Haltung wird mit dem von Dir beschriebenen archaischen psychologischen Bedürfnis nach Rache kontrastiert. Gleichzeitig offenbart die Hauptfigur, die häufig einfach als "der Amerikaner" bezeichnet wird, damit auch seine amerikanische Natur und Peckinpah seine Western-Wurzeln: Nicht nur die Verteidigung von Heim und Herd, sondern vielmehr das Aufrechterhalten von Prinzipien bis in den Kampf allein gegen alle ist der archetypische Kern des Western-mythos und der sich darauf berufenden Gesellschaft.
-Damit ist STRAW DOGS mehr noch als von CLOCKWORK ORANGE, obwohl ich Dir bei den Parallelen absolut recht gebe, (gerade in dem Eingreifen der Frau am Ende) von HIGH NOON beeinflusst. Andere Filme, die das Thema der Verteidigung des Heims behandeln sind Carpenters THE LAST HOUSE ON THE LEFT (1972) und natürlich, in Umkehrung FUNNY GAMES (1999)
Ah, FUNNY GAMES ist von 1997..
AntwortenLöschenWill ja nich klugscheißern Timor, aber LAST HOUSE ON THE LEFT ist von Wes Craven. Bei Carpenter wäre das ein etwas anderer Film geworden...
AntwortenLöschenShit, Du hast es doch noch gemerkt..
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