Montag, 28. Dezember 2009

Avatar: Drei-D-die-Dritte

(H. Carstensen)

Licht & Lärm bietet bereits treffende Beobachtungen zum Jüngsten James Cameron. Zusammengefasst gehen die so: Ist AVATAR 3D ein faszinierendes Erlebnis? Ja. Reicht das? Nein. Sehe ich genauso so – also: fast.

Der Film ist in erster Linie die Sinne überwältigende Unterhaltung. Und ein wesentlicher Teil des Vergnügens entsteht aus der Erfahrung des 3-D Effekts: sich von ihm überraschen zu lassen und mit ihm vertraut zu werden. Bereits in den Real-Szenen ist der Raum-Effekt eine spannende, sinnliche Erweiterung des bisherigen Kino-Erlebnisses, z.B. wenn die Kamera durch Reihen von Soldaten fährt, oder man glaubt, die Scheibe eines Helikopters, hinter der der Schauspieler agiert, förmlich greifen zu können. Und er färbt ab. Die hybriden Na´vi - halb computergeneriert, halb durch Schauspieler im Motion-Capture-Verfahren lebendig gemacht – profitieren von der Plastizität der Real-Szenen, und gewinnen an Glaubhaftigkeit dadurch, dass sie, wie die„echten“ Darsteller auch, räumlich wahrnehmbar sind. Allerdings gewöhnt man sich an den Effekt, der auf ständige Bewegung angewiesen ist. Gerade ruhigere Passagen wirken unspektakulär – deshalb kommen vermutlich auch nicht so viele vor.

Obwohl oder gerade weil die Story schnell erzählt, und Gut und Böse klar aufgeteilt sind, hat der Film es bei mir (nicht immer, aber…) über weite Strecken geschafft, für die Figuren emotional einzunehmen. Auch hier arbeitet der 3D-Effekt für den Film, erleichtert es, in Pandoras Welt einzutauchen und Teil zu werden. In Zeiten von Erd-Erwärmung, Präkariat und transzendentaler Heimatlosigkeit ist der Na´vi-Cocktail aus New-Age-Spiritualität, „edler Wilden-Exotik“, starker Gemeinschaft und ökologischer Kritik ein berechnend gewähltes Sinnstiftungs-Angebot, die Diegese eine aus kleinsten gemeinsamen Nennern zusammen geschraubte Projektionsfläche für ein globales Publikum – wer sonst könnte die Kosten wieder rein holen -, welche aktuelle politische Auseinandersetzungen mit populären Wünschen verwebt. Nicht sehr tiefgründig, aber immerhin geschickt. Solange man kein Kunstkino erwartet und Spaß an spektakulärem Blockbuster-Kino hat: gut. Wer mir hier eine unkritische Haltung vorwerfen möchte, sei nochmal drauf hingewiesen: B-L-O-C-K-B-U-S-T-E-R...3-0-0-M-I-L-L-I-O-N-E-N---D-O-L-L-A-R. Wie subversiv solls denn werden?

In seiner Kombination von Produktions-, Animations-, und Projektionstechnik ist wohl noch nichts Vergleichbares über die Leinwand geflimmert. Cameron darf sich rühmen, Pionier zu sein. Beim Ausprobieren einer neuen Technik steht diese dann häufig auch im Vordergrund, die Geschichte fällt eher simpel aus (wie hier treffend beschrieben wurde). Parallelen zu TRON (1982) fallen einem ein: in den frühen 80er Jahren des letzten Jahrhunderts stellten die klobigen Rechteck-Flächen und Raster-Ebenen aus dem Computer den State of the Art da, den heute jede Handheld-Konsole an Komplexität übertrifft. Die Geschichte war eine simple, jugendfreie Queste, die ziemlich offensichtlich auch unabhängig von der Cyberspace-Umgebung, bspw. im Mittelalter funktioniert hätte. Sie bot keine kausale Verbindung zu ihrem Schauplatz. Ersetze den heiligen Gral durch eine Daten-Disk, und los geht die Reise. Es gab keine dialektische Verbindung zwischen Form und Inhalt. Im direkten Vergleich muss man Cameron zu Gute halten, dass sein Probe-Vehikel da inspirierter ist. Die Geschichte über den gelähmten Soldaten, der auf einer fernen Welt im synthetischen Körper ein Zweitleben erhält, greift Phänomene des Cyberspace mit Mitteln des Cyberspace auf. Unter der, für die Cowboy-und-Indianer-Action angenehmen, Prämisse, dass vorgenannter Raum ein realer ist, in dem man trefflich rumballern kann mit konventionellen Waffen. Cameron ist in Sachen Komplexität schon ein paar Schritte weiter gegangen als nur Pflichtprogramm. Ob die 300-Millionen Dollar Investition die Grenzen des Möglichen damit ausgeschöpft hat, ist eine andere Frage, die in der Wunsch-Zukunft besser mit Nein beantwortet werden wird – eine Hoffnung, für die die Aussichten allerdings nicht sehr rosig sind.

Blockbuster sind seit Jahren die Haupt-Einkommensquellen in Hollywood. Im Zeitalter des Downloads und Streams generiert 3-D-Kino ein Produkt, das für die nächsten paar Jahre nicht in den eigenen vier Wänden reproduzierbar sein wird. Nach digitaler Revolution und Krise der Musikindustrie war es die Eventisierung von Live-Musik, die Musikern heute ermöglicht von ihrer Kunst zu (über) leben. Ähnlich holen 3-D-Blockbuster ab sofort Menschen ins Kino, die 12, 50 € bezahlen, damit die Industrie am Leben erhalten und, wie es konventionelle Blockbuster bis jetzt taten, kleinere Filme „mit durchschleifen“. AVATAR ist in meinen Augen aber noch kein Zeichen für den Tod des herkömmlichen Kinos. Schwer vorstellbar, dass sich die Kino-Landschaft insgesamt, in ihrer Breite und Vielfalt, in den nächsten 5 Jahren radikal ändert. Das ist schon allein eine Preisfrage. Und auch der Kulturpessimismus des Rezensenten geht nicht soweit, als dass eine Technik, die sich, solange das Gegenteil noch nicht bewiesen ist, bislang erstmal nur für ein Genre wirklich eignet, das Interesse an allen anderen Genres auslöschen wird. Das Gros der Filme wird noch eine ganze Weile mit 2D, und der über hundert Jahre alten Suspension of Disbelief auskommen müssen. Zumindest, bis Produktion und Projektion billiger sind, und der erste Orson Welles des Digitalen 3-D Zeitalters sich aufschwingt, die inhaltlichen Möglichkeiten der 3-D-Technik voll und ganz an die Gegenwart anzuschließen. Für AVATAR gilt bis dahin: hätte schlimmer kommen können, hätte kürzer sein können, und hätte es THE MATRIX vorher noch nicht gegeben, und dieser hätte seine Premiere in 3-D gefeiert, hätte mich das wahrscheinlich um einiges mehr beeindruckt.
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Freitag, 25. Dezember 2009

AVATAR in 3D

(T.Hwa)

Wie Dennis bereits festgestellt hat: James Camerons Film ist die Zukunft des Kinos, aber dies ist nicht unbedingt als Kompliment aufzufassen. Eine dem Film angemessene, weniger milde Ergänzung.

Der Film sieht – in 3D – spektakulär aus. Die Bilder erhalten eine beeindruckende räumliche Tiefenwirkung. Diese wird ergänzt durch eine relativ sparsam eingesetzte „Effektebene,“ auf der Objekte aus der Fläche des Bildes herauszuragen scheinen. Selbst die Untertitel wechseln teilweise die Tiefenebene und werden so in den filmischen Raum integriert, was zum Teil eine irritierende Wirkung hat.
Der Film ist ganz auf das Sehen durch die neue Apparatur angelegt. Der Zuschauer entdeckt zusammen mit der Kamera und seinem intra-diegetischen Avatar die dargestellte Welt. Leider ist diese zu entdeckende Welt ziemlich banal und sogar visuell platt, so als hätte Cameron über die Faszinierende Wirkung der Bilder das elementarste Erzählen vergessen. Nichts an der bemüht, über viele sprachliche Phantasiebezeichnungen eingeführten, Welt fasziniert über den ersten Eindruck, die visuelle Oberfläche hinweg. Die wenig metaphorische Körpertausch-motiv der going-native-Erzählung Kevin Costners wirkt als wenig mehr als ein Platzhalter für die schuldig gebliebene Interaktivität, der ein Videospiel gewidmet sein wird. Was ist der Sinn der ferngesteuerten Körper wenn diese von den Außerirdischen sofort als fremd identifiziert werden?
Beschwert sich J. Hoberman in seiner Kritik über die exzessive political correctness / den mangelnden Patriotismus der Handlung („Worse, the viewer is encouraged to cheer when uniformed American soldiers are blown out of the sky and instead root for a bunch of naked, tree-hugging aborigines led by a renegade white man on a humongous orange polka-dot bat.“), so schreibt dies zum einen dem Plot zuviel diskursive Relevanz zu, und ist zum anderen für alle nicht US-Bürger ziemlich schwer nachhzuvollziehen: die Menschen – ergo Amerikaner – sind genozid-geneigte Militaristen die durchgehend Bush-/Vietnam-Talk von sich geben, die blauen Katzenwesen erinnern an Indianerstämme, leben in romantischem Einklang mit einer pantheistischen Natur und versuchen sich mit Pfeil und Bogen gegen Kampfroboter und –hubschrauber zu wehren. Die Dichotomien des Films sind simpel, aber die Verteilung der Sympathien ist ebenso simpel und nachvollziehbar.
Die vielleicht größte Schwäche des Films sind aber die animierten Darsteller. Es mag mit der mangelnden Erfahrung des Rezensenten mit Animationsfilmen zusammenhängen – aber zu keiner Zeit entwickelte sich ein Bezug zu den katzenartigen Figuren, die sich durch den Film zischen und fauchen, deren hölzernen Art aber die menschlichen Darsteller in nichts nachstehen. Auch die weniger als eindimensionale (see what I did there?) Figurenzeichnung und die lächerlichen Dialoge aus der One-liner-Drehbuchschule des Actionkinos der 80er tragen nicht zu der schauspielerischen Klasse aller Akteure bei.
Das Problem von AVATAR ist weniger, dass der Film aussieht wie ein Videospiel, das Problem ist, dass er schlechter erzählt und weniger Immersion ermöglicht als ein Videospiel.

Man wird sich in Zukunft daran gewöhnen müssen im Kinosaal eine Brille zu tragen und einfach den visuellen „Ride“ zu genießen.
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Donnerstag, 24. Dezember 2009

Reaktionen zu AVATAR

(D. Schanz)

Zunächst einmal vorweg: AVATAR ist der verdammt noch mal beste Film des Jahres, wenn nicht sogar des Jahrzehnts. Nee, quatsch, kleiner Scherz. Die allgemeine Hysterie, die momentan um diesen Film gemacht wird, kann ich nur bedingt verstehen und teilen möchte ich sie schon gar nicht. Zugegeben, Camerons Neuester ist in der Tat bahnbrechend – allein insofern, als dass man sich nach diesem tricktechnischen Spektakel nun kaum mehr vorstellen kann, dass Hollywood zukünftig noch dreistellige Millionenbeträge in Produktionen pumpen wird, die auf die hier in bemerkenswerter Selbstverständlichkeit ausgestellte, neuartige 3-D Technik zu verzichten wagen. Ob man es wahrhaben will oder nicht: AVATAR gibt einen fast dreistündigen, mit jeder Menge politisch korrektem Sci-Fi-Eskapismus garnierten Ausblick auf die Zukunft des (Blockbuster-)Kinos. Insofern hätte es wohl keinen trefflicheren Film geben können, um die vergangene Dekade abzuschließen und die nächste einzuläuten, die, da leg ich mich fest, vom 3-D Kino dominiert werden wird. Schon jetzt kann ich mir bildhaft vorstellen, dass kommende Generationen des Mainstream-Publikums dem traditionellen zweidimensionalen Film ähnlich missbilligend begegnen werden, wie es heute gegenüber dem klassischen Schwarzweiß-Film allzu häufig der Fall ist. Dabei ist es vollkommen unerheblich, dass der dreidimensionale Effekt nach spätestens einer halben Stunde gar nicht mehr groß auffällt, geschweige denn weiterhin in Staunen versetzt. Viel wichtiger ist, dass dem Zuschauer jene einstmals für perfekt gehaltene Raumillusion des zweidimensionalen Films plötzlich unzulänglich erscheinen wird. “Freuen“ wir uns also schon mal auf kommende 3-D re-releases digital unterfütterter Jungklassiker des Unterhaltungskinos wie MATRIX, SPIDERMAN, und LORD OF THE RINGS.

Und doch ändert all dies nichts daran, dass AVATAR in spätestens zehn Jahren von der breiten Masse nur noch ein müdes, wenn auch wohlwollendes Lächeln ernten wird. Denn tricktechnische Pionierarbeit in der Filmkunst altert nun mal ebenso rasch wie unvorteilhaft – und außer dieser hat Camerons Film leider nicht allzu viel zu bieten. Zu generisch, zu vorhersehbar, zu klischeehaft gibt sich diese in den Grundzügen nur allzu bekannte, fantastische Mär einer allen Widrigkeiten trotzenden, transkulturellen Initiationsgeschichte. Seine Formelhaftigkeit indes ist nicht das eigentliche Problem des Films. Vielmehr scheitert Cameron genau da wo in früheren Jahren noch seine großen Stärken lagen: einen ikonischen Moment oder auch nur ein einziges Bild, das auf lange Sicht seinen Weg ins kulturelle Gedächtnis finden könnte, sucht man in AVATAR vergebens.

Abgesehen vom durchaus beeindruckenden Aufzeigen der Möglichkeiten, die im dreidimensional gedrehten Film stecken, ist die visuelle Ästhetik des Films nämlich geradezu erschreckend banal. Das hat natürlich vielfältige Gründe. Der meines Erachtens nach zwingendste ist jedoch: AVATAR sieht aus wie ein Video-Spiel. Das bezieht sich nun nicht so sehr – wie man nach dem ersten offiziellen Trailer zum Film hätte befürchten können – auf die Texturen, also auf die im Computer generierte Oberfläche der Welt, die Cameron hier erschaffen hat, beziehungsweise der Figuren, die diese bevölkern. Im Gegenteil sogar – wirken die Na’vi doch überraschend lebendig und vor allem ihr Zusammenspiel mit der überwiegend digitalen Umgebung, durch die sie sich bewegen, geradezu natürlich. Viel mehr ist es die Logik, die seiner visuellen Ästhetik zugrunde liegt, die Camerons Film mit einschlägigen Vertretern des interaktiven Mediums, wie etwa den jüngsten „GTA“-Spielen, gemeinsam hat: Hier wie dort ist die digital kreierte Welt in all ihrem fetischistischen Detailreichtum wesentlich wichtiger als der Ausschnitt, durch den die virtuelle Kamera das Geschehen präsentiert. Die Kamera als einstige (ästhetisch) regulierende und sinnschaffende Primärinstanz des filmischen Paradigmas ist bei AVATAR zum Wasserträger degradiert, der eifrig damit beschäftigt ist, die multimillionenschwere Rechenarbeit des visual effects-Teams möglichst dynamisch abzubilden. Nicht mehr und nicht weniger wird von der Kamera gefordert. Das hat zur Folge, dass sie zumeist plan- und orientierungslos, mitunter fast ehrfürchtig staunend, so scheint es, durch diese durch und durch künstliche Welt taumelt – nicht unähnlich der virtuellen Kamera in „GTA“, die dem Anti-Helden Niko aus unterschiedlichen, scheinbar willkürlich generierten Winkeln und Abständen durch die Straßen von „Liberty City“ folgt. Eine wohldurchdachte mise en scène sieht anders aus.

Fast unaufhörlich ist Camerons Kamera in Bewegung und kommt nur selten zur Ruhe, die doch eigentlich – das scheint der ehemalige, und bei der kommenden Oscarverleihung vermutlich wiedergekrönte, „King of the World“ vor lauter Stolz auf sein aktuellstes Fabelreich vergessen zu haben – so unendlich wichtig ist für ein pointiertes Erzählen. Und wenn er der Kamera dann doch mal einen Moment des Innehaltens gönnt, wird dieser meist jäh unterbrochen durch die durchweg plumpe Montage, die den Zuschauer schon viel zu früh wieder in die nächste Szene schleudert. Emotionale Anteilnahme mit den Figuren, geschweige denn Bilder, die sich in das Unterbewusstsein des Zuschauers brennen, entstehen so natürlich nicht. Ohnehin, die Montage: ein Albtraum für Verfechter des klassischen Continuity-Editings, schneidet sie rigoros alles zusammen was sich nur irgendwie schnell genug bewegt. Funktionieren tut das, keine Frage, denn ständige Bewegung ist – das wissen auch Camerons Kollegen wie Michael Bay und Konsorten nur zu gut – der kleinste gemeinsame Nenner beim Zusammensetzen zweier Einstellungen. Wenn jedoch ästhetische Entscheidungen nur noch allein den Gesetzmäßigkeiten einer oberflächlichen Dynamik verpflichtet sind, dann macht sich schnell Beliebigkeit und letztlich Langeweile breit. Das mag vielleicht ausreichen, das Kino als Hort der Massenunterhaltung zu revolutionieren, den Film als Kunstform jedoch bringt AVATAR keinen Schritt weiter.

Zum Abschluss noch paar Worte zu Story und Plot von AVATAR. Andere Kritiker haben bereits zurecht auf das wiederaufgewärmte DER MIT DEM WOLF TANZT-Prinzip der Erzählung hingewiesen: naturverbundene Alternativzivilisation wird von (neo-)kolonialistischer Macht, die ersterer in Sachen technologischer Fortschritt und arrogante Gewissenlosigkeit um Lichtjahre voraus ist, in ihrem Dasein bedroht und erhält unverhoffte Hilfe eines der feindlichen Spezies angehörigen Individuums. So weit, so altbekannt. Was dann allerdings doch überrascht, ist, dass AVATAR sich keineswegs mit der imaginären Wiedergutmachung der genozidalen Nationalgeschichte der USA zufrieden gibt, sondern, in Anbetracht des aktuellen geopolitischen Kontextes, auch eine klare Position hinsichtlich der nur allzu gegenwärtigen neo-imperialistischen US-„Aktivitäten“ in Afghanistan bezieht. Die klassische gut/böse-Dichotomie wird dann auch höchst eindeutig besetzt mit friedlich im Einklang mit der Natur und dem eigenen Glauben lebenden Exoten auf der einen Seite und militärisch gestützten, nach wertvollen Rohstoffen geifernden amerikanischen Interessensgruppen ohne Sinn und Verständnis für alternative Lebensformen auf der anderen. AVATAR versucht, wie jede gutgemeinte Science-Fiction, eine möglichst scharfsinnige Aussage über Zukunft, Vergangenheit und vor allem Gegenwart zugleich zu treffen. Natürlich kann und will auch diese Erzählung nicht auf den Typus ’weißer Amerikaner’ als Identifikationsfigur verzichten, jedoch stellt sie sich hier ganz klar mit ihm auf die Seite der Eingeborenen – und lässt ihn gegen Ende sogar zum finalen Guerilla-Kampf aufrufen. Zu diesem Zeitpunkt im Film hätte es mich nicht überrascht, den ein oder anderen galligen „Yankee, go home!“-Kampfschrei aus der Ecke der Na’vi zu hören, dicht gefolgt von einem versiert abgefeuerten pandorrischen Pfeil-und-Bogen Geschoss. Dass sich Cameron dann nicht mal am Ende mit einer diplomatischen Lösung des Konflikts zufriedengibt, mag zwar vor allem dem höheren Unterhaltungswert der action-reicheren Variante geschuldet sein, ist aber nichtsdestotrotz eine durchaus wagemutige Entscheidung für den Regisseur, der sich vor etwa fünfzehn Jahren mit TRUE LIES den wohl unverhohlen patriotischsten Hollywood-Actioner der 90er zu Schulden hat kommen lassen. Dieser erfrischend direkte, unverhofft radikale ideologische Standpunkt macht AVATAR nicht unbedingt zu einem besseren, wohl aber zu einem zumindest narrativ interessanteren Film als ich im Vorfeld erwartet hatte.



p.s.: Der bizarre Umstand, dass die Leute auf den billigen Plätzen nach der (wohlgemerkt regulären) Vorführung geklatscht haben(!), hat mich irgendwie unangenehm an ganz ähnliche Reaktionen auf erfolgreiche Landungen bei Pauschalflugreisen erinnert. Das kulturpessimistische Urteil, die Kunstform Film verkomme zusehends zur Kommodität, erhält in diesem Zusammenhang eine ganz neue Qualität.
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Mittwoch, 23. Dezember 2009

Notizen zu SYNECHDOCHE, NEW YORK (2009)

(H. Carstensen)


Caden Cotard wacht auf und bleibt liegen. Im Radio verkündet die Literatur-Professorin den Herbstanfang, zitiert Rilke: „Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben.“ Als Caden Cotard in der Küche ankommt, mit seiner Frau und Tochter zu frühstücken beginnt, datiert die Zeitung auf den 17.Oktober, ist die Milch, deren Mindesthaltbarkeit am 20.ten endet, plötzlich schlecht, und wünscht der Radiosprecher wenige Einstellungen später „Happy Halloween!“. Lautlos inszeniert ist der Einstieg in das zeitverzerrte Leben des vierzigjährigen Theater-Regisseurs in SYNECHDOCHE, NEW YORK.

Caden ist ein Hypochonder, besessen von der Angst zu sterben, bevor er seinem Leben Bedeutung gegeben hat. Einsam gleitet er durch zwei Monate, als sei es derselbe Morgen. Es sind nur winzige Indices, die in rascher, beiläufiger Montage auf die Dauer der erzählten Zeit verweisen, die stets präsent ist und sich doch immer entzieht, wie der Virus im Cartoon, der im Hintergrund über die Mattscheibe flimmert, und den die Off-Stimme beschreibt als „etwas Unsichtbares im Gewebe des Körpers“. Die stetig fließenden Schnitte, und die unaufgeregte Inszenierung des leicht chaotischen Frühstücks im heruntergekommenen Heim der Cotards emulieren Cadens´ Wahrnehmung: eine Welt voller flüchtiger Spuren, deren Fülle man nicht Herr werden kann, deren Bedeutung irgendwo zwischen Fragment, Assoziation und Unannehmlichkeit liegt, und die sich im Fluss der Augenblicke schon wieder entzieht, bevor man ihr auf den Grund geht. Die ersten Minuten von SYNECHDOCHE NEW YORK sind voll mit Bedeutungen.

Nur mit Beziehungen, beispielsweise zu Frau Adele und Tochter Olive, scheint Caden Probleme zu haben. Er liest Zeitung und ist ironisch amüsiert über den ersten Fall von Vogelgrippe in der Türkei („Birdflu in Turkey - the country, not the bird, obviously. That´s ironic.“), doch keine der beiden möchte sein Amüsement so recht teilen. Jeder ist viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Die Eingangs-Sequenz ist durchsetzt von Miniaturen dessen; woraus sich SYNECHDOCHE NEW YORK zusammensetzt, und zeigen an, wie Regisseur Kaufmann mit der zum Strukturprinzip erhobenen rhetorischen Figur in den kommenden zwei Stunden umgeht: Teile geschichtet auf Teile, die zwar eine immer komplexere Verweisstruktur potentieller Bedeutung erschaffen, aber nie das gesuchte Ganze ergeben, und sich stattdessen vor den Augenblick stellen.

Konventionelle Chronologie interessiert Kaufmann wenig. Nachdem Adele und die vierjährige Olive wenig später physisch aus Cadens Leben verschwinden, weil Adele den ewig Schlechtgelaunten für ihre Malerei-Karriere in Berlin verlässt, bleibt seine innere Uhr an diesem Punkt stehen, auch wenn die äußere Welt sich um Jahre weiter dreht. Ähnlich wie schon in ETERNAL SUNSHINE OF THE SPOTTLES MIND (Michel Gondry, 2004) definieren Gefühle und Erinnerungen der Hauptfigur die Wahrnehmung seiner Welt. Auch wenn sich psychosomatische und handfeste Leiden von Cadence heftig und schubhaft als Zittern, Blut in Stuhl und Urin oder blutigen Pusteln im Gesicht manifestieren, sich im Laufe der Story zu einer grotesk großen, täglichen Hand voll Tabletten summieren, so wird er doch alt, und überlebt Eltern, Frau und Tochter. Es ist die neurotische Angst der professionellen Zeichensetzer Caden / Kaufmann vor den Zeichen von Krankheit und Tod, die die teils drastische, teils liebevoll-schrullige Inszenierung von Rasierunfall, Speichelfluss-Problem und Impotenz motiviert, und weniger die reale Bedrohung selbst.

Das ultimative Sinnbild für Cadens Motivation, dass all seine Äußerungen und Handlungen zu einem sich Abarbeiten am inneren, ungelösten Konflikt zwischen Kreativität, Tod, und ungelebtem Leben verdichtet, ist jedoch das Set seines Theaterprojekts, seinem Opus Magnum: die originalgetreue Nachbildung New Yorks´ in einem Lagerhaus in New York (das natürlich eine Lagerhalle enthält, in der eine weitere Lagerhalle steht usw.) Eine Synekdoche, die mit wachsender Komplexität immer weniger Teil, immer mehr Ganzes ist, kaum noch vom Original zu unterscheiden. Längst ist das Projekt selbst zu einer kleinen Stadt geworden; gibt es Schauspieler in der Lagerhalle im Lagerhaus, die die Schauspieler aus dem Lagerhaus spielen, die wiederum Charaktere aus dem „echten“ Leben aka der Diegese des Films spielen. Auch Caden findet sich bald selbst in seinem Stück wieder. Sammy, ein Mann der ihm zwar nicht ähnlich sieht, aber ihn die letzten 20 Jahre beobachtet hat, und Caden besser kennt, als der sich selbst, übernimmt seine Rolle. Als Cadens Alter Ego stirbt, wird er folglich auch von einem Schauspieler ersetzt, der Sammy ähnelt, und nicht Caden. Die Kunst startet als Mimesis und endet als Simulacrum - einer der Titel für das Stück, die sich Caden im Lauf des Films überlegt und gleichzeitig eine von zahlreichen Miniaturen, die Kaufmann dank der verschachtelten Konstruktion multipler, sich spiegelnder Wirklichkeitsebenen überall in SYNCEHDOCHE verstreuen kann.

Kann der Film gelesen werden als Fingerübung in postmoderner Ästhetik oder Kommentar auf unsere artifizielle Gegenwart voller designter Oberflächen, so macht er - und das ist seine Schönheit - nicht dabei halt. Der obsessiv detail-versessene Drehbuchautor Kaufmann, erstmals im Regiestuhl, versammelt Motive und Techniken vorangegangener Filme (Identitätswechsel + magischer Realismus in BEING JOHN MALKOVICH / Unmöglichkeit authentischer Repräsentation + mis-en-abyme-Spiegelungen in ADAPTATION / Konstruiertheit von Erinnerung und Identität + Rückkehr in ihre „Kulissen“ in ETERNAL SUNSHINE OF THE SPOTLESS MIND) zu einem Ansatz, der dem ziemlich nahe kommt, was der Schriftsteller David Foster Wallace (INFINITE JEST), ähnlich vom Formalen besessen, in einem Interview 2006 als kreatives Ideal beschrieb: Many of the writers I admire are interested in using postmodern techniques, postmodern aesthetics to discuss or represent very old traditional human verities that have to do with spirituality, emotion and community - ideas that the avant-garde would consider very old fashioned. So there´s a kind of melding. It´s using postmodern formal techniques for very traditional ends. That´s a group I would want to belong to.” Es fällt leicht zu behaupten, dass der Scrpitwriter-turned-director Kaufmann sich zu dieser Gruppe Künstler zählen ließe.

Kaufmann zielt nicht auf „schau wie clever“ - Momente ab. Er sucht wie sein Alter Ego Caden nach einer Form, die Gegenwart und Befinden in voller Komplexität repräsentiert, ohne in die „Hollywood“-Falle zu tappen, den Zuschauer anzulügen, und den Stoff der Formel zu opfern. Caden will ein Stück von „brutaler Ehrlichkeit“ schaffen, nichts dabei auslassen – und macht dies dann eben auch einfach nicht. Wenn für Shakespeare die ganze Welt noch eine Bühne war, erschafft Caden auf der Bühne buchstäblich eine ganze Welt. Die Frage, ob die Kunst das Leben, oder das Leben die Kunst imitiert, stellt sich nach 17 Jahren Proben nicht mehr: beide sind längst eins geworden. Anders als Caden versteht Kaufmann sich der Form als Verdichtungs-Instrument zu bedienen. Sein stetiges Aufmerksam-machen auf die vierte Wand und ihre Durchbrechung schützen den Film davor, ein weiteres Simulacrum zu werden. Er lässt keine Zweifel aufkommen, dass trotz allem formalen Exzess der Motor des Films immer die Emotionen des Protagonisten bleiben. Vergebens, die Fülle poetischer Einfälle und Momente aufzuzählen, die SYNECHDOCHE NEW YORK so sehenswert und typisch Kaufmann machen. Aber sie belegen, wie dieser als Erzähler seiner Figur einen Schritt voraus ist. Wenn Cadens Einsamkeit vorm Sex weinend aus ihm heraus bricht, wirkt er wie übertölpelt von den seelischen Abgründen, die sich auftun, wenn er sich für einen Moment aus seiner kontrollierten Umgebung begibt. Wenn er sich auf die Suche nach seiner Tochter macht, oder er in der Rolle einer Anderen das Apartment seiner Exfrau putzt, um ihr auf diese Weise nahe sein zu können (und die Ironie des Films es will, das jene Rolle der „Anderen“ in der metadiegetischen Welt des Lagerhauses später tatsächlich seine eigene wird), folgt auf die perfekte Inszenierung der Spiegelungen, Doppelungen und Verwirrungen immer der Bruch, zielen Absurdität und Übersteigerung auf die Momente, in denen sich die Figuren sehr menschlich überfordert zeigen, und das postmoderne Spiel erden.

SYNCHEDOCHE NEW YORK ist aus clever angeordneten Kulissen gebaut, die sich ironisch spiegeln – die aber nie menschenleer sind. Das Leiden an der Einsamkeit der eigenen Existenz, daran, eine Sinn zu finden, Liebe, oder Vergebung, sind klassische Themen. Postklassisch bleibt bei Kaufmann die Verpackung, mit der er sich Glaubwürdigkeit erspielt: als richte er sich an ein Publikum, dass erst dem vertraut, der eine hyperreale Filmillusion erschafft, sie erfasst, durchdringt, und meistert - um sie dann einzureißen, und zu verstehen zu geben, dass seine wie auch ihre Wahrnehmung dessen, was sie als authentisch erachten, doch erst hinter diesen Fassaden beginnt – um in der nächsten dialektischen Biege daran zu erinnern, dass ihre Interieurs sich aus Flohmarkt- und Ikea-Stücken rekrutieren, aus Dylon, Jackson, Elliot Smith, aus Bausteinen der medialen Consumer-Culture - dass sie selbst durch und durch kultiviert, entfremdet, synthetisch sind. Sind all diese künstlichen Konstrukte passender Ausdruck von dem „wie es ist“, bleibt die Frage nach dem „wie es sein soll“, oder dem „ob das gut ist“ von all den schönen Objekten gnadenlos unbeantwortet. Kaufmann´s Filme verhandeln dies über die Form, so dass der filmische Raum frei bleibt für das menschliche Drama. Die Suche nach Sinn setzt sich fort, bis zum Ende. Jenes ist von Anfang an eingebaut wie Rilkes Herbsttag in der ersten Szene. Der Zersetzungsprozess auf dem Weg dorthin ist hässlich, wie Cadens diverse Krankheiten zeigen. Erträglich, so Kaufmann, wird dieser Prozess erst durch die Vergebung eines menschlichen Gegenübers, ganz gleich, mit wie viel Ästhetik er in der Zwischenzeit abgepudert, parfümiert und designt wird. So wie am Ende von SYNECHDOCHE, der mit einer an den Neorealismus erinnernden Hoffnung-in-Trümmern-Szene schließt. Postmoderne Verpackung, humanistischer Inhalt, Mittel und Zweck: D.F. Wallace hätte das sicher gefallen.
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Dienstag, 22. Dezember 2009

Zurück in den DVD-Räumen Seouls: Bong Joon-Hos MOTHER (2009)

(T.Hwa)

Eine ältere Frau bewegt sich durch eine wehende Graslandschaft auf die Kamera zu. Sie scheint tief verstört. Nachdem durch eine lange, unbewegte Einstellung eine Erwartungshaltung beim Zuschauer aufgebaut wurde, beginnt sie sich langsam zu unhörbarer Musik zu wiegen. Ihr Gesicht versucht sich an einem Lächeln – und fällt in tiefe Verzweiflung zurück.

Eine kurze Kritik, frei von Spoilern.

Wie schon MEMORIES OF MURDER (2009) bewegt sich Bong Joon-Hos Thriller MOTHER zwischen den Grenzen von Genre- und Autorenkino. Wieder ist der Schauplatz eines Mordes eine scheinbar so unschuldige koreanische Kleinstadt, wieder gibt es immer wieder absurde Momente, welche die Geschlossenheit der wendungsreichen Genreerzählung aufbrechen. Anders als in dem früheren Film ist es hier eine Mutter, die das Verbrechen aufklären will, dessen ihr geistig behinderter Sohn verdächtigt wird.
Werden Mütter (nicht nur in asiatischen Filmen) häufig überhöht und damit aus der Perspektive eines Kindes dargestellt, dass in seiner Beziehung nur bedingungslose Zuneigung oder Abneigung empfinden kann, so skizziert Bong die psychologischen Hintergründe des Figurentypus. Dabei wird der Film vor allem durch das nuancierte Spiel von Kim Hye-ja getragen, die der Figur der koreanischen Miss Marple eine bemerkenswerte mimische Ambivalenz verleiht.
Ist es in MEMOIRES OF MURDER vor allem auch das offene Ende, das den Film von anderen Thrillern unterscheidet, so wiederholt Bong diese Wendung in MOTHER nicht. Statt eines dramatischen Endes setzt der Film auf einen relativ langen „Epilog,“ der dem Zuschauer die Geschlossenheit der Dramaturgie auf emotionaler Ebene vorenthält.
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Dienstag, 8. Dezember 2009

„Dances with Japanese“ – Takita Yôjiros DEPARTURES

(T.Hwa)

Es scheint nicht schwer zu erkennen, was die Academy an DEPARTURES (J 2008, R: Takita Yôjiro), dem diesjährigen Gewinner des Oscars für den besten ausländischen Film, schätzt. Die Geschichte eines jungen Bestattungsunternehmers wider willens, der über die feinsinnig ausgeführte rituelle Waschung und Herrichtung von Leichen zu sich selbst wie auch zu seiner Vergangenheit findet, bietet jenen sanften Exotismus Hollywoods: das Fremde, das primär als Spiegel des Eigenen dient.


Exotik war einmal sehr einfach für Hollywood. Ob das marokkanische Casablanca oder die russischen Schneelandschaften, die für DOKTOR ZHIVAGO (1965, R: David Lean) in Spanien aus Schaum entstanden, die Fremde diente als eine Kulisse, auf der die meist westlichen Protagonisten ihre Konflikte austragen konnten – und zugleich als völlig synthetische Projektionsfläche für die Wünsche und Sehnsüchte des Publikums. Nachdem New Hollywood das Fremd-werden des scheinbar so vertrauten Amerikas thematisierte, ist dieser naive Umgang mit Exotik einer kulturrelativistischen Position gewichen, die ethnografische Begegnungen mit dem Fremden inszeniert. Immer wieder erscheint diese Begegnung dabei als regeneratives Mittel gegen die Sinndefizite der eigenen Kultur. Und so verteidigen Kevin Costner und Tom Cruise als Veteranen des amerikanischen Bürgerkriegs, des ersten großen Traumas der jungen Nation, einen Indianerstamm oder einen Samurai-Clan bei dem sie nach anfänglichem Unverständnis und einigen Initiationsriten heimisch geworden sind – und damit zugleich die beiden Kulturen gemeinsamen, scheinbar universalen Prinzipien und Werte. Unter der kulturrelativistischen Oberfläche berufen sich DANCES WITH WOLVES (1990; R: Kevin Costner) und LAST SAMURAI (2003; R: Edward Zwick) auf die großen Universalismen Hollywoods. Zugleich basieren die Geschichten auf einer heroischen Überhöhung des Fremden, wie sie auch in dem früheren Exotismus Hollywoods eine Rolle spielt.

DEPARTURES inszeniert eine eben solche ethnografische Begegnung ohne Japan zu verlassen. Arbeitet der Protagonist zunächst im urbanen Tokyo als Cellist in einem Orchester, das Beethovens Neunte schmettert (für Japaner nach Wagner sicher der Inbegriff westlicher Musik), so stellt für ihn die ritualisierten Zeremonien im Bestattungsinstitut eine Rückkehr in die fremd gewordene eigene Kultur dar, welche der räumliche Bewegung zurück in sein Elternhaus entspricht. Nach einer Reihe von Initiationen, die mit einem zunehmenden Verständnis für die Funktion der von ihm durchgeführten Handlungen einhergehen, beweist er schließlich sich selbst und den Personen in seiner Umgebung sein Handwerk und demonstriert durch dieses Gesellenstück seine Gruppenzugehörigkeit.
Das präsentierte (Auto-)Stereotyp japanischer Kultur und Tradition ist dabei weitestgehend deckungsgleich mit westlichen Vorstellungen, die in der Teezeremonie eine romantische Hingabe an Details im Sinne eines l’art pour l’art, und in Steingärten den Ausdruck einer von gewalttätiger Vergangenheit unbelasteten Spiritualität sieht. Diese Übereinstimmung von Selbst- und Fremdbild ist in dem Kontext zu sehen, dass „Japanizität“ im Zusammenhang zunehmender Konvergenztendenzen nationaler Kinematographien und Filmmärkten zu einem wertvollen Markenzeichen geworden. Sichtbarstes Zeichen dieser Umstellung des Exports von materiellen zu intellektuellen Produkten stellt „Hello Kitty“ dar, die omnipräsente, bemerkenswert ausdruckslose katzenartige Figur, die seit 2008 als goodwill ambassador Japan als Tourismusziel vermarkten soll. Takita lässt seine Hauptfigur aus dem modernen Tokyo eine anachronistische japanische Kultur wiederentdecken, die längst (von Japanern selbst) zu Folklore gemacht wurde. Weniger als die formvollendeten Bestattungsriten stellen die wenigen Momente des Films, in denen sich die Herkunft des Regisseurs aus der notorisch kreativen Pink-Film Szene in einem ehrfurchtslosen Sinn für absurden Witz äußern, die Japanizität des Films dar.

Dabei ist DEPARTURES bei weitem kein schlechter Film. Gerade zu Beginn gelingt es dem Regisseur zum Teil, in feinfühlig inszenierten Szenen die leise Sentimentalität Ozus mit einem nicht weniger zurückhaltenden Situationshumor zu verbinden. Zunehmend weichen diese leiseren Töne jedoch einer überdeutlichen Art des Erzählens, die sich auch in der Inszenierung immer mehr an Hollywood annähert. Eine Montagesequenz zeigt den Protagonisten beim Cellospielen in idyllischen Landschaften, die dem Wechsel der Jahreszeiten folgen. Die Handlung wird durch symbolische Motive gedoppelt: Lachse kehren zu dem Ort ihrer Geburt zurück und vergehen, Steine kommunizieren Emotionen über die Grenze von Generationen hinweg. Mehr als das ländliche Setting im Norden Japans ist es auch hier ein imaginärer Raum, der die Leinwand für eine unschuldige, sensible Orchestratur der Gefühle darstellt, nach der sich auch die Academy zurückzusehnen scheint.
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Freitag, 4. Dezember 2009

THE DUST OF TIME - Angelopoulos: out!

(H. Carstensen)

Manchmal ist es das Beste, nichts von der Arbeit eines Regisseurs zu wissen. Auf einem leeren Blatt anzufangen. Ohne Kontext. Ohne Vorwissen. Auf in Theo Angelopoulos´ letzten Film: THE DUST OF TIME, jetzt in den Kinos dieser Film-, Medien und Wirtschafts- Republik.Im ehemaligen Porno-Kino im Bleichen-Viertel, dem kleinen Juwel der nicht vorhandenen Mainzer Kino-Szene: dem PALATIN. Auf einer Leinwand, die den Charme einer Home-Entertainment – Anlage mit der Dunkelheit eines öffentlichen Raumes verbindet, den man mit Freunden teilt, die man noch nicht kennt. Das Setting passt zur Inszenierung wie ein Herren-Magazin ins Altersheim. Nur ohne Sex. Traurig? Ja. Der alte Grieche Angelopoulos situiert seinen jüngsten Film in der Erinnerung, dieser Zeit zwischen dem Jetzt und Hier und der Vergangenheit, die den Moment einholt, einfärbt, deutet und: determiniert? Es gibt kein jetzt ohne Geschichte. Im Fall von THE DUST OF TIME die Geschichte der griechischen Diaspora, so steht es auf dem Waschzettel. Der Film dreht sich um die griechischen Kommunisten Elin und Spyros, die 1952, nach gescheiterten Umsturzbemühungen in der Heimat, im Mutterland des Kommunismus Zuflucht suchen. Und erfahren müssen, dass der große Bruder Stalin mit Misstrauen und Repression regiert. Sie werden getrennt, und Spyros nimmt große Gefahren auf sich, um seine Geliebte wieder zu finden. Griechenland, so das Urteil der Geschichte, war nur ein Bauernopfer auf der politischen Landkarte des Kalten Krieges. Die Kommunisten, die damals den Bürgerkrieg verloren, wurden aus dem Land gejagt, nachdem pro-westliche Kräfte die Macht eroberten. In der Sowjetunion standen sie unter Beobachtung. Die Protagonisten des Films sind für ein falsches Versprechen zu Entwurzelten geworden. Soweit der historische Kontext. Dem Film geht es um die Liebe zwischen Eleni und Spyros, die Grenzen, Ideologien und die Zeit überwindet, um zu sich zu finden, und die letzten Fragen zu beantworten. Retrospektiv. Zunächst bildet sich das erstmal ab in schier unerträglich in die Kamera proklamiertem Pathos. Cut.
Für den Rückblick sorgt die zweite Erzähl-Ebene, auf der griechische Regisseur „A.“ (armer Willem Dafoe, zuletzt in Szene gesetzt von Lars von Trier, siehe hier) versucht, trotz familiärer Widrigkeiten seinen jüngsten Film abzuschließen: ein Melodram über seine Eltern, eben jene Eleni und jenen Spyros, die sich in der anderen Ebene mit der Kehrseite ihrer Überzeugungen herumschlagen müssen. Zwar sind sie Dissidenten und kommunistischer Bruder und Schwester, doch mit Heimat hat die Existenz in der Lager-ähnlichen Stadt in Sibirien, in die Eleni verschickt wurde, und aus der Spyros sie befreien will, nichts zu tun. Ich verließ das Kino nach ungefähr einer Stunde, und kann so auch keine Spoiler verbrechen.
Die Verquickung von Familiengeflecht, und gegenwärtigem Kampf des Regisseurs „A.“, seine Erzählung zu beenden, der Zerrissenheit und den Zweifeln in Dafoes´ Figur über die Echos der anderen Erzählung aus der Vergangenheit, die, so will es der Film, auf seine Gegenwart reflektiert, ließen mich kalt. Niemals war es die fehlende Legitimität der Kontemplation darüber, wie sich die Vergangenheit in die Gegenwart einschreibt, die mich abgeturnt hat. Und schon gar nicht der verführerische Gestus der Kamera-Arbeit, die in stetiger, ruhiger Bewegung und langsamen Fahrten Schnitte obsolet zu machen schien, und alles tat, um den Zuschauer in das Gezeigte hinein zu ziehen. Tatsächlich war letzteres eine herausragende ästhetische Qualität des Films. Auch die detailreich texturierten Bilder in braun, mattem grün, grau und Schnee-weiss, vor Patina strotzend, und eine sozialistische Tristesse par exzelence evozierend, mit verfallenen Gemeinde-Baracken und abmontierten Stalin-Büsten (der just stirbt in der erzählten Zeit), stimmig in Farbkonzept und wundervoll in der Mis-en-Scene, sind nicht dafür verantwortlich, dass ich mit dem Film nicht warm wurde. Sie lösen ein, was der Titel suggeriert. Was stimmt also nicht, wenn der goldene Schnitt in die Kamera strahlt, sich an perfekt ausgeleuchteter, schrottreifer real-sozialismus-Lager-Strassenbahn reibt, und mittels Wochenschau-Filmstreifen in die diegetische Gegenwart Dafoes´ Material-sichtender Regisseurs-Figur herüber transzendiert, als ihm -und: draufgepratzt dem Zuschauer- bewusst wird, wie sehr er selbst ein Produkt dieser ideologischen und emotionalen Verwerfungen des umkämpften 20. Jahrhunderts ist – durch seine Eltern, die gemäß des psychologischen Grundsatzes jeder Familien-Aufstellung, man kann nicht – „nicht-kommunizieren“ ihren Sprössling geprägt haben – was turnt so ab?

Die Figuren, die letzte Wahrheiten in die Kamera proklamieren, als gelte es, noch vor dem jüngsten Gericht die Seele zu reinigen. Sie lassen dem Zuschauer keine Chance, keine Interpretationsmöglichkeit, keinen Zweifel: „Ich wollte Dich nie verletzen. Du wusstest immer, dass ich die Frau eines anderen Mannes bin. Du hast gewusst, dass es früher oder später so kommt.“ Das sagt Eleni, als sie sich von ihrem „Hitler“-Shagg Bruno Ganz alias dem deutschen Juden Jacob trennt, mit dem sie sich während ihres Lager-Aufenthaltes, getrennt von Spyros, aus absolut legitimer Überlebensnotwendigkeit das Lager geteilt hat. Voller Ernst, ins Off blickend. Bruno neben sich. Der seinerseits ins Off blickt, als stünde dort die Mama, die ihm die kleidsame Pudelmütze so süß ins Gesicht gerückt hat (wohl eher eine geschmackvolle, erfolgreich arbeitende Kostümbildnerin). Und seinerseits Angelopoulos´sche Dialoge zitiert, die schon auf dem Papier tot waren. Denn kein lebender Mensch spricht so... Once again: keine moralischen Urteile an dieser Stelle. Kein Dissenz mit der emotionalen Verfasstheit der Figuren per se. Keine Bitterkeit über die Eindeutigkeit und Teleologie der Erzählung, soweit ich sie gesehen habe. Kein Hass auf das Kunstkino als solches. Ein alter Mann macht auf hohem filmischen Niveau Frieden mit seinem inneren Drehbuch. Einverstanden. Nur konnte ich mir den Streifen nicht zu Ende ansehen, denn: Wozu braucht Angelopoulos mich dazu?
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