(H. Carstensen)
(Dem Leser: der nachfolgende Text enthält profane Sprache, Nacktheit, und Spoiler.)
Vorhang auf: linker Flügel
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PROLOG: Der bewegte Mann.
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PROLOG: Der bewegte Mann.
Lars von Trier ist sehr, sehr krank. Aus eigener Kraft kann er keinen guten Film machen.
David und die Blair Witch kommen ihn besuchen, in seiner abgelegenen Waldhütte, die Gegend ist EVIL DEAD. Trotz des Sturms, der aufzieht, und später über die Region fegen soll, schmollt Von Trier statt sich zu freuen, will keinen Besuch. Schon gar nicht von der Blair Witch: Frauen sind ihm eine Tortur. Er dreht sich weg und schläft, um sein inneres Kind zu finden. Sein Traum führt ihn auf einen Parkplatz, seltsam vertraut. Er weiß nicht wo er ist. Der Besuch geht wieder, aber jeder lässt etwas für Von Trier da, damit er gesund wird: David lässt sein Reh da, eine Tube „Droning Sounds“ Angst-Creme, und eine handvoll Gras aus BLUE VELVET. Wenn man das Gras unter eine Makro-Linse legt, sieht man, wie da wer-weiß-was passiert. Die Blair Witch lässt ihre alte Handkamera da, ist eh voll verwackelt das Ding. Und ein mythisches Hexen-Buch mit Schauermärchen und Bildern. Vielleicht findet Von Trier darin ja Inspiration. Sie sind weg als Von Trier aufwacht- aus einem Alptraum. Sein inneres Kind fällt aus dem Fenster. Von Trier ist verwirrt: hat er das vielleicht mit Absicht geträumt? Wollte er, dass…? Angespannt sieht er auf die Tube „Droning Sounds“, die David auf die braune Aksel Kjersgaard Teak Bank neben der Tür gelegt hat. Er drückt eine linsengroße Menge raus und schmiert sie unter die Ränder des Alptraums. Hmm, „schon besser“, denkt Von Trier, und tatsächlich: der Effekt ist gut. Auch am Nachmittag fühlt er sich besser. Dann aber nicht mehr. Und dann fühlt er gar nichts mehr. Er weiß nicht, was er fühlen soll. Er stellt sich vor den Spiegel und vergleicht sich mit Strindberg in dessen Inferno-Krise. Er sieht in den Spiegel. „Steht mir gut“ denkt Von Trier. Er malt ein bisschen. Er ritzt sich etwas drastisch, um überhaupt was zu fühlen. Von Trier geht’s nicht gut. Mit dem Blut malt er wieder weiter. „Kapiteltitel“, murmelt Von Trier, als er auf das Gemalte blickt: Trauer, Schmerz, Verzweiflung, Die drei Bettler, Epilog. Nicht schlecht. Er ruft einen Journalisten an und erzählt ihm von der Strindberg-Sache. Der Journalist sagt: „Grüerzi“, und dass es ihm sehr gefällt. Davids Reh kackt auf den Teppich. „Scheiß-Reh!“ Von Trier schreit schrill. Das Reh steht still. Guckt. Spitzt die Ohren. Scheiß Natur. Kack-Bedrohung. Draußen wie Drinnen, denkt Von Trier. „Mmh, nicht schlecht.“ Zufrieden isst er etwas, und zieht sich vorm zu Bett gehen noch zwei Filme rein: IDENTIFICATION OF A WOMAN von Antonioni. Und SAW IV, weil´s von Tarkovsky nichts gab. Um 12 Uhr Nachts macht er das Licht aus. Das gute Essen liegt ihm schwer im Magen, und er träumt wieder schlecht. In seinem Kopf geht alles durcheinander: der triste Antonioni, SAW, die Droning-Sounds vom David, die Kamera von der Blair Witch, David´s Reh läuft durchs Bild, die Bilder von der Hexen-Verbrennung aus dem Buch von der Blair Witch, und dann fällt auch noch sein inneres Kind aus dem Fenster, schon wieder, und genau dahin, wo das Reh hingekackt hat. Als er aufwacht ertappt er sich mit der Hand am Pimmel. Scheiß Natur! Scheiß Erbsünde! Von Trier hat Schmerzen. Wozu soll das alles gut sein? „Ich schreibs einfach auf“, denkt Von Trier, „sollen sich doch die Anderen einen Reim drauf machen.“ Er ruft seinen Therapeuten an. Aber der redet nur Mist. „Freud ist tot, “ und „konfrontiere Dich mit Deiner Angst, Von Trier. Du musst dahin gehen, wo Du am meisten Angst empfindest.“ „Cannes?“, murmelt Von Trier zu sich selbst, und grinst. Sein Therapeut sieht mit einem Auge die „Tagesschau in 100 Sekunden“. „Wovor hast Du am meisten Angst Von Trier?“ Von Trier überlegt. „Überlege nicht zu lange, Von Trier!“, sagt der Therapeut am anderen Ende der Leitung. „Ds mch knr lb ht.“ Die Leitung knistert. Vielleicht der Sturm. Die Botschaft kommt nur verstümmelt. Egal. „Konfrontiere Dich! Fordere Ablehnung heraus! Und dann sieh was passiert.“ Von Trier hat schon vor Stunden aufgelegt. Der Therapeut hat ihm noch weitere Tipps gegeben. Abgehackte. Von Trier hat alles aufgeschrieben in dem gelben Notiz-Block, und neben dem Telefon auf dem Panton Eames –Hocker abgelegt. Er denkt wieder an seinen Traum. „Träume haben in der modernen Psychologie keine Bedeutung“ hat sein Therapeut gesagt. Man muss auch nicht immer alles mit Bedeutung füllen, denkt Von Trier. „Wenigstens waren ein paar gute Bilder dabei.“ Das Telefon klingelt. Es ist David. „Hallo David.“ Er will sein Reh zurück. Von Trier denkt an den letzten Oktober, in Kopenhagen: als er auf dem Behindertenparkplatz geparkt hat, in der OehlschlÆgers Gade. Der Parkplatz- es geht ihm nicht gut. David erzählt von seinem Reh. Es hat ihm die Idee mit der „Kirche der Unbesiegbarkeit“ zugeflüstert. Von Trier hört nicht. Er macht seine Hose auf. Langsam gleitet sie auf seine Knöchel. Die Gürtelschnalle klimpert metallisch. Er hockt sich hin. „Die transzendentale Meditation ist wie eine reinigende Umarmung, die Du Dir selbst schenken kannst, Von Trier, “ sagt David. Von Trier steht wieder vor seinem Volvo auf dem Behindertenparkplatz. Es ist kalt. Er weint. Seine Träne ist ganz zäh. Am weiß-gerahmten Fenster im ersten Stock des roten Backsteinshauses hinter dem Volvo sitzt eine schwarze Katze und sieht ihn an. Von Trier kackt auf den weißen Flokati. „Von Trier?“ fragt David in den Hörer. Von Trier starrt auf seine Scheiße. Plötzlich, aus dem nichts, schämt er sich. Er schämt sich so sehr. Der Raum wird immer weiter. In Zeitlupe fällt der weiße Telefonhörer aus seiner zitternden Hand in den weißen Flokati-Teppich. Von Triers Finger gleiten auf das Stück Teppichboden unter ihm zu. Es ist 12 Uhr. Ein Luftstoß springt durch das Haus. Der Sturm ist da. Die Fenster in der Küche nebenan platzen auf. Von Trier sieht es nicht. Er hört es nur. Seine Hände sind manikürt. Doch er hat Dreck unter dem Fingernagel am rechten Zeigefinger. Sein ausgestreckter Zeigefinger gleitet spielerisch in die Fäkalien. David hat aufgelegt. Seine Zunge fühlt sich pelzig an. Er fragt sich, ob Käfer darauf herumlaufen könnten. In dem Raum neben der Küche nimmt sich Von Trier eine große Hand voll Scheiße und steckt sie sich in den Mund.
ENDE
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Vorhang zu.
Kamera schwenkt gleitend rüber auf die Mitteltafel.
Vorhang auf:
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KAPITEL 1, 2 und 3: DIE VERWEIGERUNG
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Vorhang zu.
Kamera schwenkt gleitend rüber auf den rechten Flügel.
Vorhang auf:
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EPILOG:
ES IST EGAL, ABER
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Vorhang zu.
Kamera schwenkt gleitend rüber auf die Mitteltafel.
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KAPITEL 1, 2 und 3: DIE VERWEIGERUNG
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Vorhang zu.
Kamera schwenkt gleitend rüber auf den rechten Flügel.
Vorhang auf:
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EPILOG:
ES IST EGAL, ABER
Lars von Trier hat ein cleveres Stück Kino geschaffen – das nicht atmet und nicht lebt. Die inkohärente und krude Art, wie er dieses zweifelsohne geschickte Spiel frei flottierender Zeichen orchestriert, hindern einen daran, übermäßigen Beifall zu klatschen. Drastisches Überwältigungs-Kino, dass nichts will; bedeutungsschwangere Psycho-Dialoge (oft muss Willem Dafoe meta-monologisieren) verleiden einem alle Lust an den Splatter-Szenen, in denen der Film so gerne Ernst genommen werden möchte. Und genau hier liegt das Ärgernis. Schockiert, wie die kopfschüttelnd das Kino verlassende Zuschauerin in der Reihe vor mir, war ich nicht. Aber eben auch nicht verstört, gefesselt oder fasziniert.
Mit schon wenig Fantasie kann man das Gemetzel, dass da mit Eintritt in den finstren Wald –der klassische Märchen-Raum- seinen Verlauf nimmt, als Geschlechterkampf-Allegorie deuten (was die gezeigten Verstümmelungen zu metaphorischen macht), oder als Psychogramm eines modernen Mannes und seiner Überforderung. Oder als erbitterten Widerstreit zwischen zwei prinzipiell und auf Ewig unvereinbaren Prinzipien (SIE und ER in EDEN?). Bei dem ER, so scheint von Triers Sichtweise, gegenwärtig viel einstecken muss. Kann, muss aber nicht. Es ist ja alles nur ein Spiel. Dass die Wiederherstellung SEINER Männlichkeit ausgerechnet realisiert wird, indem ER SIE am Ende erwürgt- das ist halt ein mehrdeutiges Zeichen in diesem postmodernen filmischen Diskurs, dass man nicht gleich als misogyn abstempeln darf. Warum noch mal nicht? Wenig überzeugend auch die zaghaft eingestreuten Paranoia- und Psycho-Thriller –Elemente, die Kinds-Vernachlässigung und mütterliche Überforderung ins Pathologische deuten. Etwas stimmt mit IHR nicht. Aber es könnte genauso gut das zeitlose Böse sein… Was übrig bleibt ist SEIN Unbehagen an IHR. Diffus aber distinkt anti-weiblich. Ein Exploitation-Reißer, an dessen Ende die Psycho-Bitch stirbt? Super! Das Kunstkino zwischen Psycho-Gerede und Holzklotz-in-die-Genitalien macht dagegen den Eindruck, als sei im Regisseur von BRAKING THE WAVES der Schalter (Dimmer / Selecta…) für laut und leise kaputt gegangen.
Explizite Gewalt- oder Sexualitätsdarstellung provozieren nicht nur die Lust am Zuschauen, sondern können als „Script-Device“ philosophische oder ethische Diskurse auf den Boden holen und zuspitzen. David Cronenberg z.B. geht in seinen Filmen schon immer sehr direkt mit diesen Mitteln um. A HISTORY OF VIOLENCE (2005) nutzt sie in seiner Inszenierung des Motivs vom Mann, der von seiner Vergangenheit eingeholt wird, auf zwingende Weise: um mit den Dämonen fertig zu werden, die ihn umtreiben, muss sich die Figur Tom der alten Muster bedienen. Die Büchse der Pandora ist geöffnet, und die Gewalt kontaminiert intime Strukturen, Familien- und Sexualleben. Cronenberg scheut sich nicht, die Konsequenzen von physischer Gewalt grafisch ins Bild zu setzen. Ohne Äpfel mit Birnen vergleichen zu wollen: er tut dies wohldosiert. Die intensiven Schockmomente schubsen andere inszenatorische Mittel nicht von der Bühne. Dieses Feingefühl im Umgang mit den „großen Geschützen“ lässt ANTICHRIST vermissen. Während Cronenberg einmal von der amerikanischen Filmtheoretikerin Christine Elizabeth Ramsay als „Author of a thinking man´s existential splatter“ bezeichnet wurde, sucht man das Existentielle bei Lars von Trier diesmal vergeblich. Eventuell vorhandene Subtexte des postmodernen Geschlechterkampf-Märchens drängt er dem Zuschauer mit seiner visuellen Version des Nürnberger Trichters auf, dass die Freude an der inhaltlichen Auseinandersetzung das erste Gewaltopfer wird. Frei flottierende Zeichen sind gut und (in diesem Fall dank der Kamera-Arbeit von Anthony Dod Mantle) schön. Von Trier aber füllt Lücken im vieldeutigen Text einfach mit Drastik. Wo bleiben die Zuspitzungen, die die brutal-expliziten Verstümmelungs-Akte verstörend-faszinierend macht? Dieses „Unfall-auf-der-Autobahn“-Gefühl, dass Cronenberg so unnachahmlich herzustellen in der Lage ist („ich weiss, es ist abscheulich, aber ich muss hinsehen, und bin fasziniert.“) erzeugt ANTICHRIST zu keiner Zeit. Der Sog bleibt stecken zwischen den zermürbenden Psycho-Debatten des emotional versehrten Pärchens, und sprechenden Füchsen. Beim Enfant Terrible Von Trier ist der vordere Teil der Redensart aktuell dominant.
Manchmal erinnert ANTICHRIST an ein ähnliches (misslungenes) Spiel: Jennifer Lynch´s SURVEILLANCE (2008), der einem gleichfalls reichlich drastische Gewalt aufnötigt, ebenfalls ummantelt von einer dünnen Märchen-Story, einer postmodernen Gangster-Ballade. An beider Filme Ende steht die schmerzlich evidente Frage: wozu das Ganze, so? Wie Eingangs erwähnt, stört der feierliche Ernst der Inszenierung am stärksten. Tarantino zum Beispiel, kann man leicht verteidigen, wenn der wegen seiner gewalttätigen Auswüchse als schlechter Filmemacher gescholten wird. Kritiker bemühen gern einen Truffaut-Ausspruch, der paraphrasiert so geht: „wer (filmisch) genug Kraft in die Ohrfeige legt, braucht keinen Tritt in den Bauch zu zeigen.“ Dem mag man entgegen halten: Tarantino will krass und banal sein. Und er möchte dabei nicht so sehr ernst genommen werden. Von Trier hingegen serviert inhaltliche Schwebe, garniert mit abgeschnittener Klitoris an Kunstkino-Soße. Natürlich kann man sich den Film anschauen. Audiovisuell ist von Trier spannend. Zwischen digitalen schwarz-weiss-ultra-Slowmos (Phantom HD) und Settings im Stile einer Vogue-Modestrecke von extremer Künstlichkeit bietet er aber ein Geschlechterkampf-Märchen an, dass mit drastischer und sexualisierter Gewalt dramaturgische und inhaltliche Schwächen überdeckt. Die lose gestreuten Zeichen („Chaos reigns!“) mit dieser Gewalt zusammen zu halten, gelingt dabei nur leidlich. Wenn postmoderne Filme eine Einladung zum Spielen an den Zuschauer darstellen, sage ich dieses Mal bester Dinge: „Gute Besserung, Mr. T., ich passe!“
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Vorhang zu.
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