(H. Carstensen)
Cronenbergs zweiter Langfilm jenseits der 80 Minuten–Grenze (STEREO: 65 min., CRIMES OF THE FUTURE: 70 min), ist ein Hybrid, der mit Vampir- und Zombie-Motiven spielt. Nach einem Motorrad-Crash wird die verletzte Rose in einer Schönheits-Farm einer experimentellen Hauttransplantation unterzogen. Super: völlig unplausibel erwacht sie aus dem Koma als blutdurstige Femme Fatale, ausgestattet mit einem phallischen Penetrations-Stachel unter der Achselhöhle (No kidding. Aber irgendwie muss der Kahn ja in See stechen).
Rose wird verkörpert von der Pornofilm-Ikone Marylin Chambers, die mit BEHIND THE GREEN DOOR 1972 ihr Sexfilm-Debüt gab und in den 1970er Jahren neben Linda Lovelace (DEEP THROAT) einer der Stars der Industrie war. In bester Exploitation-Manier wird Rose´ attraktiver Körper immer kurz vor ihren Angriffen nackt gezeigt, die Bedrohung sexuell aufgeladen. Ironischerweise bringt sie eines ihrer männlichen Opfer in einem Pornokino zur Strecke. Ihr Blutsauge-Stachel ist ambivalent konnotiert: der phallische Stachel fährt aus einer vaginalen Höhle im Oberarm hervor. Ihre Opfer verwandeln sich in kürzester Zeit in Zombies, die ihrerseits mit Schaum vor´m Mund Mitmenschen durch klassisches Zubeißen anstecken- daher der Titel. Die Nachrichten-Sequenzen zur Ausbreitung dieser „Seuche“ bilden eine deutliche Parallele zu George Romeros 1968 erschienenen NIGHT OF THE LIVING DEAD. Elliot Stein, Kritiker der VILLAGE VOICE, schrieb 2003, mit Romeros Erstling habe eine Austausch-Entwicklung eingesetzt. Der Vampir wurde im Horror-Genre durch den Zombie als zentraler Gegenstand der Geschichten ersetzt. In dieser Beziehung erweist sich Cronenberg mit RABID als Fan des Hybriden und Chronist dieses Übergangs.
Das Erzähltempo ist für heutige Sehgewohnheiten langsam, aber ein übersichtlicher Plot bewahrt den Film vor zu harten Längen. Der ökonomisch-solide Montage-Stil ist nicht eben experimentell, sorgt aber für Genre-typische Schock-Momente. Lustiger Aussetzer: Rose´ Angriff auf eine Mit-Patientin im Whirlpool der Klinik kommt rüber wie ein unentschlossener Editing-Cocktail aus einem Teil lesbische Verführungs-Szene á la EMANUELLE und sechs Teilen JAWS: nach halbherzig-doppeldeutigen Blicken, von denen die Szene mehr vertragen könnte, um die Stimmung aufzuladen, folgt abrupt auch schon der buchstäbliche Ransprung, der einen kurzen Kampf und das abschließende Blut-Bad einleitet. Bei so unvermitteltem und holprigem emotionalen Transfer stellt sich weder Rose´ suggestive Anziehungskraft, noch der dann beabsichtigte Gewalt-Schock ein. Es gibt ein paar dieser Momente im Film, in denen nicht auszumachen ist, wie ernst er sich nimmt. Oder ob das weniger eine Frage der Haltung denn der handwerklichen Fähigkeiten und des Budgets ist.
Die Motiv-Verquickung von Vampir- und Zombie-Filmen ist das Alleinstellungs—Merkmal von RABID. Die sexuell aufgeladene Bedrohung durch Rose (Penetrations-Stachel statt Biss) steht den von ihr kreierten Zombies gegenüber: hier intime Gefahr mit Gesicht und Identität, dort anonyme Massenbedrohung, Seuche, Epidemie. Das Vampir-Motiv verkörpert die Romantik des 18.ten und 19.ten Jahrhunderts, während sich in den Zombies die Angst der Massengesellschaft der Moderne materialisiert. Beides in einem Film zu vereinen, spricht retrospektiv vielleicht für Cronenbergs Gespür für den Zeitgeist, und zeugt von seinem Interesse an Mutationen. Hier: die Mutation der Angst. Wobei eigentlich nicht die Angst selbst mutiert, sondern die Art, wie sie sich artikuliert. Dafür hat Cronenberg ein Auge.
Generell fällt das frühe Vorhandensein einiger Cronenberg-Themen auf, die der Kanadier später vertieft. Anführen ließen sich hier die oben genannte Mutation, was implizit auch die Auseinandersetzung mit Technologie hindeutet, die in späteren Filmen stattfindet. In RABID wäre die neue Behandlungs-Technik mit „neutralisiertem Gewebe“ das Beispiel. Der Körperhorror, die physische Penetration des Körpers durch das Fremde, und dessen Eindringen in ihn, gehört dazu. Und eine ironisch-kritische Perspektive auf die nordamerikanische Gesellschaft. Rose infiziert sich in einer Beauty-Klinik, und in einer der lustigeren Sequenzen ist der misslungene Anmach-Versuch eines drittklassigen Pick-up-Artists´ der Auslöser dafür, dass Santa Claus von einem Cop auf Zombie-Jagd aus seinem Sessel geknallt wird.
Nach RABID könnte man meinen, die Inhalte seien viel stärker Motor des kreativen Schaffens Cronenbergs, als sein Interesse am Visuellen. Zu letzterem fällt lediglich auf, dass den Film eine gewisse Ökonomie und Effizienz kennzeichnet. Eher schnörkellos als Verspielt stehen die Ekel-Bilder des Körper-Horrors am stärksten hervor und bleiben im Gedächtnis.
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Das Erzähltempo ist für heutige Sehgewohnheiten langsam, aber ein übersichtlicher Plot bewahrt den Film vor zu harten Längen. Der ökonomisch-solide Montage-Stil ist nicht eben experimentell, sorgt aber für Genre-typische Schock-Momente. Lustiger Aussetzer: Rose´ Angriff auf eine Mit-Patientin im Whirlpool der Klinik kommt rüber wie ein unentschlossener Editing-Cocktail aus einem Teil lesbische Verführungs-Szene á la EMANUELLE und sechs Teilen JAWS: nach halbherzig-doppeldeutigen Blicken, von denen die Szene mehr vertragen könnte, um die Stimmung aufzuladen, folgt abrupt auch schon der buchstäbliche Ransprung, der einen kurzen Kampf und das abschließende Blut-Bad einleitet. Bei so unvermitteltem und holprigem emotionalen Transfer stellt sich weder Rose´ suggestive Anziehungskraft, noch der dann beabsichtigte Gewalt-Schock ein. Es gibt ein paar dieser Momente im Film, in denen nicht auszumachen ist, wie ernst er sich nimmt. Oder ob das weniger eine Frage der Haltung denn der handwerklichen Fähigkeiten und des Budgets ist.
Die Motiv-Verquickung von Vampir- und Zombie-Filmen ist das Alleinstellungs—Merkmal von RABID. Die sexuell aufgeladene Bedrohung durch Rose (Penetrations-Stachel statt Biss) steht den von ihr kreierten Zombies gegenüber: hier intime Gefahr mit Gesicht und Identität, dort anonyme Massenbedrohung, Seuche, Epidemie. Das Vampir-Motiv verkörpert die Romantik des 18.ten und 19.ten Jahrhunderts, während sich in den Zombies die Angst der Massengesellschaft der Moderne materialisiert. Beides in einem Film zu vereinen, spricht retrospektiv vielleicht für Cronenbergs Gespür für den Zeitgeist, und zeugt von seinem Interesse an Mutationen. Hier: die Mutation der Angst. Wobei eigentlich nicht die Angst selbst mutiert, sondern die Art, wie sie sich artikuliert. Dafür hat Cronenberg ein Auge.
Generell fällt das frühe Vorhandensein einiger Cronenberg-Themen auf, die der Kanadier später vertieft. Anführen ließen sich hier die oben genannte Mutation, was implizit auch die Auseinandersetzung mit Technologie hindeutet, die in späteren Filmen stattfindet. In RABID wäre die neue Behandlungs-Technik mit „neutralisiertem Gewebe“ das Beispiel. Der Körperhorror, die physische Penetration des Körpers durch das Fremde, und dessen Eindringen in ihn, gehört dazu. Und eine ironisch-kritische Perspektive auf die nordamerikanische Gesellschaft. Rose infiziert sich in einer Beauty-Klinik, und in einer der lustigeren Sequenzen ist der misslungene Anmach-Versuch eines drittklassigen Pick-up-Artists´ der Auslöser dafür, dass Santa Claus von einem Cop auf Zombie-Jagd aus seinem Sessel geknallt wird.
Nach RABID könnte man meinen, die Inhalte seien viel stärker Motor des kreativen Schaffens Cronenbergs, als sein Interesse am Visuellen. Zu letzterem fällt lediglich auf, dass den Film eine gewisse Ökonomie und Effizienz kennzeichnet. Eher schnörkellos als Verspielt stehen die Ekel-Bilder des Körper-Horrors am stärksten hervor und bleiben im Gedächtnis.