(T.Hwa)
In diesem Post wird es nicht um Quentin Tarantino gehen. Während dieser regelmäßig viel Aufmerksamkeit (hier, hier und hier) für seine „subversiven“ Genre-Etüden erhält, wird der holländische Regisseur Paul Verhoeven häufig übersehen, gerade weil sein Ansatz zugleich radikaler und missverständlicher ist als der Tarantinos. Eine kurze Skizze seiner Provokation durch Übererfüllung von Erwartungen anhand dreier Beispiele.
Verhoevens Strategie ist bereits in dem sonst relativ konventionellen Thriller BASIC INSTINCT (1992) angelegt. Die zum Exzessiven neigende Inszenierung des Mordes zu Beginn des Films entspricht dabei der Kombination von Sex und Gewalt, deren exploitative Attraktivität der Film nutzt und die zu einem Markenzeichen des Regisseurs geworden ist. In der wahrscheinlich bekanntesten Szene des Films, dem Verhör von Sharon Stone, wird die Figur der aggressiven, verführerischen Verdächtigen auf die Spitze getrieben und zugleich die Erwartungshaltung des Zuschauers ad absurdum geführt. Die Szene in dem Verhörraum wird vor allem als eine Inszenierung von Blickwechseln zwischen der Frau auf der einen, und den anwesenden männlichen Polizisten auf der anderen Seite aufgelöst. Ebenso wie das Machtgefüge auf der Ebene der Dialoge durch die aufreizenden Antworten destabilisiert wird, wird auch auf der Ebene der Blicke die Anordnung zunehmend ambivalent. Isoliert und vergleichsweise hell ausgeleuchtet ist die Figur Sharon Stones auf dem Stuhl den Blicken der männlichen Figuren wie auch des Zuschauers ausgesetzt. Mit dem Beinüberschlag, durch reaction shots als ein POV-shot der Polizisten ausgewiesen, wendet sich diese Exponiertheit gegen die Beobachter. Doch die temporäre Gleichsetzung von Zuschauerblick und der Perspektive der Figuren besitzt noch weiter reichende Implikationen: die Blicke der Polizisten doppeln die Erwartungshaltung der Zuschauer. Schlägt Sharon Stone ihre Beine übereinander, so muss sich der Zuschauer nicht nur wie in dem Brechtschen Verfremdungseffekt in Hanekes Film(en) FUNNY GAMES (1997, 2007) ertappt fühlen, der Effekt wird noch dadurch verstärkt dass er mehr zu sehen bekommt, als er erwarten kann.
Sex und Gewalt in Verbindung mit einem Spiel mit Zuschauererwartungen wird in STARSHIP TROOPERS (1997) zum Strukturprinzip. Übertreibung und Übererfüllung finden sich in der soap-artig trashigen Inszenierung des Beginns (Highschool Abschluss!), einer Art dystopischen 90210, später in dünn motivierten Gruppenduschszenen, bewusst überzogenem Heldenpathos und der ebenso bewusst exzessiven Gewaltdarstellung. Die zumeist völlig verkannte satirische Absicht des Films richtet sich gegen faschistoide Tendenzen sowohl des Kriegsfilms als auch der Science-Fiction, die mit der von moralischen Imperativen entbindenden Kategorie des völlig Anderen arbeiten. Dabei wird diese Aussage gerade durch die schiere Übertreibung und Offensichtlichkeit der Parallelen zu Uniformen und Propaganda des Dritten Reiches übersehen oder übergangen.
Die größte Provokation, wie auch das größte Scheitern stellt jedoch der berüchtigte Film SHOWGIRLS (1995) dar. Mit sieben goldenen Himbeeren bedacht, erscheint es vor allem bemerkenswert dass dieser Exploitation-film mit einem Budget von etwa 45 Millionen Dollar produziert werden konnte. Wiederum werden hier Zuschauererwartungen zugleich entlarvt und übererfüllt. Die Vergnügungsindustrie in Las Vegas, so die Prämisse des Films, basiert auf der Kommodifizierung von Sex und wird mit der Filmindustrie Hollywoods gleichgesetzt (Nicht umsonst endet der Film mit einem Blick auf ein Highwayschild, das die Kilometer bis nach L.A. angibt). Der Film wird mit seiner Übererfüllung des „Sex sells“-Prinzip zu einer einzigen Provokation der immer noch vorhandenen kodifizierten Moralvorstellungen des Hollywood-systems, nach der Nackt- und Sexszenen zwar gezeigt werden (müssen), die Bettlaken jedoch stets auf magische Weise schlimmeres verhindern. Die provokativ-trashigen Elemente sind hier neben dem exploitativen setting und den zahllosen Nacktszenen (laut imdb.com absolviert die Hauptdarstellerin etwa ein Sechstel des Films völlig unbekleidet) vor allem die mehr als dünne Handlung, ins völlig karikaturhaft überzogenen Dialoge und ein finaler Akt von Selbstjustiz der Russ Meyer stolz machen würde. Besonders deutlich wird Verhoevens Absicht in der zynischen Auflösung der konventionellen Backstory-wound: wiederholt die von Elizabeth Berkley gespielte junge Stripperin, die zum Showgirl wird, immer wieder „Ich bin keine Hure“, so offenbart der Film gegen Ende dass sie einen Aufstieg von einer Prostituierten zur Stripperin hinter sich hat. Trotz der Fixierung auf den weiblichen Unterleib, die man Verhoeven unterstellen muss, deckt der Film damit die soziale Fetischisierung der unschuldigen jungen Heldin, bzw. des unschuldigen, „gefallenen Mädchens“ auf.
Verhoevens Filme ziehen mitunter dunkle Konsequenzen nach sich, die der Regisseur konsequenter als die meisten anderen „Provokateure“ auf sich nimmt. Ist der Auftritt bei der Verleihung der goldenen Himbeere für den schlechtesten Film und den schlechtesten Regisseur noch ein harmloser Akt der Selbstironie, so hat SHOWGIRLS nicht nur die weitere Karriere von Elizabeth Berkley beendet, sondern auch die weitere Arbeit des Regisseurs selbst sicher nicht gerade erleichtert.
[...] vollständigen Artikel anzeigen